Der Fall erregt weltweit Aufsehen. Zehn Jahre nach dem Tsunami hat ein Elternpaar in Indonesien seine totgeglaubte Tochter wiedergefunden. Seit kurzem ist das Mädchen zurück bei seiner Familie.
Banda Aceh (dpa). An den wohl schlimmsten Moment in ihrem Leben kann sich die 14 Jahre alte Indonesierin Raudhatul Jannah nicht mehr erinnern. Es ist ja auch fast zehn Jahre her, dass der Tsunami sie und ihren Bruder den Eltern entriss und ins Meer schleuderte. Vier Jahre war Raudhatul alt, als Südostasien am zweiten Weihnachtsfeiertag 2004 eine der verheerendsten Naturkatastrophen erlebte.
Die Eltern aus der Provinz Aceh auf Sumatra hatten sich an einem Holzbrett festgeklammert, nachdem die meterhohe Welle ihr Haus erfasste. Verzweifelt versuchten sie, ihre Kinder festzuhalten – vergeblich. Das Paar musste irgendwann davon ausgehen, dass Tochter und Sohn tot waren. Vom damals sieben Jahre alten Bruder fehlt noch immer jede Spur.
Doch dann ein Wunder: Im Juni dieses Jahres sah ein Onkel zufällig ein Mädchen, das Raudhatul ähnelte. Ende Juni traf die Familie erstmals zusammen, seit kurzem lebt die 14-Jährige wieder bei ihren Eltern. Eine ältere Frau aus der benachbarten Provinz Barat Daya hatte die Vierjährige nach dem Tsunami bei sich aufgenommen.
Wie eine Mutter hat sich Sarwani nach eigenen Angaben all die Jahre um die kleine Raudhatul gekümmert. Ihr Schwiegersohn habe das Kind damals auf den Banyak-Inseln gefunden, sagt die 62-Jährige. Offenbar hatten Fischer das Mädchen aus dem Meer geborgen. «Ich wusste nicht, dass ihre Eltern noch am Leben sind», sagt Sarwani. «Doch ich bin froh, dass sie jetzt wieder vereint ist mit ihrer Familie.»
Raudhatul, ein schüchternes Mädchen mit rosafarbenen Kopftuch und purpurnen Kleid, erzählt vom Wiedersehen mit den Eltern: «Ich bin glücklich, wieder mit meiner Mutter und meinem Vater zusammen zu sein. (…) Ich bin auch froh, einen neuen Bruder zu haben», sagt sie zu ihrem neuen Geschwisterchen (7). Das Mädchen glaubt, dass sein damals verschwundener Bruder noch am Leben ist. «Ich habe gehört, dass er auf den Banyak-Inseln lebt, aber ich weiß nicht in welchem Dorf.» Die dünn besiedelte Inselgruppe liegt 40 Kilometer vor der Westküste Sumatras.
«Als ich sie zum ersten Mal sah, schrie ich und hielt sie ganz fest», erinnert sich die 42-jährige Mutter Jamaliah an das Wiedersehen. «Ich wusste sofort, dass sie meine Tochter ist, weil es eine starke spirituelle Verbindung zwischen einer Mutter und ihrem Kind gibt.» Ob Raudhatul wirklich alles vergessen hat oder ihr schlicht die Worte für das Erlebte fehlen, ist nicht klar. Mutter Jamaliah hat versucht, dem Gedächtnis der Tochter auf die Sprünge zu helfen.
Vater Septi Rangkuti kann sich dagegen noch gut an jenen dramatischen Moment erinnern: «Ich hielt Raudhatul Jannah und lief mit Arif Pratama (ihrem Bruder), als uns plötzlich eine riesige Tsunami-Welle umschlang. Ich fand eine Holzplanke, setzte sie und Arif darauf, doch Minuten später traf uns eine andere Welle und ich verlor sie», erzählt der Vater, der am Donnerstag mit seiner Familie für ein Interview mit dem staatlichen Fernsehen in die Provinzhauptstadt Banda Aceh reiste.
«Wir suchten sie in den Leichenbergen, aber konnten sie nicht finden», sagt er. Nach einem Monat hätten er und seine Frau davon ausgehen müssen, dass ihre Kinder tot seien. Der Tsunami, der auf ein heftiges Seebeben vor der Insel Sumatra folgte, tötete 230 000 Menschen in 14 Ländern rund um den Indischen Ozean. In Aceh starben 170 000 Menschen.