Arbeitsgericht Berlin: drei Monatsgehälter Schadensersatz für Diskriminierung wegen Kopftuch

Ausgabe 209

(MiGAZIN). In einem jetzt bekannten und seit Ende September rechtskräftigen Urteil hat das Arbeitsgericht Berlin einer Kopftuchträgerin eine Entschädigung in Höhe von drei Monatsgehältern zugesprochen. Der beklagte Zahnarzt verlangte von der Klägerin, die sich um einen Ausbildungsplatz bewarb, ihr Kopftuch während der Arbeitszeit abzulegen. Dieser Aufforderung kam sie nicht nach und ließ sich zunächst beim Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg (ADNB des TBB) beraten. Rechtsanwältin Maryam Haschemi Yekani zeigt sich sehr erfreut über das Urteil: „Das Urteil ist vor allem deshalb wichtig, da hier eindeutig die individuelle Glaubensüberzeugung von Menschen vor Diskriminierungen geschützt wird. Gleichzeitig stellt das Urteil fest, dass ein Kopftuch (auch) in medizinischen Berufen mit der üblichen Kleider­ordnung vereinbar ist und der Arbeitgeber nicht das Recht hat, dies durch eine individuelle Entscheidung zu ­unterbinden.“

Das Kopftuch stellt laut Urteil, das MiGAZIN vorliegt, „nicht ein gewöhnliches Kleidungs- oder Schmuckstück dar, bei welchem der Ausbilder aus Gründen der Arbeitssicherheit, der Ästhetik, der Gleichbehandlung oder der Normsetzung im Rahmen einer Kleiderordnung das Ablegen begehren könnte. Vielmehr stellt es den unmittelbaren Ausdruck der eigenen Religiosität gegenüber der Umwelt dar, und sein Tragen ist Akt der Religionsausübung. Das Tragen des Kopftuches steht nicht im Belieben der ­Klägerin, sondern ist Bestandteil ihres Bekenntnisses.“ Eva Maria Andrades, juristische Mitarbeiterin des ADNB, die die Klägerin als Beistand in der Verhandlung unterstützte, hebt hervor: „Dieses Urteil lässt keinen Zweifel daran, dass Arbeit­geber sich nicht über das Recht auf Gleichbehandlung hinwegsetzen können. Es soll Menschen, die Diskriminierung erfahren, ermutigen, sich dage­gen zur Wehr zu setzen.“

Wie Andrades weiter mitteilt, melden sich viele Frauen mit ähnlichen Prob­lemen beim ADNB. Insbesondere im Arbeitsleben ­würden Frauen mit Kopftuch häufig diskriminiert, die meisten aber den Rechtsweg aus Kostengründen oder aufgrund der schwierigen Beweislage scheuen. Andrades: „Dabei reichen nach dem AGG Indizien aus, um eine Beweislastumkehr zu erreichen.“ So müsse der Arbeit­geber beweisen, dass es keine Diskriminierung gegeben hat.

Sie rät allen Betroffenen, in einem Gedächtnisprotokoll den Sachverhalt festzuhalten. Außerdem sollte man Emails oder Schriftwechsel aufbewah­ren und Zeugen benennen, falls vorhanden. Je besser eine Diskriminierung dokumentiert sei, desto größer seien auch die Erfolgsaussichten einer Klage. In jedem Fall aber sollten sich Betroffene zeitnah beraten lassen, um keine Fristen zu versäumen.

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Der Artikel erschien erstmals am 18. Oktober auf der Webseite des online-Magazins „MiGAZIN“.