
Zwar möchte die Bundesregierung mit Hilfslieferungen aus der Luft Symbole setzen, lehnt EU-Sanktionen gegen Israel aber weiterhin ab. Weltweit isoliert sie sich damit zusehend.
(dpa, kann, iz). Israel sieht sich wegen der katastrophalen Zustände im umkämpften Gazastreifen einem immer stärkeren weltweiten Druck zum Handeln ausgesetzt.
Laut Experten für Ernährungssicherheit zeichnet sich in dem Küstengebiet „das schlimmste Szenario einer Hungersnot“ ab. Sollte die israelische Regierung nicht wesentliche Schritte unternehmen, diese entsetzliche Situation zu beenden und sich zu einem langfristigen, nachhaltigen Frieden bekennen, werde Großbritannien – so wie Frankreich – den Staat Palästina anerkennen, warnte der britische Premier Keir Starmer.
Das Tel Aviver Außenministerium kritisierte diesen Vorstoß mit scharfen Worten. Die Anerkennung Palästinas als Staat wäre eine „Belohnung für die Hamas“ und würde die Bemühungen um eine Waffenruhe im Gazastreifen sowie die Freilassung der noch immer von der Hamas und anderen Extremisten festgehaltenen Geiseln beeinträchtigen, hieß es in einer Mitteilung.
UN-Generalsekretär mit harter Kritik an Israel
Bei einer Konferenz zur Beilegung der Gewalt im Nahen Osten hat UN-Generalsekretär António Guterres harte Kritik an die israelische Regierung gerichtet. Weder die Terrorangriffe der Hamas vom 7. Oktober 2023 seien durch irgendetwas zu rechtfertigen, noch die „Austilgung Gazas, die sich vor den Augen der Welt entfaltet hat“, sagte Guterres am Montag in New York bei der von Frankreich und Saudi-Arabien ausgerichteten Tagung, an der Israel nicht teilnimmt.
Das Aushungern der Bevölkerung, die Tötung Zehntausender Zivilisten, eine weitere Zersplitterung der besetzten Palästinensergebiete und die Ausweitung der Siedlungen, weiter die Zunahme der Siedlergewalt gegen Palästinenser, Hauszerstörungen und eine Verschiebung der demografischen Verhältnisse bis hin zu offenen Annexionsplänen seien „Teil einer systemischen Realität, die die Bausteine für den Frieden demontiert“, so Guterres.
Eine Konfliktlösung müsse die Wahrheit zur Kenntnis nehmen, dass man an einer Belastungsgrenze angelangt sei. Die Zwei-Staaten-Lösung sei „ferner als je zuvor“.
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Die meisten Opfer sind Zivilisten
Seit Beginn des Gaza-Kriegs vor fast 22 Monaten sind nach Angaben der Gesundheitsbehörde bislang 60.034 Palästinenser ums Leben gekommen. 145.870 weitere erlitten demnach Verletzungen, wie es in einer Mitteilung der Behörde hieß. Es soll sich bei der Mehrheit der Opfer um Frauen, Minderjährige und ältere Menschen handeln.
Der Krieg, die israelische Kriegführung gegen Medien sowie die Kontrolle der Hamas machen es seit Kriegsbeginn schwierig, unabhängig Zahlen zu erheben. Zumal (gerade in Deutschland) der instrumentalisierte Vorwurf, alle Angaben würden von der Hamas stammen, zur Geringschätzung von Opferzahlen führt.
90 % der zwei Mio. Palästinenser wurden nach laut Hilfsorganisationen durch die Kampfhandlungen teils mehrfach in die Flucht getrieben. Die zivile Infrastruktur – Krankenhäuser, Schulen, Moscheen, Betriebe – wurde demnach weitgehend zerstört.
CARE: Gaza braucht einen Waffenstillstand
„Die israelische Ankündigung über eine einwöchige humanitäre Pause in bestimmten Teilen des Gazastreifens, die Einrichtung sicherer Routen für UN-Konvois sowie die vorübergehende Aufhebung von Zöllen auf bestimmte Hilfsgüter wie Medikamente ist keine Lösung für den Massenhunger und die von Menschen verursachte humanitäre Krise in Gaza“, erklärte die Hilfsorganisation CARE am Dienstag.
Die Forderung nach einem Waffenstillstand erhob zuvor Bundeskanzler Merz in einem Telefonat mit Premier Netanjahu. Netanjahu müsse „alles in seiner Macht Stehende“ unternehmen, um umgehend einen Waffenstillstand zu erreichen, erklärte Regierungssprecher Stefan Kornelius am 27. Juli in Berlin.
Beinahe zwei Jahre täglicher Gewalt, Zerstörung, Vertreibung, systematischer Behinderung humanitärer Hilfe sowie Belagerung und Aushungerung ließen sich nicht durch einzelne Maßnahmen rückgängig machen. Um die verheerenden Folgen auch nur ansatzweise zu lindern, bedürfe es eines langfristigen, koordinierten und ganzheitlichen Ansatzes.
„Ebenso wenig können Hilfslieferungen, die aus der Luft abgeworfen werden, eine verantwortungsvolle, gerechte und gezielte humanitäre Versorgung ersetzen. Sie haben sich bereits als gefährlich, entwürdigend und unzureichend erwiesen. Besonders gefährdet sind ohnehin bereits unterernährte Menschen, darunter Frauen, Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderung.“
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Bundesregierung bremst bei Sanktionen
Deutschland und mehrere andere EU-Staaten wollen einem Vorschlag zur Sanktionierung Israels wegen der katastrophalen humanitären Lage in Gaza vorerst nicht zustimmen.
Bei Beratungen im Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten in Brüssel habe deswegen keine schnelle Einleitung des Entscheidungsverfahrens vereinbart werden können, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur von Diplomaten. Konkret hatte die EU-Kommission am 28. Juli empfohlen, die Teilnahme Israels am Forschungsförderungsprogramm Horizon Europe teilweise auszusetzen.
Die Bundesregierung forderte die Tel Aviv bei einer UN-Konferenz zur Zweistaatenlösung in New York zu einer Kursänderung auf. „Als Deutschland haben wir gesagt, dass wir einen palästinensischen Staat eher am Ende solcher Verhandlungen anerkennen würden. Das ist weiterhin unsere Position – aber wir sehen, dass die derzeitige israelische Politik in die entgegengesetzte Richtung weist“, sagte Staatsminister Florian Hahn. Dies sei „völlig falsch“ und diene nicht den langfristigen Sicherheitsinteressen Israels.
Mit Zweistaatenlösung ist die Schaffung eines unabhängigen palästinensischen Staates gemeint, der friedlich Seite an Seite mit Israel existieren soll. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte kürzlich angekündigt, Ende September vor der UN-Generalversammlung in New York Palästina als Staat anzuerkennen. Anders als Deutschland droht nun auch Großbritannien damit.
Von vielen Beobachtern, Experten und Historikern wird eine solche Lösung als unrealistisch und nicht machbar eingestuft. Vielmehr sei sie ein internationales Feigenblatt, um Grundfragen des Nahostkonflikts nicht angehen zu wollen.
Arabische Länder fordern Ende der Hamas-Herrschaft
Mehrere arabische Staaten, darunter die zwischen Israel und der Hamas vermittelnden Länder Ägypten und Katar, forderten unterdessen bei der UN-Konferenz zur Zweistaatenlösung ein Ende der Hamas-Herrschaft im Gazastreifen. In einem siebenseitigen Dokument, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, verlangten insgesamt 17 Länder konkrete Schritte für ein Ende des Konflikts.
„Der Krieg in Gaza muss jetzt enden“, heißt es zu einer der Voraussetzungen für das Ziel einer Zweistaatenlösung, zu der Israel sich bekennen müsse. In dem Dokument wird ebenfalls das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 verurteilt, das den Krieg auslöste.