Alles ein Frage der Hierarchie

Ausgabe 276

Foto: Wouter Engler, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 4.0

(iz). ­Am 23. März erschien in der „Welt“ ein Interview mit Ahmed Mansour. In diesem kritisiert er die Aussage Merkels, der Islam würde ­inzwischen zu Deutschland gehören, welche er für undifferenziert hält. Auf die Frage, welcher Islam zu Deutschland gehöre, antwortet Mansour, dass „ein Islam, der ohne Wenn und Aber hinter Demokratie und Menschenrechten steht und keine exklusiven Rechte beansprucht“, zu unserem Land gehören könne. „Ein Islam, der im Privaten gelebt wird, der sich nicht isoliert und dafür sorgt, dass Muslime in Deutschland ankommen.“
Zunächst einmal: Der Islam beansprucht ­keine Rechte. Im Grunde gibt es nicht einmal ein Subjekt namens „Islam“, das etwas beanspruchen könnte. Menschen tun dies. Was also meint Herr Mansour mit der Beanspruchung von „exklusiven Rechten“? Wann wird ein Recht zu einem Exklusivrecht?
Der konstruierte Widerspruch, als Muslim nicht gleichzeitig für Demokratie und ­Menschenrechte stehen zu können, klingt hier einmal mehr an. Es ist müßig, immer wieder darauf hinzuweisen, dass Demokratie, Menschenrechte und Islam nicht im Widerspruch zu einander stehen. Sehr wohl ist es aber ein Widerspruch, zu fordern, dass Muslime ihre Glaubenspraxis lediglich im Privaten leben sollen, obwohl der Sinn der Religionsfreiheit darin besteht, dass niemand seinen Glauben verstecken muss.
Ein Islam, welcher nicht zu Deutschland gehören kann, würde laut Mansour von muslimischen Verbänden und Moscheegemeinschaften gefördert. Er zeichnet ein düsteres Bild von „Geschlechterapartheid, Sprech- und Denkverbote(n) und Antisemitismus“ und fordert positive Vorbilder. Man muss sich fragen, ob Mansour die positiven, authentischen Vorbilder, die es zahlreich auch gibt, bewusst ausblendet und wenn ja, wieso er das tut. Wem nützt diese Schwarzmalerei?
Immerhin gibt es für Mansour auch ­„progressive Muslime“: „Es gibt viele ‘schweigende’ Muslime, die sich nicht nur über ihre Religion definieren. Diese beten zum Beispiel nicht regelmäßig oder praktizieren ihren Glauben überhaupt nicht. Sie sind etwa ­unsere Nachbarn, unsere Ärzte (…) Es sind Menschen, die ihrem Glauben keine politische Dimension geben.“
In der Vorstellung Mansours zeichnet sich die schweigende, gut integrierte Mehrheit der Muslime nicht zuletzt dadurch aus, dass sie es mit den Pflichtgebeten nicht allzu genau nehme und im Grunde nur dem Namen nach „muslimisch“ sei. Herr Mansour maßt sich hier nicht nur an, für diesen kollektiven, „schweigenden“ Teil der Muslime das Wort zu ergreifen. Er lehnt sich sogar noch weiter aus dem Fenster, indem er sich scheinbar dazu berufen fühlt, darüber zu befinden, welcher Typus von Muslimen als „gut integriert“ ­gelten soll. Für ihn scheint es ausgeschlossen, dass „unsere Nachbarn, unsere Ärzte“ fünf Mal täglich beten oder in die Moschee gehen und dennoch nicht minder gute Nachbarn oder Ärzte sind. Dabei bedarf es wahrlich keiner großen Anstrengung, Muslime ausfindig zu machen, die bestens integriert sind und ihren Glauben als Bestandteil ihres Lebens sehen, ohne sich selbst auf ihren Glauben zu reduzieren. Diese Muslime scheinen für den Autoren nicht existent zu sein oder aber er ignoriert sie bewusst.
Mansour bedient hier ein Narrativ, das ganz klar antimuslimische, rassistische Vorurteile nicht nur reproduziert, sondern buchstäblich einzementiert, indem er andere Narrative gar nicht erst zulässt. Er versucht, Zusammenhänge und Gegensätze zu konstruieren, die mitnichten der gelebten vielfältigen muslimischen Lebenspraxis entsprechen. Man muss sich fragen, ob er diese aus mangelnder Kenntnis ausblendet oder sie mit Kalkül übersieht. Ganz zu schweigen davon, dass man ihm dringend die Frage stellen sollte, wie er denn zu seinen Erkenntnissen über die „schweigende muslimische Bevölkerung“ gelangt ist, wenn diese sich doch nun einmal gerade dadurch auszeichnet, dass sie schweigt.
„Dazu kommen Muslime, die versuchen, Sonderrechte für ihren Glauben durchzusetzen. Das sind etwa Lehrerinnen, die ihr Recht einklagen wollen, mit Kopftuch zu unter­richten.“ Eine muslimische Bürgerin, die sich gegen Diskriminierung wehrt und ihr Recht auf Gleichbehandlung einklagt, fordert aus der Sicht Mansours „Sonderrechte“. Eine Muslimin mit Kopftuch muss sich nach dieser Denklogik unterordnen und darf nicht vor Gericht ziehen. Es ist schon mehr als ironisch, dass man Kopftuchträgerinnen, die nur allzu häufig als unterwürfig und unmündig stilisiert werden, zum Vorwurf macht, dass sie sich eben nicht unterordnen und ihr Recht auf freie Selbstbestimmung sogar vor Gericht ­einklagen. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass sich für Mansour Feminismus und das Kopftuchtragen per se ausschließen. Es kann eben nicht sein, was nicht sein darf.
Für Mansour ist der Rassismusvorwurf ein Totschlagargument, um Debatten zu vermeiden. Als wären Muslime in Deutschland nicht bereits daran gewöhnt, dass über sie debattiert wird. Längst nicht nur sachlich, sondern zunehmend polemisch, diffamierend, einseitig und in geradezu hetzerischer Manier werden Debatten und Scheindebatten geführt, in denen die wichtigste Gruppe – die Muslime – gar nicht oder kaum zu Wort kommen. ­Spätestens seit Sarrazin sind rassistische Äußerungen über Muslime salonfähig geworden.
In einem Punkt gebe ich Mansour recht: „Es ist ein Fehler, zu versuchen, mit AfD-Positionen rechte Wähler zurückzugewinnen. Das funktioniert so nicht. Wer AfD-Wähler zurückgewinnen will, muss die Ängste der Menschen ernst nehmen – und diese nicht populistisch für seine Zwecke nutzen, sondern differenziert betrachten und vor allem Lösungen anbieten.“ Ich würde hier allerdings noch ergänzen: Man muss die Ängste aller Menschen in diesem Land wahrnehmen, auch die der muslimischen Bevölkerung.
„Ich finde es genauso unfair, dass Angela Merkel und Christian Wulff mit ihren Mantras, der Islam gehöre zu Deutschland, als die fortschrittlichen und moralisch-toleranten Stimmen dargestellt werden (…) Es geht um die Frage, wie wir Muslime für unsere Demokratie begeistern und zu einem Teil von Deutschland machen können.“
Dass der Islam zu Deutschland gehört ist kein Mantra, sondern Realität. Vor nicht allzu langer Zeit wurde noch ernsthaft darüber debattiert, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei oder nicht. Heute würde kaum jemand diese Realität leugnen. Die Scheindebatte, ob Islam zu Deutschland gehöre oder nicht, scheint vor diesem Hintergrund nur eine weitere Evolutionsstufe der kognitiven Dissonanz jener zu sein, die sich partout nicht mit den natürlichen Folgewirkungen einer globalisierten Welt arrangieren wollen oder können.
Ahmad Mansour impliziert mit seiner letzten Aussage, dass Muslime einer Demokratie nicht viel abgewinnen könnten und man sie dafür erst „begeistern“ müsse. Ein weiterer Beleg dafür, dass er seine Prämissen einem Realitätscheck unterziehen sollte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihm entgangen ist, dass viele Muslime gerade deshalb nach Deutschland gekommen sind, weil sie Demo­kratie und Rechtsstaatlichkeit hochhalten. ­Ignoriert Mansour hier bewusst Realitäten, um ein Angstszenario zu bedienen?
Die Argumentation des Autors fußt auf der Grundannahme, wonach Vielfalt zu einem Überfremdungsgefühl führe. Um Konflikte und Ängste bei den „Alteingesessenen“ zu vermeiden, solle der demographische Wandel daher möglichst unsichtbar bleiben. So seien Muslime gut beraten, ihren Glauben nur im privaten Bereich zu leben. Im öffentlichen Raum sollten sie sich der Lebensweise der „Urbevölkerung“ unterordnen oder – anders ausgedrückt – sich assimilieren.
Wie zahlreiche andere „Islamkritiker“ und „Islamexperten“ wird auch er nicht müde, von Muslimen die Einhaltung des Grundgesetzes zu fordern. Sie sollen aber gleichzeitig ja nicht auf die Idee kommen, auf ihre Rechte hinzuweisen oder diese gar vor ­Gericht einzufordern. Der unhaltbare ­Vorwurf, Muslime würden „Exklusivrechte“ verlangen, ebnet den Weg zu einem ­Absprechen von im Grundgesetz verbrieften Rechten. Als Muslimin kann ich nur froh sein, dass nicht ein Herr Mansour darüber entscheidet, wem welche Rechte zustehen und wem nicht.
Ich bin überzeugt davon, dass wir unsere ­Debatten über „den Islam“ und die Muslime auf eine Weise führen können, die zielführend ist. Dies schaffen wir jedoch nicht, wenn die betroffene Personengruppe dämonisiert und aus der Debatte ausgeschlossen wird, so wie es Mansour etwa mit jenen Muslimen versucht, die ihren Glauben sichtbar und selbstverständlich auch in der Öffentlichkeit leben und nicht nur das Grundgesetz achten, sondern auch die ihnen zustehenden Rechte einfordern.