Zum Film "Fetih 1453". Reflexionen von Abdelkarim Sari

Ausgabe 203

(iz). Micha Brumlik schrieb in der taz eine Kritik zu dem türkischen Kinofilm „Fetih 1453“ („Die größte Kanone der Welt“, taz 8.3.12). Um den taz-Lesern einen Perspektivwechsel zu ermöglichen, wurde der folgende Artikel verfasst. Die Redaktion der taz lehnte die Veröffentlichung ab.

Wenn ich die Kritik von Micha ­Brumlik zu dem türkischen Kinofilm „Fetih 1453“ lese, erinnert mich das an das beeindruckende Buch von Jean Delumeau „Angst im Abendland“, in dem er die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts aufzeigt. Das Abendland hat nach Delameau ein Problem mit Frauen, Hexen, Juden und ­Türken/Muslimen (gehabt). Delmeau zeigt in seinem Buch, wie diese Phobie dazu führte, dass man Tatsachen verdrehte und Lügen erfand, nur um diese Feindschaft/Phobie rechtfertigen und aufrechterhalten zu können. Die Erzählungen über „die barbarischen Türken“ wirken bis heute im Kollektiv Europas. Das beweist dieser Artikel von Micha Brumlik sehr eindrucksvoll.

„Fetih 1453“ ist ein historischer Film. Wer vorher unter anderem Filme wie „Troja“, „Alexander der Große“ oder „Königreich der Himmel“, wird die Kritik von Bumlik nicht nachvollziehen können. „Lange hat man keinen Film mehr gesehen, der Töten und Sterben, ein­schließlich des militärisch-religiös motivierten Selbstmordes so inbrünstig verherrlicht, Geschichte so schamlos klittert und seinem Publikum eine so eindeutig reaktionäre Botschaft auf den Weg gibt.“ Offenbar scheint er vorher keine dieser Hollywood-Verfilmungen gesehen zu ­haben. Dann aber saß er definitiv im falschen Film.

Dass er in diesen Film gleich einen „Traum vom Triumph über den Westen“ hineininterpretiert, geht weit über eine gut gemeinte Filmkritik hinaus. In „300“ oder „Alexander der Große“ werden die Perser als gemeine Bösewichte dargestellt, wer hat sich daran gestört? Man könnte 1001 Hollywoodproduktionen aufzählen, in denen die muslimische Welt und Kultur sehr schlecht dargestellt wird. Können wir das als einen Triumph und eine heimliche Genugtuung des Westens über dem Morgenland interpretieren?

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Brumlik spricht nicht die Wahrheit, wenn er schreibt, dass die Türken „Kinder, Greise und Kranke ermordeten“. Die Anti-Türken-Kampagne im Mittelalter hat derartige Schreckenszenarien verbreitet, um Sympathie-Bekundungen gegenüber dem Sultan zu unterbinden. Tatsächlich ging es den christlichen Untertanen im osmanischen Reich oft besser als in vielen anderen europäischen Fürstentümern. Jean Delumeau berichtet in seinem bereits erwähnten Buch über eine sehr interessante Anekdote, die diese Feststellung untermauert: Denn Muslime würden niemals auf die Idee kommen, einen „Kindermörder“ als Helden zu verehren. Das ist ihnen fremd. Es passt nicht zu ihrer Mentalität und zu ihrer Ethik. Um das zu wissen und zu verstehen, muss man aber mehr über die Muslime und ihrem Selbstverständnis erfahren.

Andererseits wurden und werden in Europa Leute wie Richard Löwenherz verehrt, obwohl man weiß (und es ist der entschei­dende Punkt, dass man es weiß), dass er Tausende unschuldige Zivilisten, ­Frauen und Kinder ermorden ließ.

Mich Brumlik ließ zwischen den Zeilen erkennen, dass er sich wohl gewünscht hätte, dass die Freiwillige ­Selbstkontrolle (FSK) die Freigabe des Films verweigern würde. Das dies nicht möglich ist, gesteht er zwar ein, fragt sich aber, warum dieser Film nicht öffentlich diskutiert und verurteilt wurde.

Es stellt sich für mich die Frage, ob er ähnliche Forderungen auch bei anderen Filmen, Beispielsweise der Hollywoodverfilmung „300“, gestellt hatte? Denn nur dann können durchaus berechtigte Sorgen und Ängste über allgemeine Gewaltverherrlichung in Kinofilmen auch ernstgenommen werden. Sonst muss man sich den Vorwurf gefallen lassen, mit zweierlei Maß zu messen.

Wer Muslimen hunderte Hollywoodfilme zugemutet hat, in denen sie oft schlecht dargestellt wurden, muss ertragen können, dass die Muslime anfangen haben, Filme zu drehen, die die Ereignisse aus ihrer Sicht zeigen.