
Unabhängig ob man in der Natur ein göttlich inspiriertes Wirken oder nur ein logisches Ergebnis der Evolution sieht, die Sorgen um die Umwelt verbindet heute große Teile der Gesellschaft. Gerade das Schicksal der Bienen und ihre überragende Bedeutung für den Naturhaushalt mobilisiert heute viele MitbürgerInnen.
(iz). Wer sich für das Leben der Bienen interessiert, kommt bis heute an einem Klassiker aus den 1920er Jahren nicht vorbei. Karl von Frisch wurde durch seine Veröffentlichungen über die Westliche Honigbiene berühmt. Im Zentrum seines Schaffens stand die Erforschung der Sinneswahrnehmungen und der Art und Weise der Verständigung dieser Tiere untereinander. Für seine Leistungen erhielt er 1973 gemeinsam mit Konrad Lorenz den Nobelpreis. Das Werk „aus dem Leben der Bienen“ ist eine wissenschaftliche Arbeit, die, so der Autor, der Versuchung widersteht, die Poesie der Wirklichkeit phantastisch auszuschmücken. Bis heute sind seine Beschreibungen weit über die Fachwelt hinaus eine Inspirationsquelle für unterschiedliche Denkrichtungen.
Das Buch ist für Laien verständlich geschrieben und ein Beleg, dass Innovation und neue Denk- und Sichtweisen nicht immer nur mit Hightech möglich sind. Während heute die Technik den Einsatz von programmierbaren Roboter-Bienen möglich macht, setzte das Team um Frisch bei seinen Versuchen auf Holzbienen und markierte die lebenden Versuchsobjekte mit der Hand. Das wissenschaftliche Verfahren folgte der Maxime Goethes, die Erkenntnis mit Sinnesorganen gegenüber der technischen Abstraktion zu bevorzugen. Der Leser wird sich der Faszination dieser Beobachtungen kaum entziehen können und die Arbeitsteilung in der Natur, genauso wie das Teamwork im Bienenstaat bewundern.
Dabei erstaunt, dass die Blumen im Grunde die Erzeuger des Honigs sind, die Tiere dabei als Sammler fungieren. „Ein schönes Wechselverhältnis, und um so wunderbarer, als keiner von beiden Parteien weiß, was er tut“, staunt der Wissenschaftler. Da wir als Menschen von dieser Einrichtung der Natur profitieren, schätzen wir um so mehr die Leistung der Bienen. Frisch beschreibt die dahinter liegende Energieleistung wie folgt: „Denn keines Menschen Geduld könnte ausreichen, die winzigen Nektartröpfchen aus den Blumen zu sammeln. Die Menge die eine Biene von einem Sammelflug heimbringt, ist nicht groß; ist doch ihr Honigmagen kaum größer als ein Stecknadelkopf, und an die 60 mal müsste sie ihn aus den Blumen vollpumpen und wieder entleeren, um einen Fingerhut zu füllen.“
Bedeutend sind die Untersuchungen über das Orientierungsvermögen der Bienen. Karl von Frisch fand heraus, dass sie die gewünschte Himmelsrichtung auf drei Weisen erkennen können: die Sonne, das Polarisationsmuster des blauen Himmels sowie das Erdmagnetfeld. „Denn ihre Augen erkennen ja polarisiertes Licht und seine Schwingungsrichtung. Das für uns einförmige Himmelblau ist für sie übersät mit örtlichen Kennzeichen, den Schwingungsmustern der Polarisation.“
Die Biene verfügt über eine innere Uhr mit verschiedenen Synchronisations- oder Taktmechanismen. Kennt sie von einem Ausflug am Morgen die Richtung eines Futterplatzes, findet sie dessen Standort anhand des Sonnenstandes auch am Nachmittag, ebenso wie die genaue Zeit, zu der diese Quelle Futter spendet. Die Fachwelt staunte über die These des Wissenschaftlers, dass die Bienen mit bestimmten Tänzen auch miteinander kommunizieren und die Ergebnisse ihrer Ausflüge untereinander austauschen.
Dass Tiere symbolisch und real miteinander „sprechen“ regte eine breite Debatte an, ob sich derartige Intelligenz mit den Fähigkeiten der Menschen vergleichen lassen. Die Debatte, ob man Bienen und Natur überhaupt objektiv beobachten kann, nahm seinen Gang. Wie entgeht man der Falle Anthropozentrismus und Anthropomorphismus?
Wieder einmal stellte sich die Frage neu, ob der Mensch Mittelpunkt der weltlichen Realität ist und ob er seine menschlichen Eigenschaften auf die Tiere, Götter und Naturgewalten projiziert. Die Position von Karl von Frisch blieb eher offen: „Obwohl kein Menschenauge zusehen konnte, sind die Naturforscher überzeugt, dass im Laufe der Erdgeschichte die hochorganisierten Tieren aus niedrigeren Formen hervorgegangen sind.“ Er selbst gestand Schwierigkeiten ein, die außergewöhnlichen Fähigkeiten der Bienen alleine aus der Evolutionstheorie heraus zu erklären.
Unabhängig ob man in der Natur ein göttlich inspiriertes Wirken oder nur ein logisches Ergebnis der Evolution sieht, die Sorgen um die Umwelt verbindet heute große Teile der Gesellschaft. Gerade das Schicksal der Bienen und ihre überragende Bedeutung für den Naturhaushalt mobilisiert heute viele MitbürgerInnen. Die Gefahr ist evident: Ohne Bienen würden die Erträge von bis zu drei Vierteln der Nutzpflanzen stark schrumpfen – oder müssten anders und künstlich bestäubt werden.
Das Engagement für diese Frage ist beachtlich. Am 17. Juli jährte sich zum dritten Mal die Annahme des Volksbegehrens Artenvielfalt – „Rettet die Bienen!“ durch den Bayerischen Landtag. Über 1,7 Millionen BürgerInnen hatten die Initiative unterstützt, ganz in dem Bewusstsein, dass das weltweite Bienensterben eine enorme Auswirkung für unsere Umwelt und für uns Menschen hat. Die Ursachen für diese Katastrophe sind klar benannt. Dazu zählen Monokulturen, Pestizide und Umweltgifte, Klimawandel, Krankheitserreger und die Zerstörung von Lebensraum und Nahrungsgrundlage. Ob die Rettung der Tiere wirklich gelingt, ist längst noch nicht sicher.
Die Welt der Bienen unterliegt seit Menschengedenken unterschiedlichen, nicht zuletzt politisch motivierten Deutungsversuchen. Schon Aristoteles bemühte einen Vergleich: „Der Mensch ist gleich der Biene, der Ameise, dem Biber von Natur schon ein staatenbildendes Tier.“ Die Idee eines Gemeinwesens, dass auf Arbeitsteilung und Gemeinsinn beruht, fasziniert die politischen Denker bis heute. In der Neuzeit versuchte der Künstler Joseph Beuys die Metapher der Bienen in seine Ideenwelt einzubeziehen. Im Museum Schloss Moyland widmet sich eine bis September angelegte Ausstellung dem Thema.
In seiner Kunsttheorie belegte Beuys die Bienen mit vielfältigen Bedeutungen: Er sah sie als Gestalterinnen, die Wärme erzeugen und so Wachs (kristalline Wabenform) und Honig (amorphe Form) produzieren. Diese Materialien spielen eine wichtige Rolle in Beuys’ plastischer Theorie. Das gemeinschaftliche, arbeitsteilige Zusammenwirken im Bienenstaat betrachtete er als beispielhaft sowohl für den einzelnen Menschen als auch für die Gesellschaft (Soziale Plastik). Bienen und ihre Erzeugnisse Honig und Wachs stehen bei ihm für Wärme, Umwandlung sowie plastische, soziale und heilende Prozesse. „Dieser Begriff des Wärmehaften verbindet sich auch mit dem Begriff der Brüderlichkeit und des gegenseitigen Zusammenarbeitens, und deswegen haben Sozialisten die Biene genommen als Symbol, weil das im Bienenstock geschieht, die absolute Bereitschaft, sich selbst zurückzustellen und für andere etwas zu tun“, erklärt Beuys.
Mit der Thematik beschäftigte sich Joseph Beuys bereits seit Ende der 1940er Jahre. Wichtige Anregungen fand er in den Schriften von Karl von Frisch. Eines der bekanntesten Werke des Künstlers ist bis heute die Honigpumpe am Arbeitsplatz. Für das Kunstwerk installierte er 1977 während der documenta 6 in Kassel insgesamt 173 Meter Schläuche und Röhren in einem Museum. Die Verbindung von Kunst, Natur und Technik war spektakulär. Zwei Motoren ließen ein Honig-Wasser-Gemisch vom Erdgeschoss bis unter die Glaskuppel des Gebäudes pumpen. Das staunende Publikum lud der Künstler zu Diskussionen, Seminaren und Workshops ein. Den Kreislaufgedanken und die Darstellung ganzheitlicher Bedeutungszusammenhänge, die seine Pumpe symbolisierte, bezog er dabei nicht nur auf Soziales, sondern auch auf Wirtschaft (Kapital) und Politik.
Natürlich ist die Symbolik der Bienenwelt und ihre Deutungsmöglichkeiten auch Muslimen geläufig. Die Grundidee des muslimischen Gemeinwesens entspricht dem Gedanken, die positiven Eigenschaften der Menschen zum allgemeinen Vorteil zusammenzuführen. Dabei werden die erstaunlichen Fähigkeiten der Tiere auf göttliche Inspiration und Eingebung zurückgeführt. In der Sure an-Nahl (die Bienen) liest man: „Und dein Herr hat der Biene eingegeben: „Nimm dir in den Bergen Häuser, in den Bäumen und in dem, was sie an Spalieren errichten. Hierauf iss von allen Früchten, ziehe auf den Wegen deines Herrn dahin, die (dir) geebnet sind.“ Aus ihren Leibern kommt ein Getränk von unterschiedlichen Farben, in dem Heilung für die Menschen ist. Darin ist wahrlich ein Zeichen für Leute, die nachdenken.“
In den Erläuterungen von Ibn Adschiba werden die umfangreichen Implikationen dieser heilsamen Beziehung zwischen Bienen und Menschen umfangreich aufgezählt. Dabei geht es nicht nur um Heilung im medizinischen Sinne. Zu der Aufforderung zum Nachdenken gehört heute, die Erkenntnis der Wissenschaft und neue Deutungsversuche mit dem Kontext des sozialen Modells der Muslime zu verknüpfen. Im Ergebnis wird vielleicht klarer werden, warum der Energiefluss stockt, die Arbeitsteilung und die Nutzung möglicher Synergien zwischen den muslimischen Gemeinschaften oft unterbrochen scheint.
Fest steht, das Phänomen der Bienen ist nicht zufällig eines der großen Gleichnisse unserer Zeit. Karl von Frisch wusste, dass die Wissenschaft niemals das ganze Geheimnis aufschlüsseln kann. In einem Vierzeiler aus dem Jahr 1967, mit dem Titel Resignation, deutet er auf diese Schranke hin: „Der Mensch in seinem Wissensdrang, / Sinniert und forscht sein Leben lang, / Um dann verzichtend einzusehen: / Im Grunde kann er nichts verstehen.“