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Den letzten Weg gehen

Ausgabe 293

Gehen
Foto: Yaseer Booley

(iz). Ist ein Muslim oder eine Muslimin verstorben, soll möglichst umgehend der Leichnam rituell gewaschen werden, und zwar mehrmals in einer ungeraden Anzahl. Nach einer vollständigen Reinigung wird für die rituelle Waschung klares Wasser benutzt, bei der letzten Waschung wird Kampfer oder ein anderes Duftmittel hinzugefügt.

Der Leichnam wird möglichst von Angehörigen oder Nahestehenden gewaschen, wenn möglich, sowie von Angehörigen des gleichen Geschlechts. Nach der Waschung wird der Leichnam in eine ungerade Zahl von Tüchern oder Ähnlichem gehüllt, die ebenfalls noch einmal parfümiert werden, wie auch Teile des Körpers. Es gibt dabei geringe Unterschiede je nach Rechtsschule des Verstorbenen.

Das Totengebet (Salatu’l-Dschanasa, türk. Cenaze namazi) ist nach dem islamischen Rechtsschulen eine „Fard Kifaja“, also eine gemeinschaftliche Verpflichtung im Gegensatz zu einer individuellen Verpflichtung – das heißt, dass es ausreichend ist, wenn einige Muslime stellvertretend für die Allgemeinheit daran teilnehmen, wodurch die Nichtteilnehmenden von ihrer Verpflichtung befreit sind.

Im Folgenden soll das muslimische Totengebet kurz im Überblick geschildert werden, basierend auf der Schule des Imam Malik, außer wenn anders angegeben. Dem Leser wird empfohlen, sich über Einzelheiten anderweitig zu informieren, etwa in den einschlägigen Fiqh-Werken der vier Rechtsschulen oder vertrauenswürdigen Gelehrten der vier Rechtsschulen.

Die Bedingungen für das Totengebet sind, dass der Verstorbene Muslim ist, der Leichnam gewaschen worden ist und ein Großteil des Körpers vorhanden ist. Das Totengebet wird in Anwesenheit des Leichnams des Verstorbenen verrichtet, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit außer bei Sonnenauf- und Sonnenuntergang, also den Zeiten, in denen Gebete nicht erlaubt sind. Denn bekanntlich sollten verstorbene Muslime so schnell wie möglich begraben werden.

Die Praxis, das Totengebet für eine nicht anwesende verstorbene Person zu verrichten, ist nach der malikitischen und hanafitischen Rechtsschule nicht zulässig, allerdings nach der schafi’itischen und hanbalitischen erlaubt. Gemäß der malikitischen Rechtsschule soll das Totengebet am Begräbnisplatz verrichtet werden und nicht in einer Moschee.

Das Totengebet wird im Stehen verrichtet, ohne Beugungen und Sitzen, und im Stillen, mit Ausnahme der Takbirat des Imam. Wichtig ist, zuvor die entsprechende Absicht zu fassen, wobei zu berücksichtigen ist, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt, sofern dies bekannt ist. In ihm werden insge­samt vier Takbirat gegeben, wobei die Hände nach überwiegender Auffassung nur beim ersten Takbir erhoben werden. Nach dem vierten Takbir wird Salam gegeben. Der Imam steht dabei vor dem Leichnam, welcher sich quer gelegt vor ihm befindet.

Nach der malikitischen und der hanafitischen Rechtsschule gibt es, im Gegensatz zur schafi’itischen, im Totengebet keine Qur’anrezitation. Statt dessen können Bittgebete gesprochen werden, die aber nicht genau festgelegt sind, da mehrere verschiedene empfehlenswerte für diesen Anlass vom Propheten überliefert sind. Für verstorbene Kinder gibt es spezielle Bittgebete. Für totgeborene Kinder wird kein Totengebet verrichtet. Das Totengebet kann auch über mehrere Verstorbene gleichzeitig verrichtet werden. Sollte es für einen Verstorbenen vor dessen Begräbnis vergessen worden sein, so kann es auch über dem Grab verrichtet werden. Es darf jedoch nur einmal für den jeweiligen Verstorbenen verrichtet werden, nicht ein zweites Mal.

Die Teilnahme am Totengebet ist mit großer Belohnung verbunden, gemäß dem Hadith des Propheten: „Wer immer dem Leichnam eines Muslims in Glauben und Erwartung folgt, und bleibt bis zum Gebet über den Toten und ihn verlässt, wenn er begraben ist, kommt mit einer Belohnung von zwei Qirat zurück. Jede Qirat ist wie der Berg Uhud. Wer immer über dem Leichnam betet und dann zurückkehrt, bevor er begraben ist, kehrt mit einer Qirat Belohnung zurück.“

Nach dem Totengebet erfolgt die Bestattung eines/r Verstorbenen. Im Grab sollte der Leichnam – ohne Sarg, nur in die Tücher gewickelt – auf die rechte Körperseite gelegt werden, in Richtung der Gebets­richtung (Qibla) nach Mekka blickend. ­Darüber werden Platten aus Ton gelegt und die Lücken dazwischen verschlossen. Im Grab sollte eine Nische an der zur Qibla gerichteten Seite angelegt werden.

Dann wird das Grab mit Erde zugeschüttet. Während der Zuschüttung des Grabes, bei der jeder der Anwesenden ein wenig Erde auf das Grab werfen sollte, wird ein spezielles Bittgebet für den Verstorbenen gesprochen. Häufig wird auch Qur’an rezitiert, insbesondere die Sure Ja-Sin. Über dem Grab wird eine Erdanhäufung von geringer Höhe errichtet sowie ein Stein am Kopf- und Fußende des Grabes zur Markierung. Eine Grabpflege mit Blumenschmuck und Ähnlichem wie im Christentum üblich hat im Islam aber keine Tradition.

In den muslimischen Ländern sind die Grabfelder Orte der Ruhe, die eher naturnah in ihrem Aussehen sind – es wachsen durchaus hohes Gras oder andere Kräuter und Blumen. In Deutschland würde man dies wohl als „verwildert“ bezeichnen. Für die Muslime hat dies aber mangelnden Respekt gegenüber den Verstorbenen zur Bedeutung; es ist lediglich eine andere Art, mit Gräbern umzugehen. Die Gräber werden auch besucht, vor allem an Feiertagen.

Die Verstorbenen befinden sich im Grab in einer Zwischenphase zwischen dem Austritt aus dem diesseitigen Leben und dem Tag der Auferstehung ins Jenseits. Im Grab erfolgt eine Befragung durch die Engel Munkar und Nakir, und je nach ihren Taten im Diesseits ist der Zustand der Verstorbenen im Grab entweder angenehm oder es kann auch eine Bestrafung im Grab erfolgen.