Humorvoll: Anja Hilscher spricht über ihre neues Buch, mit dem sie vor allem aufklären möchte

(iz). Angesichts eines offenkundigen Negativimages stellen sich mittlerweile viele, unterschiedliche Muslime in Deutschland die Frage, was sie daran än­dern könnten. Die Notwendigkeit zur einem aktiven Herangehen an ­diese Notwendigkeit steht heute und für die nähere Zukunft ohne Frage auf der Tagesordnung der muslimischen Community.

Die deutsche Muslimin Anja Hilscher, freie Autorin und Sprachlehrerin, veröffentlicht im Frühling ihr Buch „Ima­geproblem. Das Bild vom bösen Islam und meine bunte muslimische Welt“, mit dem sie an den Fundamenten diverser Vorurteile und Missverständnisse rütteln möchte. „Wie ‘Phönix aus der Asche’ wird der authentische Islam auferstehen. Ein lebendiger, kreativer, toleranter, spiritueller, friedlicher Islam, in dem Frauen eine wichtige Rolle spielen werden!“, ist eine der positiven Quintessenzen der deutschen Muslim. Dass sie das mit einem ­guten Schuss Humor tut, macht die ­Lektüre umso interessanter.

Islamische Zeitung: Liebe Anja Hilscher, der Islam und die Muslime sind doch in aller Munde. In der Tagespresse, dem Fernsehen und im Internet finden sich täglich neue Beiträge. Sind wir nicht in ­dieser Hinsicht die informierteste Generation aller Zeiten? Muss man hier noch aufklären?

Anja Hilscher: Oh ja! Ich habe das Gefühl, es besteht ein riesiges Kommuni­kationsdefizit zwischen Muslimen und Nichtmuslimen bezüglich des Islam. Darunter verstehe ich als gläubige Muslima übrigens nur die im Qur’an dargelegte islamische Lehre – nicht aber irgendwelche mittelalterlichen Auslegungen oder gar sämtliche orientalischen Sitten. Da wird leider selten differenziert.

Wenn ich manche Bücher oder ­Artikel über den „Islam“ lese, erkenne ich ­meine Religion darin überhaupt nicht wieder. Das Problem ist, dass man buchstäblich von Adam und Eva anfangen muss, um die Missverständnisse soweit beseitigt zu haben, dass man überhaupt eine Diskus­sionsgrundlage hat. Denn Eva wurde laut Qur’an weder aus Adams Rippe geschaf­fen, noch hat sie ihn zum Sündigen verführt. Und eine Erbsünde gibt’s auch nicht… Wenn Muslime und Nichtmuslime überhaupt einmal ins Gespräch kommen, diskutiert man meist immer fröhlich aneinander vorbei. Es gibt bestimmte Qur’anverse, bestimmte ­Ahadith und Grundlagen des Islams, die praktisch nie zitiert und erwähnt werden, obwohl sie absolut essenziell sind. Stattdessen hält man sich mit Äußerlichkeiten auf.

Islamische Zeitung: Von Goethe stammt der Satz dass sich die Lüge jeden Tag vervielfältige und man ­daher jeden Tag die Wahrheit sagen müsse. Würde diese Einsicht die Absicht ihres neuen Buches „Imageproblem. Das Bild vom bösen Islam und meine bunte muslimische Welt“ widerspiegeln?

Anja Hilscher: Ja, genau. Goethe war ja nicht nur ein sehr kluger Mensch, sondern stand weltanschaulich dem Islam zumindest näher als dem Christentum. Von daher können Muslime seinen Aussagen meistens zustimmen. Im „Faust“ heißt es ja auch: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“ Genau das lehrt auch der Islam. Es geht darum, sich immer Mühe zu geben, sich anzustrengen (das Wort „Dschihad“ bedeutet ja lediglich „Anstrengung“). ­Alles Schlechte, wozu auch die Unwahrheit oder – noch schlimmer – die Halbwahrheit gehört, gewinnt an Boden, wenn man nicht täglich seinen kleinen persön­lichen „Dschihad“ dagegen führt.

Was den Islam betrifft, so habe ich das Gefühl, er wird sowohl durch das Zutun der Terroristen und Fanatiker als auch durch tendenziöse Darstellung in der Presse dermaßen verzerrt, dass viele Muslime erkennen: So geht es nicht weiter. Wir müssen selbst mehr über den Islam lernen und dann ganz dringend Aufklärungsarbeit leisten.

Islamische Zeitung: Wie ist ihr Buch aufgebaut?

Anja Hilscher: Ehrlich gesagt, nicht so fürchterlich systematisch. Ich war schon immer für mein Chaotentum berüchtigt. Aber vielleicht findet ja jemand anders eine Struktur darin. Nur innerhalb der einzelnen Kapitel habe ich versucht, so ansatzweise eine einheitliche Länge beizubehalten und inhaltlich immer ein Stück meiner Lebensrealität in Bezug zum Islam zu setzen. Relevante Qur’anverse und Ahadith habe ich ans Ende des Kapitels gestellt.

Ich finde, der Zusammenhang zwischen dem Glauben und der ­persönlichen aktuellen Lebensrealität wird von Muslimen selten hergestellt. Wenn man aber damit einmal anfängt, kommt man aus dem Selberdenken gar nicht mehr raus… und das wird in manchen Kreisen bekanntlich eher ungern gesehen.

Islamische Zeitung: Was möchten sie mit ihrem Titel erreichen? Was ist ihre Quintessenz?

Anja Hilscher: Also, ursprünglich war ein anderer Titel geplant, ein ganz schräger, der aber nach Ansicht der Marketingleute potenzielle Käufer wohl eher verstört hätte. „Imageproblem“ finde ich einerseits natürlich sehr passend, denn wenn es das Wort nicht gäbe, müsste man für das Thema Islam wohl erfinden. Andererseits klingt es fürchterlich abstrakt, ich konnte damit erst nicht so richtig warm werden. Meine Quintessenz ist: Der Islam ist so ungefähr das Gegenteil von dem, was die meisten Leute mit diesem Wort assoziieren. Ich hoffe einfach, einige zumindest ins Grübeln zu bringen – das wäre schon ein toller Erfolg.

Islamische Zeitung: Ihr Buch ist stellenweise – für das Thema oft ungewöhnlich – humorvoll geschrieben. Haben Sie bewusst auf dieses Stilmittel gesetzt, oder kam das natürlich?

Anja Hilscher: Das kam ganz natürlich. Schon in der Grundschulzeit hatte ich wegen meiner „mangelnden Ernsthaf­tigkeit“ böse Zeugniseinträge, und seitdem habe ich an sittlicher Reife leider wenig hinzugewonnen. Gerade in Bezug auf das Thema Religion, namentlich ­Islam, stößt das sicher ab und zu auf Befremden. Das ist aber eine meiner Hauptbotschaften – Muslime sind wirklich sehr selten humorlos und verbiestert! Vielleicht ist das auch ein Phänomen, das sich generell bei stigmatisierten Minderheiten wieder finden lässt – entweder, sie gettoisieren sich und werden fanatisch, oder sie entwickeln Humor (meist auch Galgenhumor). Man müsste das mal untersuchen. Zum Beispiel im Rahmen eines neuen Studienfachs: „interkulturelle Humorkunde“. Ich würde mich sofort da einschreiben, wa’Llahi!

Islamische Zeitung: Glauben sie, dass man mit einem solchen Buch jene Bevölkerungsschichten erreichen kann, bei denen Vorurteile gegen den Islam und die Muslime besonders oft zu finden sind?

Anja Hilscher: Nein. Ich fürchte nicht. Schon alleine, weil ich denen bereits in den ersten Zeilen rate, lieber gar nicht weiterzulesen. Die kriegen nämlich im Buch ziemlich oft ihr Fett weg. Die Denkweise dieser Leute kenne ich seit einem knappen Vierteljahrhundert, und da hört man bei mir wohl auch oft ein paar Ressentiments durch.

Während des Schreibens habe ich ­diese mir so vertrauten Argumente und Einwände vor meinem „geistigen Ohr“ ­quasi gehört. Dann habe ich die gleich in kursiver Schrift ins Kapitel eingebaut, oft in reichlich überzeichneter Form, und ­beantwortet.

Dabei konnte ich meine Neigung zum Sarkasmus leider nicht ganz unterdrücken… Ich hoffe aber, das klar ist, dass das ein freundlicher Spott ist – immer mit einem Augenzwinkern. Ich will niemand wirklich verletzen, aber humorlo­se, islamophobe Menschen werden meinem Buch wahrscheinlich keinen Ehren­platz im Regal einräumen. Die werden das Buch aber auch nicht zu Ende ­lesen, denke ich.

Islamische Zeitung: Erwarten sie beziehungsweise erhoffen sie sich bestimmte Reaktionen auf das Buch? Sind Lesungen und begleitende Aktionen um das Buch herum geplant?

Anja Hilscher: Ich möchte aufklären und Missverständnisse beseitigen, sonst nichts. Ich hoffe, dass das auch ohne viel Medienrummel gelingt. Es geht mir um nichts anderes als den Inhalt – zum skrupellosen Raubkopieren ermutige ich also ausdrücklich. Nein, natürlich nicht, das war jetzt nur ein Scherz! Ich hoffe auch sehr, dass ich keine allzu negativen ­Reak­tionen bekomme, ohne die es wohl nicht abgehen wird. Ich wünsche mir, dass das sympathische Gesicht des Islams, vor allem seiner Grundlagen, in der Öffentlichkeit endlich bekannt wird. Mit der Medienarbeit beginnen wir jetzt erst, so dass bisher noch nichts Großartiges ­geplant ist.

Islamische Zeitung: Gab es im Vorfeld bereits Interesse seitens der ­Medien?

Anja Hilscher: Nein, es wurde ja auch bisher keinerlei Werbung gemacht. Der Verlag hielt es verkaufsstrategisch für günstiger, damit zu warten. Die Nachfragen kommen jetzt erst langsam.

Islamische Zeitung: Es heißt ja, dass ein Bild mehr sagt als tausend Worte. Brauchen die deutschen Muslime nicht auch praktische Beispiele eines gelebten Islams, anhand dessen die ­Realität des Islam erfahrbar, fühlbar wird?

Anja Hilscher: Tja. Eine sehr gute Frage. Es ist sicher toll, wenn einem der Islam von so einem wirklich tief ­gläubigen, warmherzigen Menschen ohne viel Worte vorgelebt wird. Andererseits sind ­solche Leute oft ungebildet. Deshalb sehe ich die Gefahr, dass sie unter Umständen auch nicht das religiöse Wissen haben, um zwischen ihrer Herkunftskultur und der islamischen Lehre zu differenzieren, was ja dauernd passiert. Ich persönlich wurde fast ausschließlich von Büchern und Konvertiten geprägt – das ist nicht leicht, so einen theoretischen Islam für sich selbst mit Leben zu füllen, besonders an Feiertagen. Mein Traum ist, einmal einen Ramadan in einem islamischen Land mitzumachen!

Islamische Zeitung: Als Muslim, der sich bewusst für seine Religion entscheidet, lernt man, Wichtigs von Unwichtigem, die Religion von kultu­rel­len Überresten zu unterscheiden. Würden sie zustimmen, dass es die „neuen Muslime“ braucht, ein authen­tisches Bild des Islam zu zeichnen?

Anja Hilscher: Ganz genau! Allerdings verstehe ich unter „neuen Muslimen“ nicht nur Konvertiten, sondern auch „geborene“ Muslime, die sich aber bewusst mit dem Islam auseinandersetzen und sich für ihn entscheiden – zwischen diesen beiden besteht wenig Unterschied. Ich glaube, sowohl die Globalisierung als auch dieses unsägliche Image sind eine Chance für den wahren Islam.

Der Politikwissenschaftler Abdel-Samad prophezeit ja den „Untergang der islamischen Welt“. Als gläubiger Mensch gehe ich aber davon aus, dass noch nicht aller Tage Abend ist. Wie „Phönix aus der Asche“ wird der authentische Islam auferstehen. Ein lebendiger, kreativer, toleranter, spiritueller, friedlicher Islam, in dem Frauen eine wichtige Rolle ­spielen werden! Ich glaube das wirklich ganz fest, schon allein, weil mein Optimismus ans Pathologische grenzt.

Islamische Zeitung: Liebe Frau Hilscher, vielen Dank für das Gespräch.