
Der Krieg in Nahost findet auf den Covern von Spiegel, Focus und Stern kaum statt. Palästinensisches Leid ist nahezu unsichtbar, Empathie gibt es nur mit Israelis. Ein Titelseiten-Check ab dem 7. Oktober 2023.
(iz). 700 Tote in nur drei Tagen, darunter über 200 Kinder. Mit einem kaum vorstellbaren Maß an Gewalt hat Israel die „Waffenruhe“ im Gazastreifen beendet. Im starken Kontrast zum Ausmaß des Massakers:
Die Gleichgültigkeit der deutschen Öffentlichkeit. Während die israelische „Haaretz“ vom „größten Massaker an Kindern in der Geschichte Israels“ schreibt, ist das auch mit deutscher Unterstützung begangene Verbrechen hierzulande kaum ein Thema.
Krieg auf den Titelseiten: Tote Palästinenser werden kaum wahrgenommen
Knapp anderthalb Jahre nach Beginn des Krieges in Nahost nehmen die meisten deutschen Medien tote Palästinenser kaum noch wahr. Auch in den großen deutschen Nachrichtenmagazinen sind die jüngsten israelischen Angriffe kein Thema.
Weder „Spiegel“, noch „Stern“ oder „Focus“ erwähnen den Angriff in ihren aktuellen Ausgaben auch nur mit einem Wort. Ihre Titelseiten widmen die Magazine Buchempfehlungen („Der Spiegel“), Reisetipps („Focus“) und einer Debatte rund um die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr („Der Stern“).
Ich wollte wissen: Wie berichten Deutschlands wichtigste Nachrichtenmagazine auf ihrer wichtigsten Seite über eines der wichtigsten Nachrichtenthemen der letzten anderthalb Jahre? Ist das Desinteresse gegenüber dem aktuellen Massaker in Gaza nur die Ausnahme von der Regel oder ignorieren Spiegel, Stern und Focus konsequent das Leid in Nahost?
Um das herauszufinden, habe ich mir die Cover aller Ausgaben, die zwischen dem 7. Oktober 2023 und dem 21. März 2025 erschienen sind, genauer angeschaut. Insgesamt kommen Spiegel (75), Focus (74) und Stern (76) in dieser Zeit auf 225 Ausgaben. Jede Menge Platz also, um den zahllosen einschneidenden Ereignissen im Nahen Osten der letzten anderthalb Jahre gerecht zu werden.
Auf den Covern spielt der Krieg keine große Rolle
Das könnte man zumindest meinen. Doch der Krieg in Nahost findet auf den Titelseiten der großen deutschen Nachrichtenmagazine kaum statt. Insgesamt 15 Titelgeschichten beschäftigen sich im weitesten Sinne mit dem Thema – Ausgaben mit innenpolitischem (z.B. Antisemitismus in Deutschland) oder symbolischem (Kufiya-tragender Islamist) Bezug zum Thema mit eingerechnet. Das von Israel in der Region verursachte Leid wird sogar nur auf 3 Covern sichtbar gemacht.
Mit 7 Titelseiten räumte der „Der Spiegel“ Ereignissen rund um den Krieg im Nahen Osten am meisten Platz ein, „Focus“ und „Stern“ kamen auf je 4 Cover. Zum Vergleich: Allein Olaf Scholz schaffte es in dem Zeitraum 8-mal auf das Spiegel-Cover.
Der US-Wahlkampf und seine Protagonisten fand dort sogar 10-mal statt. Im „Focus“ kamen unterdessen auf jede Titelseite mit Nahost-Bezug sechs mit Themen rund um Gesundheit und Ernährung (24).
Ungleichgewichte bei der Darstellung
Große Unterschiede gibt es, schaut man sich an, worüber genau die großen Nachrichtenmagazine berichten – und worüber nicht. Mitfühlende Titelbilder, beispielsweise von weinenden Menschen, gibt es in „Spiegel“, „Stern“ und „Focus“ fast nur dann, wenn die Opfer Israelis oder Juden sind.
Das Desinteresse der großen deutschen Nachrichtenmagazine verwundert umso mehr, als dass es in anderthalb Jahren Krieg in Nahost eigentlich jede Menge Ereignisse von großem Nachrichtenwert zu berichten gegeben hätte.
Foto: Sharaf Maksumov, Shutterstock
Die Tötung von zehntausenden Menschen, das systematische Aushungern und Vertreiben von Millionen, die Zerstörung ganzer Städte, die unzähligen Massaker und Brüche des Völkerrechts, der Einmarsch Israels in den Libanon und nach Syrien, die Vorwürfe des Völkermordes… all das fand auf den Titelseiten der großen deutschen Nachrichtenmagazine nicht statt.
Es liegt nicht an der Konkurrenz von Themen
Man kann einwenden, dass der Krieg in Nahost nicht das einzige nachrichtlich wichtige Ereignis ist. Das stimmt. Krieg in der Ukraine, Wahlkampf in den USA, Neuwahlen in Deutschland, Migrationsdebatte, Klimakrise… In den vergangenen anderthalb Jahren gab es viele Themen, über die berichtet werden konnte und musste.
Doch „Spiegel“, „Stern“ und „Focus“ interessierten sich selbst dann nicht für den Krieg in Nahost, wenn nachrichtlich kaum Konkurrenz bestand.
Foto: IDF Spokesperson’s Unit, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 3.0
Während Ende Dezember im Gazastreifen bereits über eine Million Menschen auf der Flucht waren, israelische Panzer auf Khan Younis vorrückten und fast täglich Massaker mit über 200 Toten Schlagzeilen machten, erfuhren Spiegel-Leser mehr über „Die Macht des Mondes“ (1/25).
Als am 26. Januar 2024 der Internationale Gerichtshof (IGH) in Israels Kriegshandlungen Anzeichen für einen Völkermord sah, lautete die Titelgeschichte des „Focus“: „Besser Schlafen“ (6/24).
Zerstörung und Leid in Gaza, der Westbank, dem Libanon, Syrien oder Jemen spielt auf den Titelseiten der drei so gut wie keine Rolle. Menschen aus Palästina, Libanon o.a. – sowie ihre Unterstützer – begegnet man auf den Covern aber trotzdem – nicht als Betroffene von Gewalt, sondern als Aggressoren, Feindbilder und Klischees.
„Greta Thunberg und die linken Feinde Israels.“ So lautet am 18. November 2023 die Titelgeschichte im „Spiegel“ (47/23). Einen Monat später blickt ein maskierter Kämpfer sowie Hamas-Chef Sinwar bedrohlich vom Cover des Nachrichtenmagazins: „Lässt sich die Hamas besiegen?“ (51/23). Palästinenser sind auf dem Cover des „Focus“ nur einmal zu sehen.
Unter der Überschrift „Die Schattenkrieger“ blicken Anfang April 2024 mehrere Männer von der Titelseite des Magazins. Zu sehen sind u.a. die seit 20 Jahren in Israel inhaftierte palästinensische Widerstandsikone und in westlichen Medien häufig als „palästinensischer Mandela“ bezeichnete Marwan Barghouti.