
Bosnien: Spätestens mit dem russischen Angriff gefährdet die Republika Srpska die Stabilität auf dem Balkan.
(iz). Der russische Einmarsch in der Ukraine hat Millionen bosniakischer Muslime, die unter dem Regime des serbischen Diktators Slobodan Milosevic und seiner berüchtigten Stellvertreter Radovan Karadzic und Ratko Mladic unermesslich litten, selbige in Erinnerung gerufen. Von Dr. Harun Karčić
Bosnien: Menschen haben auf den russischen Angriff reagiert
Viele von uns Bosniaken identifizieren sich voll mit den Ukrainern; ich bin einer von ihnen. Als Journalist lebe ich die meiste Zeit des Tages vor meinem Laptop und Handy. Ich verfolge Nachrichten aus Kyiv und anderen ukrainischen Städten, die einem erbarmungslosen russischen Bombardement unterworfen sind. Vor nicht allzu langer Zeit wurde meine Heimatstadt Sarajevo auf vergleichbare Weise beschossen.
Ich war acht Jahre alt, als bosnische Serben Sarajevo, die Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas, 1992 einschlossen. Und ich kann mich präzise daran erinnern, dass die gleiche Propaganda vor dem Angriff kam, wie wir sie jetzt aus dem Kreml über die Ukraine hören.
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Tatsächlich wurde mir klar, dass die Ideologie des russischen Präsidenten Wladimir Putin und seine Rechtfertigung für seinen Einmarsch nichts anderes sind als eine blasse Kopie von Milosevics „Großserbien“-Projekt aus den frühen 1990er-Jahren, das die Besetzung und Annexion von mindestens der Hälfte Bosniens vorsah.
Der jetzige Krieg in der Ukraine und das letztjährige Aufflackern in Nagorno-Karabakh (ein zwischen Aserbaidschan und Armenien umstrittenes Gebiet) ließ mich erkennen, wie eingefrorene Konflikte über Nacht in vollumfängliche Kriege ausbrechen können. Diejenigen von uns, die jetzt in Bosnien-Herzegowina leben, sind sich nur allzu bewusst, dass unser eingefrorener Konflikt ein Pulverfass ist, dass nur auf seine Explosion wartet.
Und dass nur eine leistungsstarke Präsenz von NATO-Militärs langfristig Frieden und Stabilität gewährleisten kann. Die Ähnlichkeiten zwischen russischem und serbischem Irredentismus (einer Ideologie, die danach strebt, alle Angehörigen eines Volkes in einem einzigen Staat zu vereinen) sind erstaunlich.
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Bosniern wurde die Identität abgesprochen
In den 1990er-Jahren behaupteten serbische Nationalisten, dass Bosnien historisch gesehen zu Serbien gehöre. Dass wir bosniakischen Muslime in Wirklichkeit christliche Serben seien, die unter den Osmanen gewaltsam zum Islam konvertiert seien. Und dass Bosnien – als unabhängiges und souveränes Land – ohne serbische Vormundschaft nicht überlebensfähig wäre.
Die Fähigkeit der bosniakischen Muslime zur Identifizierung mit den Ukrainern ist so groß, dass nach Gebeten in den Moscheen Bosniens Geld für die Verteidigung der Ukraine gesammelt wurde. Allerdings sind sie nur begrenzt handlungsfähig.
Gemeinsam mit Serbien und Belarus bleibt Bosnien einer der wenigen europäischen Staaten, der noch keine Sanktionen gegen Russland erlassen hat. Anders als die beiden anderen Staaten, die ideologisch mit Moskau verbunden sind, ist Bosnien entlang ethnischer Linien gespalten. Das ist eine Reflexion der inneren politischen Unordnung des Landes.
Außenpolitische Entscheidungen in Sarajevo müssen im Konsens aller drei Mitglieder des rotierenden dreiteiligen Präsidiums gefällt werden. Eines seiner Mitglieder, der ultranationalistische Serbenführer Milorad Dodik, ist für seine offen muslimfeindliche und säbelrasselnde Rhetorik bekannt; aber auch für seinen absoluten Hass auf und Missachtung für das Land, welches er hier repräsentiert.
Als treuer Verbündeter Putins und des nationalistischen serbischen Präsidenten Vucic ist Dodik in der Lage, ein Veto gegen die Außenpolitik Bosniens einzulegen. Dazu gehört eine Verhinderung der Anerkennung des unabhängigen Kosovos und einer Verzögerung des NATO-Beitritts von Bosnien. Mit Moskaus und Belgrads Hilfe agitieren Dodik und seine Kumpanen für die Unabhängigkeit ihrer Republika Srpska. Sie kontrolliert 49 Prozent des bosnischen Gebietes.
Dodiks politische und wirtschaftliche Klientelnetzwerke sind tief in Serbien und Russland verwurzelt. Beide unterstützen seine Schritte, wenn sie diese nicht sogar direkt orchestrieren. Vucic, ein treuer Verbündeter Putins, bewegt sich seit Kriegsbeginn in der Ukraine auf einem schmalen Grat.
Er ging so weit, seine Türen für ukrainische Flüchtlinge zu öffnen, schreckte aber davor zurück, Moskau zu sanktionieren oder den serbischen Luftraum für russische Flugzeuge zu sperren. Regierungsnahe Medien jedoch haben den Einmarsch in die Ukraine gefeiert. Sie priesen Putin und sein Militär. Laut einer Umfrage im letzten Jahr betrachteten 83 Prozent aller Serben Russland als „Freund“.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Russland betrachtet Bosnien oder jedes andere kleine Land auf dem Westbalkan nicht als Gefahr seiner nationalen Sicherheit. Es ist nur sein leichtestes Ziel. Existierende tiefverwurzelte ethnische Probleme lassen sich verschlimmern, um die Aufmerksamkeit der EU und NATO von Moskaus anspruchsvolleren Plänen wie in der Ukraine abzulenken.
Darüber hinaus fühlt es sich berechtigt zu einer reziproken Vergeltung, nachdem die NATO in das eingedrungen sei, was der Kreml als seine Einflusszone betrachtet (Baltikum, Georgien und Ukraine).
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Sorgen um neuen Krieg
Unter meinen Freunden und Kollegen – größtenteils Politikwissenschaftler, Juristen und Journalisten – war bereits wieder von Krieg die Rede. In dem Bewusstsein, dass der Krieg auch auf Bosnien übergreifen könnte, hat die Friedenstruppe der Europäischen Union vorsorglich 500 weitere Soldaten in das Land entsandt. Dies gilt nur vorübergehend. Das Mandat der Friedenstruppe könnte durch das Vetorecht Russlands im UN-Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zunichte gemacht werden, da es jedes Jahr erneuert werden muss.
Schwache Wirtschaft, endemische Korruption, gescheiterte Reformen und Desinteressierte internationaler Gemeinschaft fordern nun ihren Preis für die Zukunft des Landes. Einheimische und internationale Beobachter sind sich weitgehend einig, dass Bosnien derzeit mit der schwersten Krise seiner Nachkriegszeit konfrontiert wird. Es handelt sich nicht mehr nur um eine politische Krise, sondern um eine sich rasch verschlimmernde Sicherheitskrise.
Ein Blick auf die Karte der NATO-Mitglieder offenbart, dass Bosnien, Serbien und Kosovo die einzig verbliebenen Balkanländer sind, welche sich noch nicht der Allianz angeschlossen haben. Genau hier hat Moskau erhebliche Interessen und mächtige Verbündete, die in seinem Namen handeln können.
Sollten bosnische Serben sich für unabhängig erklären, wird sich an den Grenzen zweier NATO-Mitglieder, Kroatien und Montenegro, ein illegitimer russischer Marionetten-Ministaat á la Abchasien formieren und wird dann von einem bosnischen Problem zu einem schwerwiegendem Kopfschmerz für das Bündnis.
* Übersetzung und Nachdruck mit Genehmigung des Autors. Harun Karcic ist Journalist und politischer Analyst für den Balkan. In den letzten zehn Jahren hat er zahlreiche Artikel über Religion, Politik und internationale Angelegenheiten verfasst, insbesondere über die Geopolitik der religiösen Soft Power in der Balkanregion.
Leider kein wirklich objektiver Artikel. Hier werden Serben mal wieder als nationalisten dargestellt…Mit keinem Wort wird die Partei SDA erwähnt, dessen Gründer “die islamische Deklaration” geschrieben hat, in diesem Buch wird beschrieben was diese nationalistische / islamistische für ein bosnien-hercegowina wünscht..die Scharia etc.
Oder die stärkste Bosnisch-Kroatische Partei, die HDZ BIH, eine rechtskonservative Partei, dessen Mutter-Partei (HDZ) erst vor wenigen Jahren ein Lehrfilm hat drehen lassen in dem das Vernichtungslager Jasenovac als Ferienlager dargestellt wird…
In diesem Land, regieren nur kriminelle und nationalisten, vollkommen egal welcher Volksgruppe sie zuzuordnen sind. Solange sich nicht ALLE Völker in diesem Land mit der gemeinsamen Geschichte ernsthaft auseinandersetzt wird es so weitergehen wie bisher…
Jeder beklagt seine Opfer und ignoriert die des anderen.
Und wenn ich noch etwas erwähnen darf, im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer, schade ist nur das selbst 30 Jahre nach dem Krieg immer noch so ein nationalistischer Journalismus besteht wie bei Herrn Karcic
Herr Karčić ist also auf der Seite der Ukrainer, die seit 2014 ihre russische Minderheit vertreibt und tötet. Gleichzeitig glaubt er, sie sei Opfer. Dann war Serbien 1999 Opfer der NATO, aber das wird von den Euro-Taliban dann wiederum bestritten. Die Widersprüche sind offensichtlich und armselig.