
(iz). Das Pergamonmuseum in Berlin ist bekannt für seine orientalischen Schätze: seine Glanzstücke sind der Pergamonaltar aus dem 2. Jahrhundert vor Christus und die Reste der Stadtmauern Babylons mit dem Ischtartor aus der Zeit der Nebukadnezars II. (604-562 v. Chr.). Genauso imposant, aber weit weniger bekannt ist die Fassade des Wüstenpalastes von Mschatta aus der späten Umayyadenzeit (661-750). Sie kann im Museum für Islamische Kunst bewundert werden, das vom Pergamonmuseum beherbergt wird.
Die Fassade von Mschatta bildet aber nur eine der vielen Epochen ab, die in den Ausstellungsräumen unter dem Lemma „islamisch“ zusammengefasst sind. Von der Zeit der Hidschra bis zum Osmanen- und Mogulreich decken sie ein gutes Jahrtausend ab. Die Sammlung illustriert eindrücklich die These des Arabisten Thomas Bauer, wonach es kein islamisches Mittelalter gegeben habe. Vielmehr, das wird deutlich, verlängerte sich die Antike im Orient bis an den Anbruch dessen hin, was in Europa als Neuzeit firmiert. Bis in die ersten Jahrhunderte nach der Entdeckung Amerikas, der Erfindung des Buchdrucks und dem Aufkommen des Frühkapitalismus verfügte der Orient gegenüber dem „Westen“ über einen Zivilisationsvorsprung.
Bedeutung der Alhambra
Vielleicht am engsten verbunden ist die klassische islamische Kultur im westlichen kollektiven Gedächtnis mit dem Begriff „Alhambra“. Ihr, das heißt: der islamischen Kulturepoche in Westeuropa, widmete das Museum eine Sonderausstellung. „Alhambra“, der Name des Palastes zu Granada, steht hier pars pro toto für die siebenhundert Jahre zwischen der arabisch-berberischen Landnahme in Andalusien mit der Schlacht am Guadalete 711 und der Kapitulation des letzten Nasridenemirs Boabdil vor den katholischen Königen Isabella und Ferdinand in Granada 1492. Eindrucksvollstes Zeugnis dieser Epoche unter den 55 hier aufgebotenen Artefakten ist das so genannte Kuppelzimmer: die hier gezeigte reichverzierte Kuppel der Alhambra brachte der Bankier und Mäzen Arthur von Gwinner 1891 mit nach Berlin. Bevor er sie dem Museum stiftete, richtete er mit ihr seine Wohnung in der Rauchstraße 1 ein.
Persien im Pergamonmuseum
Am anderen Ende des geopolitischen Spektrums beschäftigt den Besucher die lange, spannungsreiche und spannende Auseinandersetzung des arabischen mit dem persischen Kulturkreis. Um 630 n. Chr. setzte die islamische Expansion ein, der nach den Schlachten bei Al-Qadisiya (637) und Nehawend (642) auch das sassanidische Reich unterlag. Und so finden wir im selben Raum mit der gigantischen Fassade von Mschatta Überreste der Taq e-Kisra, des Chosrau-Bogens, des einzigen noch stehenden Gebäudes des untergegangenen Ktesiphon, aus der Epoche König Chosraus I. (6. Jh.).
Koloniale Sammelwut
Hatten vor allem die westlichen Großmächte England und Frankreich seit dem 18. Jahrhundert in einer Mischung aus ehrlicher Antikenbegeisterung und kolonialer Sammelwut zahllose Überbleibsel der graeco-römischen Antike in ihre Museen überführt, so befiel die verspätete Nation Deutschland insbesondere nach der Reichsgründung 1871 eine regelrechte Obsession mit dem Alten Orient und der sich ihm anschließenden früh- und hochislamischen Kulturepoche. So kommt es, dass hier, in der Mitte Berlins, die Überreste Babylons, Pergamons, Mschattas und Ktesiphons unter einem gemeinsamen Dach ausgestellt werden.
Im Kontext dieser Orientbegeisterung stand freilich auch das geopolitische Engagement des deutschen Kaiserreichs im Orient, gipfelnd im Bagdadbahn-Projekt, mit dem man die Briten im Mittleren Osten provozierte, sowie in der für beide Seiten unheilvollen Allianz mit dem Osmanischen Reich im Ersten Weltkrieg. Die deutschen Aufkäufe und Ausgrabungen fallen in die Epoche des „Great Game“, jener großen geopolitischen Auseinandersetzung zwischen England und Russland um die Hegemonie zwischen europäischem Balkan und Himalaya.
Das Great Game entbrannte, als der Niedergang jener Macht unabwendbar wurde, die als letztes islamisches Großreich in die Geschichte einging: nämlich des Osmanischen Reiches. Von ihm, aber auch von den Safawiden in Persien und den Timuriden in Nordindien, zeugen hier vor allem ornamentale Teppiche, die teils vierhundert Jahre und mehr alt sind. Etwa aus der Zeit des Großmoguls Jahan (1628-58) stammt ein 50 Kilogramm schwerer Teppich; er könnte für das von Jahan erbaute Taj Mahal bestimmt gewesen sein und beeindruckt ebenso sehr wie die feinen Keramiken aus Iznik aus demselben zeitlichen Umfeld (16./17. Jahrhundert). Keramik und Teppiche waren bedeutende Handelsware in einer Zeit, in der das aus der Neuen Welt nach Europa importierte Silber zum überwiegenden Teil in den Handel mit Osmanen, Persern und China floss und dort die Kassen füllte – aber auch für Bequemlichkeit und Stillstand sorgte.
Faszination Mogul
Das timuridische Mogulreich wurde im Jahr 1526 errichtet, just in dem Jahr, in dem Sultan Süleyman der Prächtige Ungarn für die Osmanen erobert. Im 16. Jahrhundert dominerten islamische Reiche, während Europa, das die Antike nur als weströmischen Kulturimport erlebt hatte, sich gerade erst langsam und unter großen Geburtswehen von der armseligen Provinz der Erde zu ihrem imperialen Steuermann aufschwingen sollte. Die Zeitspanne, in der sich dieser Wettlauf vollzog, kann man mit dem Jahr 750 beginnen lassen, dem Jahr einer Doppelrevolution in Orient und Okzident: wurden damals im Frankenreich die dekadenten Merowinger gestürzt, um den energischen Karolingern Platz zu machen, so kam es gleichzeitig in Damaskus zum Sturz der Umayyaden durch die Abbasiden. Sie sollten nun dem Orient und der Weltpolitik fortan ein halbes Jahrtausend lang den Stempel aufdrücken, bis ihr Kalifat in Bagdad 1258 unter dem Ansturm der Ilchane zusammenbrach.
Exakt sechshundert Jahre später, 1858, wird der letzte Mogulherrscher in Delhi durch die Briten abgesetzt; seine Dynastie, die Timuriden, war wie die Ilchane ein Produkt des Mongolensturms im 13. Jahrhundert, als dessen Vorboten im späten 11. Jahrhundert die Rumseldschuken im Orient auftraten. Sie leiteten mit dem Sieg bei Mantzikert 1071 den Niedergang des Byzantinischen Reiches ein und errichteten mit dem Sultanat von Konya (Ikonion) ein strahlkräftiges Zentrum islamischer Kultur, das mit dem Namen des Dichterfürsten Mevlana Rumi (1207-1273) verbunden ist. Bleibendes Zeugnis mongolischer Einflüsse ist die Drachensymbolik, die so den Weg aus China in den Orient fand. Immer wieder begegnet dem Betrachter die Paarung Drache (Frau) und Phönix (Mann).
Syrien spielt eine Schlüsselrolle
Das imaginäre Herz der Sammlung aber bildet nicht die Alhambra, bildet nicht Andalusien, sondern Syrien. Syrien war der Raum, in dem die arabische mit der orientalischen Welt zur Zeit der „rechtgeleiteten Kalifen“ (632-661) die erste tiefe und dauerhafte Liaison einging, während es zugleich ein Hort der Multireligiosität und Multikulturalität war – und bis heute blieb. Gleichsam eingerahmt wird der Rundgang von einer prachtvollen Wandnische, die, obwohl deutlich Züge einer Gebetsnische (Mihrab) tragend, aus einem Damaszener jüdischen Bürgershaus um 1500 stammt, und dem von einem christlichen Kaufmann in Auftrag gegebene „Aleppozimmer“ aus dem frühen 17. Jahrhundert.
Das Haus, aus dem es stammt, war im Syrischen Bürgerkrieg (seit 2011) schweren Beschädigungen ausgesetzt, worauf eine audiovisuelle Installation hinweist. Im Mschatta-Raum (in Vor-Corona-Zeiten auch Ort musikalischer Darbietungen) schließt eine Collage des zeitgenössischen syrischen Kalligraphen Khaled Al-Saai den Kreis: sie trägt den Titel „Syrien, der Garten der Geschichte“.
War aber Syrien der Garten der Geschichte, so war der vermeintlich ahistorische Islam vielleicht ihr Gärtner. Seine Universalität, die den Fundamentalisten von innen ebenso Mahnung sei wie den Islamhassern von außen: im Museum für Islamische Kunst in Berlin wird sie greifbar und bildhaft.