Der ewige Ost-West-Konflikt

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(iz). Wir sind gewohnt, den Konflikt zwischen Russland und der westlichen Welt vom Kalten Krieg aus zu denken. Erst die Systemkonkurrenz zwischen Kommunismus und Kapitalismus habe zur Blockkonstellation geführt. Seit der Aggression Wladimir Putins, der sich explizit auf die imperiale russische Tradition beruft, wird aber vielen klar, dass die Feindschaft zwischen Eurasien und dem Westen viel älter ist.

Der Ost-West-Konflikt ist dreihundert Jahre alt. Er bahnt sich um das Jahr 1700 an. Während sich damals England und Frankreich im Spanischen Erbfolgekrieg (1701-1714) im Kampf um die atlantische Hegemonie gegenüberstehen, wehrt sich Russland unter Zar Peter I. erfolgreich gegen den Versuch König Karls XII. von Schweden, das Land einzunehmen. Am Ende des Großen Nordischen Krieges (1700-1721) hat Schweden, die ehemalige protestantische Führungsmacht Europas, seine Vormachtstellung eingebüßt; Peter der Große aber nimmt den Kaisertitel an.

In den fünfzig Jahren, die nun folgen, vollzieht sich Russlands Aufstieg zum vollwertigen Glied des so genannten Konzerts der Mächte. In den drei Schlesischen Kriegen seit 1740 stützt das Zarenreich erst das bedrohte Österreich, wechselt aber im dritten, dem so genannten Siebenjährigen Krieg (1756-63) überraschend die Seiten und rettet dadurch das ausgepowerte Preußen unter Friedrich dem Großen. Das Ende des Siebenjährigen Krieges sieht England als globale Hegemonialmacht mit Kolonien in Nordamerika und Indien, Russland aber als die dominierende Kontinentalmacht in Europa, ohne die nichts mehr geht: „Franzosen und Russen gehört das Land, das Meer gehört den Briten“, dichtet Friedrich Schiller vierzig Jahre später.

1763 ist auch die Geburtsstunde der so genannten europäischen Pentarchie. Ihre Glieder sind: England, Frankreich, Österreich, Preußen, Russland. Frankreich ist aber finanziell und innenpolitisch durch eine Serie von außenpolitischen Niederlagen und jahrzehntelange Misswirtschaft schwer angeschlagen, Österreich chronisch pleite und das kleine Preußen, wie es Otto von Bismarck hundert Jahre später formuliert, nur eine Großmacht cum grano salis. Es bleiben England und Russland: sie sind nunmehr die beiden Vormächte Europas, und bleiben es bis 1917. Nicht länger Großmächte sind Spanien, Schweden und Polen.

Polen-Litauen war jahrhundertelang neben Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich die dritte Großmacht Europas gewesen. Aber sein wahlmonarchisches System hat es im Zeitalter des frühen Nationalstaats, der eng mit der Erbmonarchie und der Domestikation des Adels verbunden war, ins Hintertreffen geraten lassen. Nach dem Siebenjährigen Krieg, den Polen unter seinem sächsischen König an der Seite Russlands ausgefochten hatte, rächt sich das: unter dem Vorwand, die Osmanen zurückzudrängen, gegen die das schwache Polen, zu dem große Teile der Ukraine gehören, nichts ausrichten könne, entschließen sich Russland, Österreich und Preußen 1772 zur Ersten Teilung Polens; ihr folgen 1793 und 1795 zwei weitere Teilungen, völkerrechtswidrig wie die erste; am Ende ist Polen von der Landkarte verschwunden und wird es bis 1918 bleiben.

Die Teilungen Polens sind der große Schritt Russlands nach Westen – und in die Ukraine. Preußen nimmt sich Westpreußen, Danzig und Posen, am Ende sogar Warschau (das muss es später an Russland weiterreichen); Österreich Galizien um Lemberg und das westliche Wolhynien. Russland aber bekommt den größten Brocken: das heutige Belarus, vor allem aber die Ukraine westlich des Dnjepr. Deren östlicher Teil mit Kiew und Poltawa hatte sich schon Mitte des 17. Jahrhunderts von Polen losgesagt und 1654 im Vertrag von Perejaslaw russischer Oberhoheit unterstellt. Dieser Vertrag von Perejaslaw gilt in der offiziösen russischen Historiographie als Legitimation russischer Gebietsansprüche auf die Ukraine; wirklich formalisiert wird die russische Herrschaft über das so genannte Kosaken-Hetmanat aber erst im 18 Jahrhundert.

Mit der Zweiten Polnischen Teilung 1793 vollendet Russlands Zarin Katharina die Große, was sie 1774 im Frieden von Küçük Kaynarca begonnen hat, als sie Sultan Abdülhamid I. zur Abtregung des Khanats der Krimtataren zwang und damit große Teile der Südukraine okkupierte, mit der Annexion der Krim 1783 als Schlussstein. Das neueroberte Territorium bekommt den Namen Novorossiya, „Neurussland“, 1795 wird die Stadt Luhansk gegründet. Erst mit Kücük Kaynarca und den Teilungen Polens beginnt die eigentliche russische Herrschaft über die Ukraine – also vor gerade einmal 250 Jahren.

In der folgenden Revolutions- und napoleonischen Ära leistet Russland gemeinsam mit England den entscheidenden Widerstand gegen die französische Expansion. Zar Alexander I. rettet Österreich und vor allem Preußen (Friede von Tilsit 1807) vor der völligen Zerstückelung. Napoleons Feldzug auf Moskau von 1812 scheitert desaströs. Der Wiener Kongress 1814/15 bestätigt Russlands kontinentale Vormachtstellung, aber auch die Pentarchie von 1763 – und die polnischen Teilungen. Der Traum der Polen, unter Napoleon wieder ein souveräner Staat zu werden, wird beerdigt.

Unterdessen wird 1815 nicht nur der Friede zu Wien geschlossen, sondern auch die Heilige Allianz: in ihr organisieren sich vor allem die drei östlichen Mächte Europas, Russland, Österreich und Preußen, mit der besonderen Verpflichtung, künftig sich jeder Revolution im Inneren und jeder Gebietsveränderung im Äußeren entgegenzustellen. Das soll zwar dem Frieden dienen, würgt aber auch die Freiheitsbestrebungen im bürgerlich emanzipierten Europa ab. Mittel- und Osteuropa erleben einen Rückfall ins vorrevolutionäre 18. Jahrhundert; wichtigste Schutzmacht der Reaktion aber ist das Russische Kaiserreich, dessen Regierungsform Zeitgenossen als „despotisme tempéré par le régicide“ bezeichnen: als Despotie, die ab und zu durch die Ermordung des Herrschers gemäßigt würde. Alexanders Nachfolger auf dem Zarenthron, Nikolaus I. (1825-1855), erhält den wenig schmeichelhaften Beinamen „Gendarm Europas“; er und Österreichs Staatskanzler Fürst Metternich sind die spiritus rectores des Vormärz (1815-1848).

England und Frankreich aber entwerfen sich, obwohl beide ebenfalls monarchisch verfasst und eigentlich seit dem Mittelalter erbitterte Erzfeinde, zunehmend als liberale Gegenmächte zu Russland. Und so kommt es in den 1820er Jahren zum Riss in der Wiener Friedensordnung und der europäischen Pentarchie, der nicht mehr zu kitten sein und der alsbald zu der Blockkonstellation führen wird, die wir heute, 2022, immer noch bzw. wieder vorfinden.

Als sich 1821 die Griechen zum Aufstand gegen die osmanische Herrschaft entschließen, bleiben vorerst alle europäischen Großmächte passiv. Die beiden Grundsätze des Wiener Kongresses lauten: Erstens, keine Revolutionen. Zweitens, Unterstützung des legitimen Herrschers, selbst, wenn es ein Muslim ist. Nun aber ändert sich das: England und auch Frankreich werden zu engagierten Unterstützern der griechischen Freiheitskämpfer; aus Philhellenismus – und weil es hier um die westlichen Ausläufer des einst so mächtigen Osmanischen Reiches geht, die sie kolonisieren wollen. Das eigentlich reaktionäre Russland, das aber aufs Schwarze Meer lauert, hat ähnliche Absichten, und so kommt es zu einer merkwürdigen Dreierkoalition: die frühindustriellen Westmächte Frankreich und England und das spätagrarische Russland verbünden sich spontan für eine einzige Seeschlacht; mit dem Sieg bei Navarino beenden sie am 20. Oktober 1827 die türkische Herrschaft über einen großen Teil Griechenlands. Der neue Staat wird im Jahr darauf aus der Taufe gehoben und 1830 auf dem Londoner Protokoll international bestätigt.

Doch geopolitisch beginnt jetzt der große Ärger: zu welchem Block soll das neue Griechenland denn nun gehören, zum Westen oder zu Russland? In Griechenland wird die Frage im Jahr darauf durch Gewalt entschieden: der prorussische griechische Staatschef Ioannis Kapodistrias (er vertrat einst Russland auf dem Wiener Kongress) wird in Nauplion ermordet, Griechenland ist seither, oft widerwillig, Teil des westlichen Systems.

Russland und die Westmächte aber schielen weiterhin nach Eroberungen auf osmanischem Gebiet sowie in Zentralasien und geraten dabei zunehmend in Schlagdistanz. 1830 lässt König Karl X. von Frankreich Algerien besetzen; im selben Jahr beginnt England seine Intervention in Afghanistan – und damit das Great Game gegen Russland, das nämlich über Afghanistan an den Indischen Ozean gelangen will.

Im selben Zeitraum macht sich Russland an die Eroberung des Kaukasus und Zentralasiens, was den Hintergrund für die russische Literatur der Epoche liefert, etwa Lermontovs Ein Held unserer Zeit. Dabei kommt es zu gewaltsamen Umsiedlungen mit mehreren Hunderttausend Toten, und Russland erhält eine Menge neuer, muslimischer Untertanen.

Reden wir heute von Kolonialismus, so meinen wir damit den der westlichen Mächte erst in der Frühen Neuzeit (Süd- und Nordamerika, Indien), dann im 19. und 20. Jahrhundert (Afrika, Naher und Ferner Osten). Es gab aber auch einen russischen Imperialismus: dieser spielte sich in Zentralasien und im Kaukasus ab; er war weniger rassistisch als der westliche, aber nicht weniger aggressiv. Beiden Blöcken ging es um die Ausweitung ihrer Einflusszonen und Absatzmärkte und konkret um die Nachfolge des Osmanischen Reiches, das von Libyen bis zum Irak, von Armenien bis zum Sudan reichte. Das geopolitische Glacis von Griechenland über den Orient bis nach Afghanistan nannte der US-amerikanische Politikberater Zbigniew Brzezinski in seinem 1997 erschienenen Klassiker The Grand Chessboard den „eurasischen Balkan“.

Innerhalb dieser weltpolitischen Range kommt es 1853 zum ersten blutigen Zusammenstoß beider Blöcke. Als Russland mit Moldau und der Walachei – den heutigen Staaten Moldawien und Rumänien – zwei weitere osmanische Provinzen befreien und sich damit zugleich den exklusiven Zugang zum Schwarzen Meer sichern will, landen England und Frankreich Truppen auf der Krim an. Der Krimkrieg wird der erste fotografisch überlieferte Krieg der Geschichte, die hanebüchen todesmutige britische Attacke von Balaklava (The Charge of the Light Brigade) zur Legende. Am Ende ist Rumänien unabhängig, aber Russland geschlagen; die Folge sind verschärfte innenpolitische Spannungen, die in die Bauernbefreiung durch Zar Alexander II., den Sohn und Nachfolger des 1855 verstorbenen Nikolaus I., münden. Auch die Spannungen zwischen dem Westen und Russland verschärfen sich, und nach mehreren Revolutionen bzw. Wahlrechtsreformen verstehen sich Frankreich und England auch ideologisch immer mehr als bürgerlich-liberale Antagonisten zum Russischen Reich, in dem adlige Gutsbesitzer bis 1861 noch am Whist-Tisch ihre „Seelen“ verspielten. Marx und Engels, die nachmaligen sowjetischen Nationalheiligen, waren erbitterte Gegner Russlands.

Inmitten dieses geopolitischen Settings – westlicher Kolonialismus im Orient, Afrika und Südostasien, russischer Imperialismus im Kaukasus und Zentralasien – vollzieht sich die Gründung des Deutschen Reiches unter Bismarck, der den engen Anschluss an Russland sucht, bis er 1890 eben über die Nichtverlängerung des Rückversicherungsvertrages mit Russland entlassen wird. Das neue, potente, aufstrebende und militaristische, Deutschland, das, wie Sebastian Haffner schrieb, zwar einer Koalition der übrigen vier Großmächte unterlegen, jeder einzelnen von ihr aber überlegen war, entwickelt sich fortan zum nervösen Kraftzentrum des Kontinents; seine fatale Unentschlossenheit, an welchen Block – England oder Russland – es sich definitiv anschließen solle, führt zu seiner Isolation („Einkreisung“) und auch zum Weltkrieg 1914.

Der gemeinsame Krieg der in der Tripleentente von 1907 zusammengeschlossenen Westmächte und Russlands gegen das sich selbst isolierende Deutschland übertüncht aber nur den viel größeren Konflikt zwischen „Bär und Walfisch“, der längst nicht ausgestanden ist. Immer noch besteht das Osmanische Reich, auch wenn es 1912 alle seine europäischen und afrikanischen Provinzen verloren hat, zuletzt Libyen und Albanien, und so geht der Erste Weltkrieg nicht nur um die Dominanz Deutschlands über Mitteleuropa, sondern noch viel mehr um die bevorstehende Aufteilung des Osmanischen Reiches. Beschließen Frankreich, England und Russland vorerst einvernehmlich diese Aufteilung, so scheidet das Russische Reich mit der Oktoberrevolution 1917 aus der Kriegskoalition aus, schließt 1918 mit den Mittelmächten den Frieden von Brest-Litowsk – und veröffentlicht den geheimen Sykes-Picot-Plan, in dem 1916 die Westmächte die Zerstückelung des osmanischen Orients festgehalten hatten. Seitdem sind England und Frankreich heillos als imperialistische Mächte kompromittiert – bei Muslimen, aber auch bei Linken in aller Welt. Zeitgleich entwirft Lenin im Russischen Bürgerkrieg seine antiimperialistische Doktrin, die seither von allen russischen und sowjetischen Regierungen offiziell vertreten wird – auch vom postkommunistischen, neoimperialistischen Aggressor Putin.

Doch schon die Errichtung der Sowjetunion 1922 ist eine Reaktualisierung des Zarenreiches unter kommunistischen Vorzeichen; sie reicht von der Ukraine und dem Kaukasus bis an die Grenzen Chinas. Lenins Nachfolger Stalin (reg. 1924-53) lässt alsbald die antiimperialistische Maske fallen: erst dezimiert er die ukrainische Bevölkerung durch einen brutalen Hungervölkermord in den frühen Dreißigerjahren, dann beseitigt er die multinational geprägte Führungsschicht der Roten Armee während der „Großen Säuberung“ 1936-38. Am 23. August 1939 schließt er einen Nichtangriffspakt mit Hitler, drei Wochen später lässt er die Rote Armee in Ostpolen einmarschieren: aus deutscher und russischer Sicht die Vierte Polnische Teilung.

Dieser Pakt mit dem faschistischen, aber sich ebenfalls antiwestlich gebenden Deutschland vertieft die fortdauernde westlich-russische Systemkonkurrenz, die nun unter umgekehrten Vorzeichen läuft: anders als 1850 gelten die kapitalistischen Westmächte als reaktionär, die kommunistische UdSSR als fortschrittlich. Auch diesmal „rettet“ die deutsche Aggression die Welt vor einem Zusammenstoß zwischen Westen und Russland: nach dem Überfall auf Polen und der Kriegserklärung der Westmächte 1939 attackiert Hitler im Juni 1941 unter Bruch des Vertrags von 1939 die Sowjetunion. Es formiert sich die Anti-Hitler-Koalition, unter Beteiligung der USA, die im Dezember 1941 ebenfalls in den Krieg hineingezogen werden. Zum zweiten Mal nach 1914 kämpfen Bär und Walfisch Seit an Seit gegen Deutschland und seine Verbündeten; der Bär ist allerdings nicht mehr Russland, sondern die Sowjetunion, der Walfisch nicht mehr das wankende British Empire, sondern die reichen, vor Kraft überquellenden USA, deren märchenhafte Warenlieferungen über den persischen Korridor wahrscheinlich die Sowjetunion retten.

Auf den Konferenzen von Teheran (1943) und Jalta (1945) teilen diese beiden die Welt untereinander auf: die USA „bekommen“ Europa westlich, Russland östlich der Elbe, dazu jeder ein Stück vom Balkan. Russlands alter Traum, durch ungleiche Bündnisse wie die Heilige Allianz und durch osmanische Annexionen weiter nach Mitteleuropa vorzudringen, ist wahr geworden; zu den ab 1922 einverleibten Sowjetrepubliken kommen nach 1945 dann noch die durch die Rote Armee befreiten – und besetzten – Satellitenstaaten des Warschauer Paktes (1955), der sich in Reaktion auf die Gründung der NATO 1949 konstituiert.

Das sind die weltgeschichtlichen Hintergründe des Kalten Krieges, der sich an die Konferenzen von Jalta und dann Potsdam im Sommer 1945 anschließt; er bildet nur eine Episode in dem Ost-West-Konflikt, der sich bereits um 1700 anbahnte, sich 1763 klar abzeichnete und zwischen 1821 und 1856 unwiderruflich wurde. So wie die Westmächte ihre überseeischen Kolonien sammelten und etwa England zum „Muslim Empire“ (Benjamin Disraeli) wurde: so wurde Russland zur eurasischen Kolonialmacht, von Sibirien, der Ukraine, dem Kaukasus und Zentralasien bis zu den Sowjetrepubliken nach 1922 und den Staaten des Warschauer Paktes. Und so, wie die Westmächte nach dem Zweiten Weltkrieg in der Dekolonisierungsära ihre Kolonialreiche eines nach dem anderen verloren: so verlor Russland 1990/91 nicht nur seine Hegemonie über die Warschauer-Pakt-Staaten, sondern auch seine vierzehn nichtrussischen Sowjetrepubliken, darunter die baltischen Staaten und die Ukraine.

Was Wladimir Putin seit seinem Regierungsantritt vor 22 Jahren betreibt, ist also keine Abwehr gegen die NATO, sondern der Versuch der Rückgängigmachung der russischen Dekolonisierung von 1991. Die NATO aber ist, anders als das British Empire einst oder die US-amerikanischen Stützpunkte in aller Welt heute, kein koloniales Gebilde, sondern, soweit sie Europa betrifft, die geschichtlich gewachsene Ausdehnung der Annäherung der Westmächte Frankreich und England aus den 1820er Jahren auf das lange Zeit zwischen Ost und West schwankende Deutschland, die Nachfolgestaaten der Donaumonarchie (mit Ausnahme des 1945 neutralisierten Österreichs selbst) und die nordischen und mediterranen Ränder Europas, die ohnehin immer dem Westen nahestanden. Die NATO manifestiert nur den Traum von einem einigen, friedlichen Europa, der seit dem Mittelalter geträumt wurde und der in idealisierter Weise das Imperium Romanum, das von Britannien bis in die Ukraine (sic) reichte, abbildet.

Russland aber lag weder zu Roms Zeiten noch im Mittelalter schon auf der „europäischen Landkarte“; das ist sein Schicksal, und wirre imperialistische Aggression gegen Europa wird daran nichts ändern. Es bleibt ihm nur, sich der eigentlichen eurasischen Führungsmacht von heute, China, als Vasall anzuschließen: oder die ausgestreckte Hand Europas und der NATO friedlich zu ergreifen und den Weg nach Westen zu gehen, den schon das einstmals störrische, hasserfüllte Deutschland gegangen ist. Ein gewichtiger Teil der russischen Zivilgesellschaft, so darf man behaupten, ist bereit, diesen Weg zu gehen.