Berlin/Teheran (GFP.com). Die deutsche Debatte über einen Überfall auf Iran dauert an. Während hochrangige Berliner Politiker vor einem Militärschlag Israels oder der USA warnen, heißt es in konservativen Medien, Luftangriffe auf iranische Atomanlagen seien zwar riskant, hätten jedoch „gute Erfolgsaussichten“. Regierungsberater versuchen die widersprüchlichen Interessen mit dem Hinweis zu versöhnen, nur die tatsächliche Vorbereitung eines Krieges könne zu einem Maß an Druck führen, das groß genug sei, um eine diplomatische Lösung des Atomkonflikts zu ermöglichen.
Als Mittler für eine solche Lösung stehe Deutschland bereit, heißt es; Berlin nehme dabei eine exklusive Stellung ein und gelte als „wichtiger Ansprechpartner“. Auch in den USA hält die Kriegsdebatte an. Dabei wird nicht verschwiegen, dass im Mittelpunkt der Auseinandersetzung westliche Hegemonialinteressen stehen. Die Washingtoner Administration hat sich öffentlich darauf festgelegt, den Bau einer iranischen Atombombe gegebenenfalls auch militärisch zu verhindern; zur Diskussion steht vor allem, ob schon in naher Zukunft Luftangriffe gestartet werden sollen.
Time to Attack Iran
Die Debatte über einen möglichen Überfall auf Iran, die auch in Deutschland andauert, wird in den Vereinigten Staaten deutlich offener geführt. Ein Beispiel bietet ein Beitrag, der zu Jahresbeginn in der Zeitschrift Foreign Affairs, dem maßgeblichen Außenpolitik-Fachblatt des Washingtoner Establishments, erschienen ist. Autor des Beitrags („Time to Attack Iran“) ist ein Militärexperte, der von Juli 2010 bis Juli 2011 als Sonderberater beim US-Verteidigungsminister tätig war. Wie seinem Beitrag zu entnehmen ist, liefe eine iranische Atombombe vor allem deswegen den Interessen des Westens zuwider, weil sie „die Handlungsfreiheit der USA im Mittleren Osten begrenzen“ würde. Washington müsste, sollte Teheran künftig eine Atommacht sein, „zweimal nachdenken, bevor es in der Region etwas unternimmt“.
Zudem müsste ein nuklear hochgerüsteter Iran eingedämmt werden, was „eine beträchtliche Streitmacht auf Jahrzehnte in der Region“ bände. Letzteres jedoch stelle für Washington ein erhebliches Problem dar, da man einerseits aufgrund der Wirtschaftskrise finanziell eingeschränkt sei, zum anderen aber plane, einen guten Teil der Streitkräfte „aus der Region weg zu verlegen“. Militärisches Schwerpunktgebiet der USA für voraussichtlich die nächsten Jahrzehnte ist Ostasien (german-foreign-policy.com berichtete ). Der Autor des Beitrages hält den Zeitpunkt, Iran anzugreifen, um die Hegemoniefrage im Mittleren Osten ein für allemal zu klären, deshalb für gekommen.
Keine Politik der Eindämmung
Demgegenüber weist in Foreign Affairs ein zweiter Autor, der von 2009 bis 2011 im Pentagon tätig war – als Deputy Assistant Secretary of Defense for the Middle East -, auf die Schwierigkeiten hin, die ein Überfall auf Iran aus seiner Sicht mit sich brächte. Demzufolge würde gerade ein Krieg die US-Streitkräfte auf lange Sicht binden, da mit anhaltenden antiamerikanischen Unruhen zu rechnen sei. Eine stabile Hegemonie sei zudem kaum zu gewinnen, da Teheran nach einem Bombardement erst recht nach der Atombombe streben werde, um auf lange Sicht gegen Angriffe aus dem Westen gerüstet zu sein. Der Autor plädiert deshalb dafür, einen Überfall wegen der „hohen Kosten und der ihm anhaftenden Ungewissheiten“ so lange wie möglich zu vermeiden. Am besten sei es, den Bau von Nuklearwaffen durch Teheran politisch zu verhindern. Jedoch lässt der Autor keinen Zweifel daran, Luftangriffe für den Zeitpunkt zu befürworten, wenn der Bau einer Atombombe durch Iran „nicht nur wächst, sondern unmittelbar bevorsteht“.
Das entspricht der gegenwärtigen offiziellen Politik der US-Administration, die zwar weiterhin versucht, Teheran mit Sanktionen in die Knie zu zwingen, aber ausgeschlossen hat, sich auf eine Politik der Eindämmung eines nuklear bewaffneten Iran einzulassen. „Ich betreibe keine Politik der Eindämmung“, wird US-Präsident Barack Obama zitiert.
Präventivschlag: „Gute Erfolgsaussichten“
Ähnlich wie in den USA dauert auch in Deutschland die Debatte an. Dabei sprechen sich vor allem Parteigänger einer Politik, die auf ein dauerhaftes Hegemonialbündnis mit den Vereinigten Staaten setzt und in diesem Rahmen die westliche Vorherrschaft über die mittelöstlichen Ressourcengebiete bewahren will, für einen Krieg gegen Teheran aus. So heißt es etwa im konservativen Spektrum der transatlantisch orientierten Medien, weil die „Duldung und Eindämmung iranischer Nuklearwaffen ausgeschlossen“ seien, komme nur eine Unterstellung der Atomfabriken Irans unter internationale Aufsicht oder ein „Präventivschlag“ in Betracht: „Ein Drittes gibt es nicht.“ Darauf habe „die Welt“ sich einzustellen, „eingeschlossen alle Konsequenzen eines bewaffneten Konflikts, unter denen die Explosion des Ölpreises und der Zusammenbruch der Konjunktur noch zu den minderen gehören“.
Der ehemalige Leiter des Planungsstabes im Bundesverteidigungsministerium (1982-1988) Hans Rühle hat unlängst in einer deutschen Tageszeitung ausführlich untersucht, ob die israelische Luftwaffe in der Lage sei, die iranischen Atomanlagen hinlänglich zu zerstören. Er kommt zu dem Ergebnis: Trotz Schwierigkeiten etwa bei der Luftbetankung der Bomber sei es beispielsweise kein Problem, den Reaktor in Buschehr zu vernichten; „zehn GBU-28 oder GBU-27 würden ausreichen“. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass seine Bombardierung „die Verstrahlung großer Gebiete des Iran, aber auch angrenzender Golfstaaten zur Folge“ hätte. Im Hinblick auf den Gesamtkomplex der iranischen Nuklearanlagen blieben gewisse Risiken, doch stünden „die Erfolgsaussichten gut“.
Deutschland als Mittler
Eine solche Position ist in Berlin gegenwärtig keineswegs Konsens. Vor allem Außenpolitiker, die für den Mittleren Osten eigenständige deutsche Expansionskonzeptionen verfolgen und dabei einer engeren Zusammenarbeit mit Iran nicht abgeneigt sind (german-foreign-policy.com berichtete ), sprechen sich gegen Militärschläge aus. Zudem wird befürchtet, Luftangriffe auf Iran könnten den gesamten Mittleren Osten auf lange Zeit in Krieg und Chaos stürzen; dadurch gingen ökonomische Expansionsgebiete verloren, auch sei mit neuen Flüchtlingsbewegungen zu rechnen.
Zuletzt hat der SPD-Fraktionsvorsitzende und ehemalige Berliner Außenminister Frank-Walter Steinmeier vor den Folgen militärischer Operationen gewarnt. Auch Gernot Erler, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und unter Steinmeier Staatsminister im Auswärtigen Amt, erklärt: „Ich erwarte, dass sich der Konflikt auf dem Verhandlungsweg lösen lässt.“ Bei einer solchen Lösung käme Deutschland „eine besonders wichtige“ und damit auch großen Einfluss versprechende Rolle zu, heißt es in Medienkommentaren: „Zwischen den eher interventionistisch geneigten Franzosen auf der einen und der chinesischen Regierung auf der anderen Seite wird Deutschland als gemäßigte Kraft wahrgenommen“.
Regierungsberater versuchen die widerstreitenden Interessen mit dem Hinweis zu versöhnen, eine Verhandlungslösung werde wahrscheinlicher, wenn die Drohung mit Militärschlägen zweifellos ernst zu nehmen sei: „Nur vor einer glaubhaften Drohkulisse ließe sich am Verhandlungstisch noch etwas erreichen“, heißt es in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift Internationale Politik.
Ein Flächenbrand
Entschieden gegen einen Iran-Krieg Position bezogen haben letzte Woche auch zwei einflussreiche Politiker aus den inneren Zirkeln des transatlantischen Establishments – Wolfgang Ischinger und Horst Teltschik. Teltschik, der einst einer der engsten Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl war und von 1999 bis 2008 die Münchener Sicherheitskonferenz leitete, sagt für den Fall eines Krieges gegen Iran einen „Flächenbrand im Nahen und Mittleren Osten“ voraus – „ein Alptraum“.
Teltschik hält „eine militärische Intervention“ für „völlig falsch“ und fordert, „dass der Westen alles tun wird, um die Gespräche“ mit Iran erneut „in Gang zu bringen“. Ischinger, dessen Karriere den Posten des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt und eine fünfjährige Tätigkeit als Botschafter in den USA beinhaltete und der heute als Nachfolger von Teltschik die Münchener Sicherheitskonferenz leitet, warnt ebenfalls vor einem Militärschlag: „Jeder sollte inzwischen gelernt haben, dass Kriege immer anders verlaufen als geplant.“
Er rät auch für den Fall, dass Iran eine Atombombe entwickeln sollte, zu einer Politik der Eindämmung, selbst wenn sie teuer sei und „keine Patentlösung“ biete: „Besser als ein militärische Angriff gegen Teheran wäre das aber allemal.“ Sollte es dennoch zu einem Krieg kommen, dann wöge die Einbindung in die westlichen Bündnisse aus Berliner Sicht jedoch wohl schwerer als diese Erwägungen, deutet Ischinger unter Berufung auf den „Friedensforscher“ Harald Müller an: Man dürfe nicht vergessen, dass die Tragödie von Ahmadineschad und den „Extremisten, die ihn umgeben“, herausgefordert worden sei.