Armenierfrage: Streit erreicht Duisburg

(iz). Der Bundestag hat zwar die strittige Armenier-Resolution beschlossen, die Diskussion darüber setzt sich jedoch fort. Die fast einstimmige Entscheidung des Parlaments sorgt bei den meisten in Deutschland lebenden Türken weiterhin für Aufregung. Viele, gerade auch türkischstämmige Abgeordnete, die der Resolution zugestimmt haben, wurden in den letzten Tagen beschimpft und zum Teil bedroht. Kritik sollte in einer Demokratie natürlich gestattet sein, aber das unverhältnismäßige Verhalten samt Drohungen und Beschimpfungen führt in eine Sackgasse, ist inakzeptabel und schadet dem Frieden in unserem Land.
Kritik nur im Rahmen der demokratischen Sitten
Falls jemand den Politikerinnen und Politikern einen Denkzettel verpassen möchte, hat man bei der nächsten Bundestags- oder einer anderen Wahl die Möglichkeit dazu, dies mit dem Stimmzettel zu tun. Oder aber man geht selbst in die Politik. Falls bei den im Bundestag vertretenen Parteien keine Möglichkeit zu finden ist, Politik zu machen, bleibt einem auch noch die Möglichkeit, eine eigene Partei zu gründen.
Migrantenparteien – Ein Zukunftsmodell?
So hat der Unternehmer Remzi Aru aus Berlin vor wenigen Tagen angekündigt, eine eigene Partei gründen zu wollen. Außerdem existiert schon seit 2010 die BIG-Partei (Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit), gegründet von dem Politiker Haluk Yıldız. Auch in den Niederlanden gibt es seit 2014 eine Partei, die von türkischstämmigen Politikern errichtet wurde. Tunahan Kuzu und Selçuk Öztürk hatten vor zwei Jahren im Streit über die Ausländerpolitik die Sozialdemokraten verlassen und die Partei „Denk” gegründet. Ob die Kontroverse über die Armenier-Resolution oder die seit der „Böhmermann-Affäre“ angespannte Lage zwischen Deutschland und der Türkei ein Anlass für eine neue Parteigründung in Deutschland sein wird, bleibt abzuwarten. Kurzfristig werden einer solchen Partei keine großen Erfolgschancen zugesprochen. Ein Beobachter sagt: „Mittel- bis langfristig könnten Migrantenparteien durchaus eine Alternative sein. Besonders als Reaktion und Gegengewicht zu rechtsextremen, islamfeindlichen und diskriminierenden Gruppierungen und Verhaltensweisen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.“
Özoğuz: Türen werden zugeschlagen
Schon jetzt ist klar: Die Völkermord-Resolution hat einen Keil zwischen Menschen getrieben, obwohl sie angeblich genau das Gegenteil, nämlich eine scheinbare „Versöhnung“ bezweckte. Weder die deutsch-türkischen noch die armenisch-türkischen Beziehungen haben sich durch die folgenschwere Entscheidung des Bundestags verbessert. Wie die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Aydan Özoğuz (SPD), im Vorfeld der Resolution bekräftigte, wurden leider Türen zugeschlagen.
Streit erreicht auch die Stadt Duisburg
Ein weiterer Streit scheint sich in Duisburg abzuzeichnen. Wie „Der Westen“ berichtet, hat dort der Integrationsrat der Stadt, der aus Ratsleuten und Migranten-Vertretern besteht, eine eigene Resolution (Beschluss DS 16-0666) verabschiedet, in der der so genannte „Völkermord“ als „Lüge“ bezeichnet wird. Die Resolution trägt den Titel: „Eine Lüge ist eine Lüge und bleibt eine Lüge. Gegen die Verleumdung der Türkei.“
In dem Text heißt es unter anderem: „Die Behauptung die Türkei hätte von 1915 bis 1917 Völkermord an den Armeniern begangen ist so schwer und ungeheuerlich, dass sie auch mit Fakten und eindeutigen Beweisen belegt werden müsste. Dies ist bis heute nicht geschehen.“ Weiter heißt es darin, dass der Bundestag mit seinem Beschluss dem guten Miteinander und der Integration in Deutschland schade. Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) meldete sich dazu über den Kurznachrichtendienst „Twitter“ zu Wort. Link nannte die Beschlüsse des Rates „völlig inakzeptabel“ und sagte, er beanstande „die unerträgliche Resolution des Duisburger Integrationsrats zur Armenien-Resolution des deutschen Bundestages“.
Wasser predigen und Wein trinken
Es stellt sich die Frage, woher ein Oberbürgermeister sich das Recht nimmt, eine demokratische Entscheidung durch ein demokratisch gewähltes Gremium öffentlich zu diskreditieren. Dem Oberbürgermeister passt die Entscheidung des Rats nicht. Deshalb möchte er sie annullieren. Sören Link bewegt sich dabei auf dünnem Eis. Er predigt Wasser und trinkt Wein. Er redet von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, möchte aber demokratische Beschlüsse verhindern.
Aufhebung des Beschlusses beabsichtigt
In einem Schreiben der Stadt Duisburg wird zum 20. Juni 2016 zu einer Dringlichkeitssitzung eingeladen. In der öffentlichen Sondersitzung, die im Rathaus stattfinden wird, soll es um „die Beanstandung und Aufhebung des Beschlusses (DS 16-0666)“ gehen. Hieraus wird deutlich, dass missfällige Meinungen in Duisburg nicht toleriert werden. Genau wegen dieser Geisteshaltung kommt es dazu, dass immer mehr Menschen sich nicht ernst genommen und diskriminiert fühlen. Sie fragen sich, ob die Meinungsfreiheit und demokratischen Rechte nur für eine bestimmte Gruppe Geltung besitzen. In diesem Falle für die Befürworter der türkenfeindlichen Armenier-Resolution. Sören Link sollte wissen, dass eine Meinungsdiktatur auch dazu führen kann, dass Menschen sich von den etablierten Parteien abwenden und eigene Parteien gründen. Er und seine Sinnesverwandten könnten am Ende der eigentliche Grund dafür sein, dass Parallelgesellschaften und Parallelstrukturen entstehen. Das aber muss verhindert werden. Die deutsch-türkischen Beziehungen sollten mit noch mehr Augenmaß geführt werden.
Autoreninfo:
Yasin Baş ist Politologe, Historiker, Autor und freier Journalist. Zuletzt erschienen seine Bücher: „Islam in Deutschland – Deutscher Islam?” sowie „nach-richten: Muslime in den Medien”.

Ein Kommentar zu “Armenierfrage: Streit erreicht Duisburg

  1. Ein lächerlicher Beschluss von einem Gremium, das sie besser um die Belange der Menschen vor Ort kümmern sollte, ändert nichts daran, dass das Osmanische Reich einen Völkermord an den Armeniern begangen hat. Menschen derart zu deportieren, dass rd. eine Million von Ihnen zu Tode kommen, kann man durchaus einen Völkermord nennen, da es sich um eine ganze Volksgruppe handelt, die betroffen war. Aber viel schlimmer finde ich den faktischen Aufruf zum Mord durch den türkischen Staatspräsidenten, indem er gegen die deutschen Bundestagsabgeordneten hetzt, oder durch eine Art Steckbrief des Bürgermeisters von Ankara, mit dem Hinweis, dass man sich diese Gesichter merken müsse. Die Kritik gegen diese Hetze fällt doch bei Türken in Deutschland sehr bescheiden aus. Auch die DITIB hat sich nur sehr lauwarm dazu geäußert, indem sie alle zur Mäßigung aufruft. Als wären es nicht ausschließlich Türken, deren Emotionen hochkochen. Hier wäre eine klar Aussage gefordert, die auch diejenigen benennt, die sich mäßigen sollen, nämlich eben Türken in Deutschland (und sonst auf der Welt). An den Autor des Artikels wäre die Frage zu richten, weswegen nicht die Türkei aufgefordert wird, mehr Augenmaß zu zeigen. Denn gerade die türkische Regierung und ihre Anhänger lässt doch wohl Augenmaß in besonderem Maße vermissen.

Die Kommentarfunktion ist deaktiviert.