Wurde die brutale IS-Herrschaft von Seiten der Pentagon-Strategen bewusst in Kauf genommen?

Damaskus/Bagdad/Berlin (GFP.com). Die westlichen Mächte haben salafistische Organisationen im Syrien-Krieg gezielt gestützt und die Gründung des „Islamischen Staats“ (IS) im Kampf gegen das Assad-Regime vollauf bewusst in Kauf genommen. Dies geht aus einem deklassifizierten Papier des US-Militärgeheimdiensts DIA („Defense Intelligence Agency“) hervor, das vergangene Woche veröffentlicht worden ist. Demnach hielt die DIA im August 2012 nicht nur die Errichtung eines „salafistischen Fürstentums“ in Ostsyrien für denkbar, das von den westlichen Mächten, Saudi-Arabien und der Türkei sogar gewünscht werde.

Der Geheimdienst rechnete auch damit, dass über die syrisch-irakische Grenze hinweg ein „Islamischer Staat“ entstehen könne – mit „schrecklichen Konsequenzen“, wie es in dem stark zensierten DIA-Papier heißt. Ungeachtet der drohenden Gefahren drang auch die Bundesregierung im Sommer und im Herbst 2012 energisch auf Assads Sturz – und sprach sich dabei ausführlich mit Saudi-Arabien ab, dem maßgeblichen Förderer salafistischer und jihadistischer Milizen, darunter der IS.

Die Hauptkräfte des Aufstands
Wie das kürzlich deklassifizierte DIA-Dokument bestätigt, ist sich die US-Spionage – und mit ihr die US-Administration sowie mutmaßlich auch die Regierungen anderer führender NATO-Staaten – über den starken Einfluss von Salafisten und Jihadisten im Syrien-Krieg schon im Sommer 2012 vollauf im Klaren gewesen. „Im Innern haben die Ereignisse eine klar konfessionelle Richtung eingeschlagen“, heißt es in dem siebenseitigen Schriftstück über die Lage im Land: „Die Salafisten, die Muslimbruderschaft und Al Qaida im Irak sind die Hauptkräfte, die den Aufstand in Syrien antreiben.“

Al Qaida im Irak habe „die syrische Opposition von Anfang an unterstützt“, um einen Religionskrieg gegen die alawitische Assad-Regierung anzuzetteln, heißt es weiter. Es sei durchaus möglich, dass „im östlichen Syrien (Hasaka und Deir ez-Zor)“ in absehbarer Zeit „ein erklärtes oder nicht erklärtes salafistisches Fürstentum gegründet“ werde. Tatsächlich rief der heutige selbsternannte Kalif Abu Bakr al Baghdadi im April 2013 im Osten Syriens den „Islamischen Staat in Syrien“ aus.

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Ein salafistisches Fürstentum
Die Gründung eines „salafistischen Fürstentums“ sei nun „genau, was die Mächte wollen, die die Opposition unterstützen“, urteilten im August 2012 die DIA-Autoren. Hintergrund war demnach der Machtkampf des Westens gegen Iran, die Hauptmacht des schiitischen Islam. Assads Regierung werde von den Unterstützern der syrischen Opposition – vom „Westen, den (arabischen, d. Red.) Golfstaaten und der Türkei“ – als Verbündeter Teherans betrachtet, „als strategische Tiefe der schiitischen Expansion“, erläutern die DIA-Autoren.

Ein „salafistisches Fürstentum“ in Ostsyrien werde helfen, „das syrische Regime zu isolieren“ und die „schiitische Expansion“ zurückzudrängen. Seine Gründung liege deshalb im Interesse der westlichen Staaten. In der Tat hat die brutale Gewaltherrschaft des „Islamischen Staats in Syrien“ bis Mitte 2014 im Westen keinerlei Reaktionen hervorgerufen – auch nicht in Berlin.

Schreckliche Konsequenzen
Dabei ist sich der Westen, wie das DIA-Dokument zeigt, über die Risiken vollauf im Klaren gewesen. Man wisse, dass die Bevölkerung Ostsyriens zu derjenigen des angrenzenden Westirak enge Stammesbeziehungen unterhalte, heißt es in dem Schriftstück; auch sei bekannt, dass religiöse Kräfte im Westirak nach Beginn des syrischen Aufstands dazu aufgerufen hätten, die Sunniten im Nachbarland bei ihren Kämpfen zu unterstützen.

Eine „Verschlechterung der Lage“ könne nun zu „schrecklichen Konsequenzen für die Situation im Irak“ führen, schrieben die DIA-Autoren: Die aufgeheizte Stimmung einige die Bevölkerungen Ostsyriens und des Westirak – und schaffe damit „eine ideale Atmosphäre für Al Qaida im Irak“, um in ihre alten Hochburgen Mossul und Ramadi zurückzukehren. Letzten Endes könne dies in die Gründung eines „Islamischen Staats“ münden, der Ostsyrien und den Westirak zusammenschließe, warnte die DIA: „eine ernste Gefahr für die Einheit des Irak und den Schutz seines Territoriums.“ Zu den „schrecklichen Konsequenzen“ zählte der Geheimdienst auch die erwartete Sammlung „terroristischer Elemente aus der gesamten Arabischen Welt im Irak“.

Keine Einsichtnahme
Dass die Lage in Syrien und die Gefahren der DIA bekannt, der deutschen Auslandsspionage hingegen nicht geläufig gewesen seien, kann als ausgeschlossen gelten. Jenseits der üblichen transatlantischen Kommunikationskanäle war der Bundesnachrichtendienst (BND) damals auch aufgrund eigener Kapazitäten hervorragend über die Entwicklung in Syrien informiert. „Kein westlicher Geheimdienst hat so gute Quellen in Syrien wie der BND“, wurde im August 2012 ein US-Agent in der deutschen Presse zitiert. Wie es damals hieß, hörten BND-Mitarbeiter auf dem NATO-Stützpunkt im türkischen Adana Telefon und Funk in Syrien ab; sie besäßen sogar Quellen „im direkten Umfeld des Assad-Regimes“, wurde berichtet. „Wir können stolz darauf sein, welchen wichtigen Beitrag wir zum Sturz des Assad-Regimes leisten“, äußerte ein BND-Mann im August 2012. Bereits mehrmals war zu diesem Zeitpunkt ein Spionageschiff der deutschen Kriegsmarine vor der syrischen Küste gekreuzt; es ist fähig, Landgebiete bis in 600 Kilometer Entfernung von der Küste zu überwachen. Nachprüfbar ist der damalige Kenntnisstand des BND für die Öffentlichkeit allerdings nicht: Anders als in den Vereinigten Staaten ist die Einsichtnahme in derart heikle Papiere – wenn auch stark zensiert – in Deutschland praktisch unmöglich.

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