(iz). Die Spannung war – genauso wie die Alternativen – bei der Wahl selbst überschaubar. Der neue Bundespräsident ist Joachim Gauck. Nach dem Gastspiel des Niedersachsen Wulff kommt nun ein Parteiloser und zudem ein guter Redner ins höchste deutsche Amt. Damit könnte Gauck – von seinen ureigensten Voraussetzungen her – durchaus eine, die Alltagspolitik überragende Rolle spielen.
Ein neuer Präsident kann nicht nur viele unbequeme Fragen stellen, sondern vermag eines Tages sogar Gesetze im Rahmen des umstrittenen EU-Rettungsschirms – Regeln, die nach Meinung vieler die Demokratie in Frage stellen – blockieren. Der Ruf des Präsidenten als eine unbestechliche Instanz, die sich auch aus seiner Ferne vom Lobbyismus begründet, könnte durch Joachim Gauck wiederhergestellt werden. Für den 72-jährigen gilt das Wort George Benard Shaws: „Man fürchte sich vor alten Herren, denn sie haben nichts mehr zu verlieren.“
Man sagt dem evangelischen Pfarrer nach, dass er ein großer Demokratielehrer sei (das Wort „Demokratie“ fällt in politischen Reden heute so häufig, dass man vermuten könnte, sie sei bereits abhanden kommen). Keine Frage, Gauck wird zunächst die deutsche Gesellschaft immer wieder vor den Abgründen der Ideologien warnen, die jeder modernen Gesellschaft – zumindest als Möglichkeit – innewohnt. Die Festlegung der Deutschen auf den Anti-Rassismus ist eine der Selbstverständlichkeiten, für die man in Zeiten rechten Terrors doch immer wieder neu eintreten muss.
Damit dies aber nicht nur ein lobpreisender Monolog über die jetzigen Machtverhältnisse wird, wird Joachim Gauck bald auch seine Position zum globalen Kapitalismus klären müssen. Wie steht es heute mit dem Anspruch auf Freiheit, auf Gerechtigkeit? Wie stehen wir zu den Opfern dieser Zeit? Man denke nur – um ein Beispiel zu nennen – an die zynische Spekulation unserer Geldhäuser mit Nahrungsmitteln, das Spiel mit dem Leben Dritter, über das wir ja allzu gut Bescheid wissen.
Die Muslime im Lande könnte Gauck leicht ansprechen und für sich gewinnen. Viele muslimische Immigranten dürften nach den Erfahrungen in ihren Heimatländern verstehen, was der Präsident über den Wert der Freiheit fühlt. Sein Vorgänger hatte schon einfachen „Heldenstatus“ mit einer simplen Formulierung über die Zugehörigkeit des Islam erlangt. Viele deutsche Muslime hören solche Bekenntnisse eher als eine Binsenweisheit. Aber, ein Präsident der an die Wahrung unserer natürlichen Rechte erinnert, ist durchaus willkommen.