
Antidiskriminierungsarbeit ist kein Luxus, keine freundliche Geste und kein nachrangiges Thema, das man dann angeht, wenn gerade keine dringenderen Probleme vorliegen.
Sie ist eine grundlegende gesellschaftliche Aufgabe, weil sie das Fundament schützt, auf dem ein demokratisches und gerechtes Miteinander überhaupt erst möglich ist. Wer an einer inklusiven Gesellschaft interessiert ist, kommt an der Frage nicht vorbei, wie mit Diskriminierung umgegangen wird – und ob überhaupt etwas dagegen unternommen wird. Denn solange einzelne Gruppen systematisch ausgegrenzt oder benachteiligt werden, kann von Gleichwertigkeit aller Menschen keine Rede sein.
Zunahme von Diskriminierungsfällen
Ein erster, alarmierender Befund ist, dass die Zahl der gemeldeten Diskriminierungsfälle seit Jahren ansteigt. Und während sich die Dunkelziffer kaum erfassen lässt, ist anzunehmen, dass das tatsächliche Ausmaß weit über dem Bekannten liegt. Ob am Arbeitsplatz, in der Schule, auf Wohnungssuche oder in der medizinischen Versorgung – Diskriminierung tritt in vielen Facetten auf und trifft Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft, Religion, Behinderung oder sozialen Stellung. Diese Entwicklung verweist auf eine strukturelle Tiefe, die nicht allein durch Informationskampagnen oder Appelle aufgefangen werden kann.
Ein gesellschaftliches Klima der Abstumpfung
Was ebenso beunruhigend ist, ist die Gleichgültigkeit zu diesem Thema. In großen Teilen der Gesellschaft herrscht eine Haltung, die Diskriminierung als etwas beinahe Alltägliches betrachtet. Es fehlt an Sensibilität. Abfällige Bemerkungen, herabwürdigende Blicke, systematische Ausschlüsse – all das wird hingenommen, belächelt oder sogar gerechtfertigt. Wer sich dagegen ausspricht, gilt schnell als überempfindlich oder ideologisch. Das Problem liegt nicht nur bei den Tätern, sondern in der Normalisierung durch die Umgebung. Solange Diskriminierung als gesellschaftlicher Alltag betrachtet wird, fehlt der nötige Widerstand – und damit auch der notwendige Wandel.
Die Hemmschwelle sinkt
Da eine Gleichgültigkeit herrscht, sinkt die Hemmschwelle, andere bewusst zu diskriminieren. Was früher mit Scham, wenigstens aber mit Vorsicht behaftet war, wird heute offener zur Schau gestellt. Beleidigungen, Ausgrenzung oder Benachteiligung geschehen nicht mehr im Verborgenen. Digitale Räume wie soziale Netzwerke verstärken diesen Effekt. Dort fehlt es nicht nur an Regulierung, sondern auch an sozialen Korrektiven. Wenn Diskriminierung nicht sanktioniert, sondern gelikt, geteilt und bestätigt wird, entsteht ein Raum, in dem sich Täter sicher fühlen und Opfer allein bleiben.
Verinnerlichte Diskriminierung bei Betroffenen
Hinzu kommt ein Phänomen, das besonders tragisch ist: Viele Betroffene haben sich bereits an ihre Diskriminierung gewöhnt. Sätze wie „Ich kenne das schon“ oder „Ich reg mich gar nicht mehr auf“ sind in Gesprächen mit Opfern keine Seltenheit. Diese Haltung ist kein Zeichen von Resilienz, sondern Ausdruck von Ohnmacht. Wer immer wieder die gleiche Erfahrung macht, ohne dass sich etwas ändert, verliert mit der Zeit die Kraft, sich zu wehren. Man richtet sich ein, nicht weil man einverstanden ist, sondern weil man müde geworden ist. Die Folgen reichen tief, denn sie untergraben nicht nur das Selbstwertgefühl, sondern auch das Vertrauen in gesellschaftliche Strukturen.
Fehlende Zuständigkeiten und Strukturen
Ein weiteres Problemfeld ist die institutionelle Schwäche der Antidiskriminierungsarbeit. In vielen Regionen, Städten oder Bereichen gibt es keine klaren Zuständigkeiten. Die Arbeit gegen Diskriminierung wird oft von Ehrenamtlichen getragen, die sich mit viel Engagement, aber wenig Ressourcen stemmen. Es fehlt an hauptamtlichen Stellen, an systematischer Förderung, an rechtlicher Unterstützung. Wer Hilfe sucht, stößt allzu oft auf ein Netz aus Weiterleitungen, Zuständigkeitsdiffusion und Unsicherheit. Dabei müsste die Bekämpfung von Diskriminierung eine Kernaufgabe staatlicher und zivilgesellschaftlicher Arbeit sein – nicht ein Nebenschauplatz, auf den man mit Glück ein Förderprojekt werfen kann.
Mangel an Konsequenzen
Ein besonders zermürbender Aspekt ist das Fehlen von Sanktionen. Viele Opfer berichten, dass sie Vorfälle nicht mehr melden, weil sich dadurch nichts ändert. Verfahren verlaufen im Sande, Täter werden nicht belangt, Strukturen bleiben unangetastet. Diese Konsequenzlosigkeit wirkt wie eine Einladung zur Wiederholung. Sie vermittelt den Eindruck, dass Diskriminierung folgenlos bleibt – für die, die sie ausüben, wie für die, die sie dulden. Und sie entmutigt jene, die bereits verletzt wurden. Warum sich noch einmal dem Stress aussetzen, wenn am Ende doch nichts geschieht? Diese Frage ist eine Ohrfeige für jede Hoffnung auf Gerechtigkeit.
Fazit
Antidiskriminierungsarbeit ist kein Feld für Idealisten, die sich mit gutem Willen zufrieden geben. Sie ist eine gesellschaftliche Notwendigkeit – unbequem, konfliktreich und voller Widerstände. Doch genau deshalb darf sie nicht den Ehrenamtlichen allein überlassen werden. Sie braucht Strukturen, Konsequenzen, Zuständigkeiten – und vor allem eine Gesellschaft, die Diskriminierung nicht hinnimmt, sondern aktiv zurückweist. Wer sich für Menschenwürde starkmacht, verdient mehr als Applaus. Er verdient Unterstützung, Schutz und den langen Atem einer Gesellschaft, die bereit ist, sich selbst infrage zu stellen.