Berlin (GFP.com). Die künftige deutsche Regierungskoalition kündigt eine offensive deutsche Weltpolitik an. Dies geht aus einem außenpolitischen Strategiepapier hervor, auf das sich die Unionsparteien und die SPD geeinigt haben. Demnach wollen sie „die globale Ordnung aktiv mitgestalten“ und „stehen bereit“ für weltweite Interventionen jeglicher Art. Vorausgegangen sind Verlautbarungen des Bundespräsidenten und Äußerungen führender Exponenten des Berliner Polit-Establishments, in denen ein machtvolleres deutsches Auftreten sowie stärkere „deutsche Führung“ gefordert wurden.
Von einer „Neuvermessung“ der deutschen Weltpolitik ist die Rede. Jüngst haben sich Nachwuchs-Außenpolitiker aus dem Umfeld der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung den Forderungen angeschlossen; sie dringen auf eine weltpolitische Aufwertung Berlins bei weiterhin enger Kooperation im Rahmen des westlichen Militärbündnisses. Zudem soll die Zusammenarbeit mit prowestlichen Staatenbündnissen in Südostasien und Lateinamerika ausgeweitet werden – eine militärische Komponente inklusive. Auf Drängen deutscher Politiker verlangt nun auch das Europaparlament eine offensive Außenpolitik. Die EU solle, heißt es, kein „global Bayer“ bleiben, sondern ein „global player“ werden.
Die Welt gestalten
Die nächste Bundesregierung wird die Berliner Weltmachtansprüche operativ umzusetzen suchen. Dies geht aus einem außenpolitischen Strategiepapier hervor, das die Unionsparteien und die SPD in den aktuellen Koalitionsverhandlungen gebilligt haben. „Wir wollen die globale Ordnung aktiv mitgestalten∑, heißt es in einer Präambel zu dem Dokument, das explizit die Bereitschaft zu deutschen Interventionen in aller Welt bekundet: „Wir stehen bereit, wenn von unserem Land Beiträge zur Lösung von Krisen und Konflikten erwartet werden.“ Deutschland solle „weltweit“ seine „Werte“ vertreten.
Inhaltlich knüpft das Papier an die bisherige Berliner Außenpolitik an. Streit soll es zwischen CDU/CSU und SPD lediglich um einen etwaigen EU-Beitritt der Türkei gegeben haben, den die Unionsparteien ausschließen. Eine förmliche Einigung über die künftige Militärpolitik steht noch aus; hier ist in der Frage der Beschaffung und Nutzung von Kampfdrohnen offenkundig ein Formelkompromiss vorgesehen, der die Tatsache nutzt, dass die einschlägigen Rüstungsplanungen der Bundeswehr (Euro Hawk) zur Zeit wegen Zulassungsproblemen auf Eis liegen und Entscheidungen noch hinausgezögert werden können. Strittig ist, wie es heißt, nur die Frage, ob der Parlamentsvorbehalt für militärische Interventionen in der neuen Legislaturperiode beschränkt werden solle. Die SPD sei diesbezüglich „sehr skeptisch“.
Entschiedener führen
Die offensiven Ankündigungen des gemeinsamen Strategiepapiers knüpfen unmittelbar an jüngste Vorstöße aus Berlin an, die in den vergangenen Wochen ein deutlich stärkeres deutsches Ausgreifen in alle Welt gefordert haben. In enger Abstimmung mit dem außenpolitischen Establishment in der deutschen Hauptstadt hat etwa Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Rede zum diesjährigen Nationalfeiertag erklärt, Deutschland sei „bevölkerungsreich, in der Mitte des Kontinents gelegen und die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt“; er lehne es ab, „dass Deutschland sich klein macht“.
Nur wenig später sind gut 50 Exponenten des Berliner Establishments nach einjähriger Vorbereitung mit einem Strategiepapier an die Öffentlichkeit getreten, in dem es heißt, Deutschland werde in Zukunft „öfter und entschiedener führen müssen“. Das Papier ist auf Initiative der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) verfasst worden; es wird jedoch auch vom zweiten großen Außenpolitik-Think-Tank der Bundesrepublik, der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), in ihrer Zeitschrift Internationale Politik gewürdigt.
Weitere Forderungen aus dem Auswärtigen Amt sind inzwischen ebenfalls zur Debatte gestellt worden, so etwa das Plädoyer, endlich den Parlamentsvorbehalt für militärische Interventionen einzuschränken. Der Druck aus den Apparaten hält an.
Einfluss erweitern
So hat sich nun auch die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung dem Drängen nach einer offensiveren deutschen Weltpolitik angeschlossen. Wie es in einem knappen Forderungskatalog heißt, den der „Arbeitskreis Junge Außenpolitiker“ der Stiftung soeben vorgelegt hat, könne Deutschland „angesichts seiner augenblicklichen wirtschaftlichen Verfassung seinen internationalen Einfluss (…) nicht nur festigen, sondern erweitern“. Der Arbeitskreis macht dazu konkrete Vorschläge.
So müsse die Bundesrepublik ihre Position in der arabischen Welt stark ausbauen; das sei möglich und nötig, weil die USA sich auf den Machtkampf gegen China konzentrierten („Pazifisches Jahrhundert“ ) und deswegen „kein dominanter sicherheitspolitischer Akteur in Europa, Afrika und dem Mittleren und Nahen Osten“ blieben. Berlin müsse jetzt alles daran setzen, „die Erosion der militärischen Fähigkeiten Europas aufzuhalten“. Von großer Bedeutung sei eine „Steigerung der Kampffähigkeit der Bundeswehr“.
Interessen durchsetzen
Weil „Deutschlands Kapazitäten“ nicht ausreichten, „um allein seine Interessen durchzusetzen und internationalen Einfluss auszuüben“, plädiert der „Arbeitskreis Junge Außenpolitiker“ ausdrücklich für eine abgestufte Bündnispolitik. Demnach soll das westliche Bündnis – unbeschadet der in Berlin erhobenen Weltmachtansprüche – eine herausragende Funktion behalten. In diesem Kontext komme dem geplanten Transatlantischen Freihandelsabkommen hohe Bedeutung zu, heißt es bei der Adenauer-Stiftung: Sein Abschluss könne „eine politische Signalwirkung gegenüber den aufstrebenden Mächten“ haben „die Fähigkeit des Westens unterstreichen, seine Interessen und Marktvorstellungen durchzusetzen“.
Ergänzend müssten „Partnerschaften mit anderen (prowestlichen, d. Red.) Regionalorganisationen“ geschlossen und ausgebaut werden – etwa mit dem südostasiatischen ASEAN-Bündnis und mit der lateinamerikanischen Comunidad de Estados Latinoamericanos y Caribeños (CELAC). Ergänzend zu den gewünschten EU-Partnerschaften mit diesen Regionalorganisationen solle Berlin „in Form einer Doppelstrategie seine nationalen Partnerschaften mit Regionalmächten ausbauen“ – etwa mit Indien, Indonesien, Südafrika, Brasilien und Mexiko. Die nationalen Verbündeten sollten auch militärisch gestärkt werden, etwa durch Trainingsprogramme der Bundeswehr, „insbesondere an der Infanterieschule“. Diese Strategie würde es Berlin ermöglichen, bei seiner globalen Machtpolitik jederzeit auf durchsetzungsfähige einheimische Verbündete in aller Welt zurückzugreifen – bei Bedarf auch unabhängig von der EU.
Gehör in der Welt
Berlin ergänzt seine Weltmachtpläne, die mit ihrer Aufnahme in die Koalitionsvereinbarungen der künftigen Bundesregierung offiziellen Status erhalten, um eine Offensive auf europäischer Ebene. So hat das Europaparlament Ende Oktober in einer Entschließung erklärt, in einer Welt, die „durch einen fortdauernden strukturellen Wandel“ geprägt sei, benötige Brüssel dringend eine gemeinsam und entschlossen vorgetragene Außenpolitik unter starker politischer Führung.
Dazu sei eine „grundlegende strategische Debatte“ vonnöten, die der Europäische Rat, die Kommission und das Parlament gleichermaßen führen müssten. Die EU solle ein „‘global player’ und kein ‘global Bayer’“ sein, fordert der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok, Vorsitzender des Europaparlaments-Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten, der die Verabschiedung der Entschließung energisch vorangetrieben hat: „Nur wenn Europa mit einer Stimme spricht, findet es Gehör in der Welt.“
Die EU als Verstärker
Als nächster Schritt zur von Berlin verlangten Vereinheitlichung der EU-Außen- und Militärpolitik gilt der Europäische Rat zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Dezember. Dort soll, wie das Europaparlament jetzt fordert, ein klarer Plan für den Ausbau der EU-Militärpolitik beschlossen werden; auch gelte es, ein „Weißbuch zur Europäischen Verteidigung“ auf den Weg zu bringen. Da es in zahlreichen Fragen erhebliche Differenzen zwischen den mächtigsten EU-Staaten gibt, sind heftige Debatten zu erwarten. Berlin dringt mit aller Kraft auf ein Ergebnis im deutschen Sinn: Es benötigt die EU – nicht nur, aber auch militärisch – zur Verstärkung seiner nationalen Weltmachtpolitik.