
(iz). Die Pandemielage droht in Deutschland zu einer unendlichen Geschichte zu werden. Zudem sorgt die mögliche Mutation des Virus inzwischen die Politik und Wissenschaft gleichermaßen. Von der gelegentlich geäußerten Hoffnung, dass die Maßnahmen zu einer neuen Achtsamkeit im Umgang mit der Natur führen könnte, ist kaum noch zu hören. Der weiterhin drohende Kollaps der Gesundheitssysteme lässt für derartige Romantik keinen Raum. Allein der in Umlauf gebrachte Impfstoff verspricht Besserung, selbst wenn eine beachtliche Zahl von Deutschen ihre Skepsis gegenüber einer Impfung nicht überwunden hat.
Nach einem Corona-Jahr mit vielen schlechten Nachrichten sehnt man sich dennoch nach positiven Bewertungen. Auf SPIEGEL-Online bot Henrik Müller, Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus an der TU Dortmund, in diesen Tagen eine in Optimismus getauchte Zukunftsvision an. Für ihn hat die Pandemie eine andere Qualität ins Spiel gebracht: Die aktuelle Unsicherheit wurzelt nicht wie gewohnt im politischen oder ökonomischen Feld, schreibt er, sondern sie kommt aus der Natur.
Die Wendung zum Besseren sieht er nunmehr in der erfolgreichen Mobilisierung gegen die Störung aus der Welt der Biologie, denn „die Moderne lässt sich verstehen als Großprojekt gegen die Unsicherheit“. Die Vision einer Beherrschung der an sich unwirtlichen Natur wird in Deutschland üblicherweise eher skeptisch gesehen. Man verknüpft sie seit Goethes Zeiten gerne mit der Gestalt des „Faustischen“ und mit der Sorge um Kollateralschäden, die sich aus der Globalisierung und der technischen Revolution ergeben.
Wir erleben zurzeit eine paradoxe Situation. Während das öffentliche Leben mit Maßnahmen, die im Kern schon im Mittelalter angewandt wurden, still steht, kann von einer echten Entschleunigung keine Rede sein. Parallel entsteht eine neue, beschleunigte digitale Welt, die von der Idee des digitalen Geldes bis zum Siegeszug der Online-Händler reicht. Das Gesetz der permanenten Revolution, die „nie ans Ziel gelangen darf, die immer auf der Flucht nach vorn“ ist, ist ein Phänomen, das Michael Jaeger in seinem Buch „Global Player Faust“ beschreibt. Es gilt nach wie vor.
Die Geschichte wird zeigen, ob die Pandemie wirklich eine grundsätzliche Neuorientierung des Menschen mit sich bringt. Im Moment streiten Skeptiker und Optimisten um die Deutung des Geschehens. Für den Optimisten Henrik Müller zeigt sich die Wendung zum Besseren in drei Phänomenen: Expertenmüdigkeit und Technikskepsis sind verflogen, der Staat als „Akteur der letzten Zuflucht“ ist zurück im Spiel und Corona dämmt den Populismus ein.
Diese drei Thesen Müllers würden Skeptiker anders formulieren: Wissenschaftsgläubigkeit ersetzt Religion, der autoritäre Staat als Garant des Überlebens findet Zustimmung und uniforme Meinungsbilder setzen sich durch. Und: Eine gigantische Geldproduktion zur Abfederung der ökonomischen Folgen der Krise wird inzwischen als Teil eines natürlichen und rationalen Wirtschaftens angesehen.
Im Grunde streiten hier Meinungen, die sich dialektisch einfach beschreiben lassen. Optimisten sehen im Siegeszug der Wissenschaft und der Technik die einzige Chance für eine gelungene Zukunft. Sie setzen auf eine gute Technologie, die immer mehr Sicherheit, Wohlstand und Umweltschutz gewähren soll. Alternativen zu diesem Ansatz („There is no Alternative“) – aus dem Feld der Religion oder aus der Idee alternativer Wissenschaften – sind aus Sicht der Optimisten nahezu undenkbar, in Teilen sogar verdächtig geworden.