„Vermisst“ – bei der umstrittenen Plakataktion geht es nicht um den praktischen Nutzen. Ein Kommentar von Khalil Breuer

„Die Markierung von Muslimen als ‘Islamisten’ ist somit längst eine Form der Machtausübung geworden, über die Verfassungsschutzämter und Medien ohne effektive richterliche Kontrolle verfügen können.“

(iz). Eigentlich ein Fall für den Bundesrechnungshof: Das Innenministerium gibt mehrere hunderttausend Euros für eine Plakataktion mit zweifelhafter „Botschaft“ aus. Das Motiv ist einfach gestrickt. Eigentlich ganz nett aussehende Immigrantenkinder werden vom BMI „vermisst“, sind also in die Fänge von Islamisten und Hasspredigern geraten. Die Botschaft kommt so bedenklich simpel rüber. Wir Bürger sollen alle aufpassen, unkontrollierten dunklen Bartwuchs beobachten, aber natürlich auch blonde verführte Jünglinge, die unter Gebetskappen verschwinden, melden.

Der praktische Nutzen der Aktion dürfte bei Null liegen. Falls es um den praktischen Nutzen wirklich geht: Wahrscheinlicher soll die Aktion wohl das diffuse Bedrohungsbild nähren, dass nun schon seit Jahren die Wachstumsraten in Sachen Sicherheitsbudget stützt. „Der moderne Staat, verletzlich, bedroht, feingliedrig““, dieses Bild des, wie Jean Christophe Rufin sagt, offiziell „morbiden“ Staates, muss heute laufend propagiert werden, wohl um die tatsächliche Uneinnehmbarkeit der Staatsstrukturen in Nebel zu hüllen.

Bleiben wir auf dem Teppich. Noch nie hatte der moderne Staat so viele Sicherheitsstrukturen, verfügte über eine solche feingliedrige Überwachungstechnik, beschäftigte so viele Beamte, V-Leute und Spitzel. Kurz gesagt: Eine feindliche Übernahme durch Extremisten oder ein Staatsstreich ist heute nicht mehr als eine theoretische Möglichkeit. (Vernachlässigen wir hier die praktische Frage, ob der Staat ähnlich gut aufgestellt ist, wenn man an die Angriffe auf seine Verfasstheit aus dem ökonomischen Bereich denkt. Ein Staatsstreich der Banken ist ein reales Bedrohungsszenario, dass bisher nur langsam wissenschaftlich aufgearbeitet wird.)

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Es gibt wohl überhaupt nur zwei Phänomene, die rational die Sicherheit des Staates, wenn auch mit völlig unterschiedlicher Potenz herausfordern könnten: Der Wahnsinn und der Hunger. In beiden Fällen gibt es keine absolute Sicherheit. Jede Volksgruppe kann den Extremismus in seiner militanten Wahnform beherbergen: ein Hooligan, ein religiöser Fanatiker, ein Rechter, Linker, ein Papstanhänger, ein Waffennarr oder ein Schuldner. Sie sind die, unter uns lebenden Indianer und mögliche Amokläufer, die das sicherheitspolitische Restrisiko darstellen. Damit müssen wir leben.

Die andere Form der Staatsbedrohung ist ungleich fundamentaler. Es ist die in jeder ökonomischen Krisen mögliche Rückkehr zum Urzustand: Die Massen können gefährlich werden, wenn es statt Brot und Spiele, nur noch Spiele gibt. Parallel kann man auch über die Gefahr nachdenken, dass sich diejenigen, die etwas zu verlieren haben, sich des Staates vorab bemächtigen. Damit müssen wir auch leben.

Ironischerweise haben immer mehr Bürger – gerade nach der undurchsichtigen Rolle der Dienste im Falle der NSU – Angst vor den Überwachungsbehörden. Hinter den dunklen Jalousien arbeiten tausende Menschen. Es ist eine ziemlich große Parallelgesellschaft. Innenminister Friedrichs hilflose Idee neuer monströser Superbehörden vernachlässigt schlicht den menschlichen Faktor. Es ist kein Problem der Software. Die Mitarbeiter der Geheimdienste gehören schon jetzt diversen Gruppen und Seilschaften an, sie stehen unter dem Einfluss von Lobbyisten, Parteien, sie deuten Gefahren, pflegen Vorlieben, haben Kontakte zu Diensten dritter Staaten, arbeiten für die Interessen der Industrie oder wen auch immer.

Die „plakative“ These der Sicherheitsbehörden im Bereich des „Islamismus“ ist, dass jede religiöse Einstellung in eine ideologische Einstellung münden kann, die wiederum jederzeit in den Wahnsinn übergehen kann. Diese Stufentheorie wendet sie in erster Linie auf die muslimische Glaubensgruppe an. Sie hat daher insbesondere die muslimische Bevölkerung in eher unbedenkliche und beinahe schon bedenkliche Kategorien eingeteilt, subtil verknüpft mit der Intensität der Glaubensausführung. Zugespitzt formuliert: Wer kaum betet, soll weniger anfällig für Extremismus sein, wer in die Moschee geht, auf den muss man eben ein Auge werfen.

Jene muslimischen Verbände, die die insoweit umstrittene „formale“ Sicherheitspartnerschaft mit den Polizeibehörden eingegangen sind (bei Muslimen gilt natürlich, wie bei jedem Bürger, dass jede Straftat zu melden ist!), haben diese These indirekt gestützt und schweigen nun auch auffällig zur Plakataktion. Bei ihrer Partnerschaft ging es übrigens nie um Sicherheit, eher um das eigene Image. Eines der Desaster der Strategie der Behörden um den politische Islam zeigt sich in der – auch in der DIK vorgeführten – Dialektik zwischen „konservativen“ und „liberalen“ Muslimen. Immer mehr junge Muslime glauben nun, man müsse sich nun genau zwischen diesen beiden Extremen entscheiden, als könne man „liberal“ oder „konservativ“ beten oder die Zakat zahlen.

Ich bin der Meinung, dass Muslime, die Straftaten begehen, verfolgt werden sollten. Formen der Gesinnungsschnüfelei oder staatliche Aktionen, die über religiöse Einstellungen spekulieren oder gegen diese Stimmung mit meinem Steuergeld macht, lehne ich dagegen ab. Nur zur Erinnerung: Der Begriff des „Islamismus“ ist völlig unbestimmt! Er umfasst im Moment in seiner Schnittmenge und je nach Belieben „Orthodoxe, Funktionäre, organisierte Muslime, Gläubige, Gesinnungsraudis, aber auch Schwerverbrecher und Mörder“. Die Markierung von Muslimen als „Islamisten“ ist somit längst eine Form der Machtausübung geworden, über die Verfassungsschutzämter und Medien ohne effektive richterliche Kontrolle verfügen können.

Natürlich hat dies längst zu einer Einschüchterung der Muslime geführt. Sie flüchten offensichtlich aus der Öffentlichkeit, nur „vermisst“ sie dort keiner.