Deutsche Firmen haben den Aufbau der syrischen Giftgas-Produktion seit den 1980er Jahren unterstützt

Berlin/Damaskus (GFP.com). Deutsche Firmen haben den Aufbau der syrischen Giftgas-Produktion seit den 1980er Jahren maßgeblich unterstützt. Dies bestätigen Erkenntnisse der “Organisation für das Verbot Chemischer Waffen” (OPCW), die von der syrischen Regierung umfassende Informationen über das Damaszener Chemiekampfstoff-Programm erhalten hat. Demnach haben bundesdeutsche Firmen allein zwischen 1982 und 1993 mehr als 50 Lieferungen nach Syrien auf den Weg gebracht, die dort mutmaßlich zur Giftgas-Produktion genutzt wurden. Die Angaben der OPCW werfen ein neues Licht auf die Lieferung von mehr als 360 Tonnen Chemikalien nach Syrien in den Jahren von 1998 bis 2011, von denen es bislang offiziell hieß, sie seien womöglich zur Zahnpasta-Herstellung verwendet worden. Berichten zufolge könnte der BND in die Unterstützung für das syrische Chemiewaffen-Programm involviert gewesen sein. Tatsächlich waren Mitarbeiter des deutschen Auslandsgeheimdienstes in deutschen Zuliefer-Firmen am Verkauf von Chemiewaffen-Technologie an den Irak beteiligt – in den 1980er Jahren, also exakt zu der Zeit, als auch Syrien ausgerüstet wurde. Einer US-Studie zufolge haben zumindest teilweise dieselben Firmen Damaskus und Bagdad mit bundesdeutscher “Dual Use”-Technologie versorgt.

Mit staatlichen Garantien
Hinweise darauf, dass deutsche Firmen am Aufbau der syrischen Giftgas-Produktion beteiligt waren, sind schon lange bekannt. Bereits im Jahr 2000 hatte das Center for Strategic and International Studies (CSIS) aus Washington eine Studie veröffentlicht, aus der hervorging, dass deutsche Unternehmen Mischtrommeln, Hochtemperaturöfen und isostatische Pressen nach Syrien geliefert hatten; derlei Gerätschaften werden für die Produktion chemischer Kampfstoffe benötigt. Die CSIS-Studie hielt zudem fest, dass einige der beteiligten deutschen Firmen bereits einschlägig bekannt waren – sie hatten zuvor den Irak mit Technik zur Giftgas-Herstellung versorgt. Unter anderem sei der Glasfabrikant Schott involviert gewesen, berichtete das CSIS, das darauf verwies, dass die Lieferungen zumindest zum Teil mit staatlichen Hermes-Garantien abgesichert worden waren.

Dual Use
Als das renommierte CSIS seine Studie publizierte, hatten deutsche Unternehmen bereits begonnen, Chemikalien nach Syrien zu verkaufen, die gleichfalls zur Giftgas-Herstellung verwendet werden können. Die Lieferungen hatten 1998 begonnen; sie wurden von der rot-grünen Bundesregierung ebenso wie von der Großen Koalition ab 2005 und von der schwarz-gelben Regierung ab 2009 toleriert. Insgesamt sind mindestens 360 Tonnen Chemikalien nach Syrien verkauft worden. Als der Vorgang im vergangenen September bekannt wurde, hieß es noch, die Stoffe könnten ebenso zur Herstellung des Nervengifts Sarin wie auch zur Fabrikation von Zahnpasta genutzt worden sein – es handele sich eben um klassische “Dual Use”-Materialien. Vor dem Hintergrund der jüngsten Erkenntnisse erscheinen die Lieferungen nun allerdings in einem anderen Licht.

Aufbauhilfe
Denn laut aktuellen Berichten unterstützten bundesdeutsche Firmen bereits seit 1982 den Aufbau der syrischen Giftgas-Produktion. Dies geht aus Informationen hervor, die die “Organisation für das Verbot Chemischer Waffen” (“Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons”, OPCW) von der syrischen Regierung erhalten hat – im Rahmen der Vernichtung der syrischen Giftgas-Bestände. Die OPCW, die die Maßnahme inspiziert, hat auf Grundlage ihrer vor Ort gesammelten Erkenntnisse eine Liste von über 50 Lieferungen bundesdeutscher Unternehmen an Syrien erstellt, die Damaskus in die Lage versetzt haben sollen, chemische Kampfstoffe zu produzieren. Unter anderem sollen in den Jahren 1983 und 1984 die Produktionsskizzen für zwei Anlagen zur Herstellung wichtiger Ausgangsprodukte für die Chemiewaffen-Herstellung aus der Bundesrepublik gekommen sein; die syrische Regierung hat sie der OPCW jetzt zu Aufklärungszwecken übergeben. Den Berichten zufolge wurden darüber hinaus teflonbeschichtete Reaktoren, Schläuche und Kontrollventile, Container, Steuerungsanlagen, eine Chemiewaschanlage sowie 2.400 Tonnen Thionylchlorid aus der Bundesrepublik nach Syrien geliefert. Thionylchlorid wird zur Produktion von Sarin benötigt. Die Verkäufe sind bislang für die Zeit von 1982 bis 1993 belegt. 1993 hatten zudem die erwähnten Lieferungen so genannter Dual Use-Chemikalien begonnen; sie wurden erst im Mai 2011 eingestellt, als der Westen auf den Sturz von Bashar al Assad zu orientieren begann.

Schwerwiegende Folgen
Die Bundesregierung hält die Namen der von der OPCW inkriminierten Firmen bisher sorgfältig unter Verschluss. Man müsse das “Geschäftsgeheimis” wahren, heißt es zur Begründung: “Bereits ein Bekanntwerden der Namen im Zusammenhang mit der Diskussion um die syrische Chemiewaffenproduktion kann für die betroffenen Unternehmen schwerwiegende Folgen haben, die bis zur Existenzbedrohung führen können”. Tatsächlich könnten die Firmennamen auch Aufschluss darüber geben, inwieweit der deutsche Auslandsgeheimdienst in die bundesdeutschen Lieferungen nach Syrien involviert war.

Mitarbeiter des BND
Dokumentiert ist die Involvierung von Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes (BND) in die bundesdeutschen Zulieferungen für das Giftgas-Programm des Irak. Wie es in einer ausführlichen Darstellung über die Geschichte des BND heißt, warb der Geheimdienst im Jahr 1986 einen gewissen Peter Leifer als Mitarbeiter an. Leifer war damals Manager der Hamburger Firma Water Engineering Trading GmbH (W.E.T.); neben ihm sollen noch zwei weitere Angestellte der W.E.T. für den BND tätig gewesen sein. Über die W.E.T. heißt es in der erwähnten Darstellung, “tonnenweise” habe sie in den 1980er Jahren “Chemikalien wie Natriumfluorid und Methylenchlorid” an Bagdad verkauft; “beides braucht man zur Herstellung des Kampfgases Tabun”. Weiter heißt es in der Untersuchung zu den W.E.T.-Aktivitäten: “1986 wird eine Fabrik zur 'Produktion von Pestiziden' für 20 Millionen Mark nach Falludscha geliefert, einem streng abgeschirmten Zentrum der irakischen Waffenproduktion. Zwei Anlagen werden errichtet, die am Tag 17,6 Tonnen Ausgangsprodukte für die Kampfstoffe Tabun und Sarin liefern können.” Zudem seien “Anlagen, die zur Verschraubung von Granaten oder Bomben oder zum Füllen von Giftgasgranaten geeignet waren, … bei W.E.T. bestellt” worden. 1987 sei “eine vierköpfige W.E.T.-Delegation von 14 irakischen Projektmanagern zu einer viertägigen Besprechung empfangen” worden. W.E.T.-Manager Leifer arbeitete mindestens bis März 1988 für den BND.

Geheimdienstkontakte
Die Zulieferungen für die irakische Giftgas-Herstellung erfolgten zu einer Zeit, als der BND seine Beziehungen nach Bagdad ausbaute. Hatte es in den 1970er Jahren “noch keine institutionalisierten Geheimdienstkontakte zum Irak” gegeben, so änderte sich dies im Laufe der 1980er Jahre, auch dank der stetigen Kontakte im Zusammenhang mit der Lieferung von Nachrichtentechnik sowie (nicht nur Chemie-)Waffentechnologie – immer in Tuchfühlung mit der Auslandsspionage.

Spionagekooperation
Auch die Zulieferungen für die syrische Giftgas-Produktion gingen zumindest zeitlich mit dem Ausbau der bilateralen Geheimdienstkooperation einher. 1982 wurde der Verkauf verschiedenster für die Chemiekampfstoff-Herstellung nützlicher Gerätschaften nach Syrien in die Wege geleitet. Nach sorgsamen Vorarbeiten gelang es Bonn 1987, einen offiziellen BND-Statthalter in Damaskus zu etablieren. Nur ein Jahr später starteten die bundesdeutschen Lieferungen von “Dual Use”-Chemikalien nach Syrien. Über die 1990er Jahre schreibt der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom mit Blick auf die mittlerweile ungemein intensiv gewordene Kooperation: “Zeitweise führten BND-Verbindungsführer und syrische Falloffiziere sogar gemeinsam Quellen im islamistischen Milieu.” Im Jahr 2002 wurde die Zusammenarbeit weiter gestärkt; das rot-grün regierte Berlin entsandte schließlich sogar Beamte nach Damaskus, die dort Folterverhöre begleiteten (german-foreign-policy.com berichtete ). Die Kooperation trägt aus deutscher Sicht bis heute Früchte: Der BND gilt nach wie vor als in Syrien bestens vernetzt.

Nicht verwunderlich
In einem Pressebericht heißt es nun: “Im Zusammenhang mit den neuen Unterlagen aus Syrien tauchen Hinweise auf, der Bundesnachrichtendienst (BND) habe Mitte der Achtzigerjahre gewusst, dass Teile zum Bau der Chemiewaffenproduktion in Syrien von deutschen Firmen geliefert worden seien. Das kann sein. … Verwunderlich ist es auch nicht.” Die Bundesregierung aber verweigert bislang jegliche Aufklärung darüber – zwecks Wahrung der “Geschäftsgeheimnisse”.