
Wird Afrika in der zeitgenössischen Wirtschaft und Politik sowie in der Forschung marginalisiert? Die im Laufe der Jahre gesammelten Eindrücke und ein paar Beweise (es könnten noch mehr zusammengetragen werden) deuten an, dass es das ist. Ich würde drei Arten von Ausgrenzung unterscheiden: objektive, objektivierte und subjektive Marginalisierung. Von Branko Milanović
(IPS). Afrika steht nicht im Vordergrund der neuen Wirtschaft und sozialen Fragen, die aus einer entwickelten Ökonomie entstehen. Noch hat es nicht die Mittel, um unzählige Intellektuelle zu unterhalten, die „Theorien“ formulieren und ein „intellektuelles Klima“ schaffen. Objektiv gesehen werden beide Probleme durch Armut geschaffen.
Es ist kein Zufall, dass sich die Wirtschaftswissenschaften in Nordwesteuropa entwickelt haben. Der moderne Kapitalismus, Finanzkrisen, Probleme der Verdrängung von Arbeit durch Kapital, der Einsatz von Fiskal- und Geldpolitik zum Führen von Kriegen und so weiter wurden dort zum ersten Mal angetroffen.
Dies setzt sich bis heute fort – auch wenn die moderne Geldtheorie, Outsourcing, künstliche Intelligenz und dergleichen an die Stelle von Adam Smiths Diskussion über die „unsichtbare Hand“ oder David Ricardos Abhandlung über die Rolle der Maschinen getreten sind. Keines dieser hochaktuellen Themen ist in weniger entwickelten Ländern präsent.
Das hat zu Vorwürfen einer ideologischen Vorherrschaft des globalen Nordens geführt. Es ist aber überwiegend unabhängig vom eigenen Willen: Die jetzigen Verhältnisse bauen auf dem eigentlichen System der Ökonomie und anderen Sozialwissenschaften auf. Manchmal kehrte sie sich um. Etwa als Themen wie Industrialisierung, zentrale Planung, Landreform, Sparen und Akkumulation in der Ökonomie eine wichtige Rolle spielten. Aber das war historisch eine Ausnahme und wir sind wieder bei der „normalen“ intellektuellen Arbeitsteilung zwischen reichen und armen Ländern angelangt.
Mit objektivierter Ausgrenzung meine ich, dass Afrika, während es nicht automatisch Studiengebiete generiert, oft als „Forschungsfeld“ für diese Themen benutzt wird, die der Norden vorgibt. Sie müssen nicht zwangsläufig etwas mit afrikanischen Ländern zu tun oder eine reale Auswirkung vor Ort in Afrika haben.
Betrachten wir beispielsweise auf Zufall basierende, kontrollierte Studien (RCTs). Sie werden seit langem durch ethische Bedenken getrübt (ebenso wie durch fragwürdige Reproduzierbarkeit). Diese entstehen, weil ärmere Länder und Menschen, die in sie involviert sind, nicht viel Handlungsspielraum haben – oder oft nicht einmal vollständig verstehen können, was passiert und sie tun sollen. Sie werden nicht in die Lage versetzt, Projekte zu gestalten oder sich sinnvoll zu beteiligen.
Die Länder werden als attraktives Forschungsgebiet gebraucht – aber nichts mehr. Im letzten Jahr schaltete ein Projekt in Kenia, zufällig das Wasser bei Haushalten ab, die ihre Wasserrechnungen nicht bezahlt haben. Ziel war herauszufinden, wie sie reagieren würden und ab welchem Punkt der Wassermangel sie zur Zahlung an die Stadtverwaltungen zwingen würde. Man könnte sich kein vergleichbares Projekt vorstellen, bei dem beispielsweise in New York oder in Paris säumige Zahler vergleichbar behandelt werden.
Häufig finden solche Forschungsprojekte mit nur sehr wenig lokaler Teilhabe statt – selbst wenn das auf dem Papier anders aussehen sollte. Berater aus dem Norden (die solche Projekte für ihre Arbeiten oder zur Rechtfertigung ihrer Honorare brauchen) haben vor Ort große Macht. Sie kontrollieren die Finanzmittel: Weigert sich ein Akademiker, findet sich ein anderer.
Diese Probleme des Wissenschaftsbetriebs sind nicht einzigartig für Afrika. Alle weniger entwickelten Ländern haben sie gemacht. Ich habe gesehen, wie vom Ausland finanzierte NGOs die Forschungsagenda in Osteuropa bestimmt haben und dies häufig immer noch tun. Aber afrikanische Staaten haben zur Marginalisierung beigetragen, weil sie keine stärkeren akademischen und politischen Gegenstücke entwickelten. Solch subjektive Marginalisierung ist selbstverursacht.
Nimmt man die drei Ursachen der Marginalisierung zusammen, so fließen sie eindeutig von der strukturellen Schwäche zur potenziellen Einflussnahme. Die Selbstmarginalisierung ist rätselhafter, weil sie nicht auf mangelnde Kenntnisse der weltweit dominierenden Sprache zurückgeführt werden kann. Eliten in allen afrikanischen Ländern sprechen fließend Englisch und Französisch – viele sogar beide. Im Gegensatz dazu sind viele Osteuropäer und einige Asiaten des Englischen nicht mächtig, was sie von den aktuellsten Forschungsergebnissen abschneidet – selbst vom banalen Wissen, wen man wie kontaktieren kann.
An der „objektiven“ Marginalisierung lässt sich nichts ändern. Es sei denn, Afrika wächst schneller, wird reicher und erzeugt dadurch mehr Interesse. Mit steigendem Interesse kann es die Agenda bestimmen. So ist beispielsweise China vorgegangen. Mit größerem Wohlstand würde sich die „objektivierte“ Marginalisierung ebenfalls mehrheitlich lösen, selbst wenn dieser Prozess mehr Zeit braucht.
Es ist der Bereich der subjektiven Ausgrenzung, wo Regierung schnelle Erfolge erzielen können. Dafür muss ein größerer Anteil des Bruttoinlandsprodukts auf Forschung verwendet werden. Es braucht bessere Universitäten. So würden auch ausländische Forscher angezogen, die länger in afrikanischen Ländern leben würden. Sie würden afrikanische Themen nicht mehr als eine gute Möglichkeit sehen, Arbeiten zu veröffentlichen, sondern würden voll am akademischen Leben teilnehmen. Außerdem müssen stärkere Verbindungen zwischen der heimischen Forschungsgemeinschaft und Regierungen aufgebaut werden. Dann könnten die Staaten proaktiver werden und hätten mehr Handlungsmacht gegenüber der Politikberatung aus dem Norden.