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100 Senioren und ich: Reise nach Sankt Petersburg

Foto: Autorin

(iz). „Hier sind ja nur alte Menschen“, beschwerte sich meine fast 70 Jahre alte Oma. Wortlos schaue ich sie an und schüttele den Kopf. Wir stehen in der Wartehalle am Flughafen in Helsinki. Immer mehr Menschen versammeln sich um uns herum. Ab 55 aufwärts. Mit meinen 24 Jahren bin ich die Jüngste. Wie sich herausstellt, gehören die hundert Reisende alle zu unserer Reisegruppe. Die meisten aus Bayern. Ich habe nicht besonders viele Vorurteile, deshalb gehe ich ganz unvoreingenommen an die fünftägige Reise.
Nachdem sich die Reiseleiterin vorgestellt hat werden wir in vier Busse aufgeteilt, um zum finnischen Hafen zu fahren.
„Eine Woche mit 100 Senioren“, geht es mir durch den Kopf.
Natürlich haben mich meine Freunde gefragt, wieso wir nicht direkt von München nach Sankt Petersburg fliegen. Genau dasselbe habe ich mich auch gefragt. Da meine Oma die Reise gebucht hat, antwortete sie: „Wir müssen dann kein Visum beantragen.“ Wenn man mit dem Schiff über Finnland nach Russland einreist, bekommt man für 4 Tage ein kostenloses Kurzvisum ausgestellt. Dafür müssen wir die Tickets für die 15-Stündige Überfahrt bezahlen. Und das Hin und zurück.
Ich muss zugeben, die Aussicht über den Finnischen Meerbusen war atemberaubend. Die vielen kleinen Inseln, der rötliche Sonnenuntergang am Horizont der Ostsee, runden das perfekte Panorama ab. Skandinavien hat mich schon immer fasziniert. Die bestimmt offensten Leute der Welt, die Natur und die Tatsache, dass öffentliche Toiletten sauber sind. Bedauernswert, wenn man bedenkt, dass in den nordafrikanischen Ländern, wo der Islam geprägt ist, die Toiletten sehr schmutzig sind. Auf Details will ich jetzt nicht eingehen.
Ein altes Paar läuft auf dem Deck herum und hat fragt mich, ob sie ein Bild von mir und meiner Oma machen dürfen. Im Gegenzug soll ich die Beiden ebenfalls fotografieren.
Wir kommen ins Gespräch. Wie auch auf meinen anderen Reisen, werde ich auf mein Kopftuch angesprochen. „Ist es möglich, dass eine Muslimin eine katholische Großmutter haben kann?“, fragt der ältere Mann interessiert. Die Worte gehen langsam über seine Lippen. „Wieso denn nicht?!“, erwidert seine Frau. „Ich bin evangelisch und du bist katholisch. Die Hauptsache ist, dass wir alle an den lieben Herrn glauben.“ Das Paar fängt an heftig zu diskutieren. Ich will noch etwas einwerfen, aber komme nicht mehr zu Wort. Das Beste was meine Oma und ich jetzt machen können, ist uns still und leise von dem diskutierenden Paar zu entfernen.
„Diese Alten“, murmelt meine Oma kopfschüttelnd.
Neben Brötchen und diversen Salate mit Mayonnaise gibt es auch Spaghetti zum Frühstück.
Da auf dem Schiff knapp 1.000 Passagiere sind, haben wir mit der Buchung eine Karte bekommen, auf der steht, wann wir in den Saal zum Essen dürfen. Wir sind Gruppe 2 und dürfen um 09.15 Uhr rein.
Meinen ersten Konflikt habe ich mit einer jungen Chinesin, die sich mein Bort aus dem Toaster nehmen will, da sich über 300 Gäste einen winzigen Toaster aus den 1980er Jahren teilen müssen. „Das ist mein Brot“, sage ich auf Englisch und komme mit einem Teller in der Hand wieder. „Aber du bist nicht da gewesen.“
„Ja, weil ich mir einen Teller geholt habe und du dich vorgedrängelt hast.“
„Ich habe Hunger“, erwidert sie. „Wie wir alle“, antworte ich schon leicht genervt. Wütend starrt die kleine Frau mich an und geht schließlich vor sich her nuschelnd zu den Spaghetti.
Weitere Stunden später fahren wir in den Hafen von Sankt Petersburg ein. Drei Frauen fangen an etwas auf Russisch zu singen. Es macht mir Spaß, ihnen zu zuhören, wie sie sich auf ihre Heimat freuen und es auch zum Ausdruck bringen.
„Mein ganz neues Handy funktioniert nicht mehr.“ Eine ältere Dame aus der Reisegruppe kommt auf mich zu. „Können Sie mir bitte helfen?“
„Was funktioniert denn nicht?“, frage ich.
Die Frau ist ganz aufgelöst. „Da ist alles dunkel.“
„Haben Sie in den Einstellungen gespielt?“ Ich greife nach dem neusten iPhone. „Sie haben die Displaybeleuchtung verstellt. Durch die Sonne sieht man jetzt nichts.“
Ich stelle die Beleuchtung auf die höchste Stufe und gebe der Frau ihr Handy zurück.
Es wird noch amüsanter. Die Mitreisenden, die die meisten Hilfen brauchen und sich an mich wenden, sind diejenigen, die schon die letzten 24 Stunden über mich herziehen und mich nur mit ihren herablassenden Blicken würdigen.
Einer ist so mutig und sagt mir, dass der Islam keine „deutsche“ Religion sei und er deshalb nicht verstehe, weshalb ich hier in Deutschland Muslimin bin.
„Was ist denn für Sie eine deutsche Religion?“, frage ich.
„Unser christlicher Glaube“, antwortet er ganz stolz.
„Inwiefern ist das Christentum denn deutsch? Das Christentum hat wie das Judentum und dem Islam seinen Ursprung im Nahen Osten.“
Tatsächlich bin ich der einzige Muslim in der Reisegruppe und im Hotel. Was mich absolut nicht stört, da ich das Gefühl habe, als würden die Mitarbeiter im Hotel mir eine Sonderposition geben. Ohne zu fragen, zeigt mir einer im Speisesaal, in welchem Essen kein Alkohol und kein Schweinefleisch ist. Mir gegenüber sind sie auch viel aufgeschlossener.
Die meisten aus der Reisegruppe regen sich ständig darüber auf, dass hier nicht Deutsch gesprochen wird. In Russland. Ich verdrehe die Augen und bete zu Gott, dass ich nicht genauso im Alter werde.
Während einige ihre Reisepapiere verlieren, werden andere aus der Gruppe beklaut. Obwohl die Reiseleiterin ausdrücklich gesagt hat, wir sollen unsere Wertsachen im Hotel lassen. Meine Oma, ihre zwei Freunde und ich entgehen knapp einen Diebstahl. Den Rest des Tages werden wir von einer Mafia verfolgt, die uns schon im Visier hat, seitdem wir vom Hotel zur U-Bahn gegangen sind, in der auch wir fast beklaut worden sind.
Reisen ist meine Leidenschaft. Aber die Reise nach Sankt Petersburg über Helsinki, ist trotz ihrer atemberaubenden Schlösser und Sehenswürdigkeiten ein großer Flopp. Es macht mich traurig zu sehen, dass alte Menschen auf der Straße und an Kirchen betteln müssen, während Millionen ausgegeben werden, um die Attraktionen in Stand zu halten.