Die IZ-Blogger über die politischen Unterschiede zwischen Tunesien und Ägypten

(iz). Die Tunesier waren erfolgreich, wo die Ägypter gescheitert sind: Sie haben sich auf eine neue, nachrevolutionäre Verfassung geeinigt und ein Vertrauensvotum für eine Regierung von Unabhängigen gegeben. Im Gegensatz dazu hatte Ägyptens dritter Jahrestag der Revolution 90 Tote, fast 300 Verletzte und 1.341 Verhaftete als Fazit aufzuweisen. Während die tunesische Verfassung am 26. Januar genehmigt wurde, haben wir in Ägypten die letzten drei Jahre seit der Revolution 2011 in Konflikten und Fragezeichen verbracht. In Tunesien wissen sie zumindest, wohin sie gehen, wir wissen es nicht.

Von Fahmi Huwaidi

In Ägypten wurde uns eine Verfassung geliefert, deren politische Referenzen höchst fraglich sind, da sie von einer Gruppe aufgesetzt wurde, welche durch die vom Militär eingesetzte Regierung ausgewählt wurde, anstatt dass sie vom Volk bestimmt wurde. Wir steuern auf eine Präsidentenwahl zu, in einer von Angst erfüllten Atmosphäre. Die Garantie der öffentlichen Freiheit ist zweifelhaft inmitten wachsender Anzeichen der Dominanz des Sicherheitsapparats und der Militarisierung der Gesellschaft. Darüber hinaus gibt es viele Fragen zur Zukunftsvision einer geteilten Gesellschaft, welche unter einem politischen Vakuum leidet und auf einen „Messias“ wartet, der ihre Probleme löst.

Ich sollte darauf hinweisen, dass die politischen Entscheidungen im postrevolutionären Tunesien die Ergebnisse und das Werk der tunesischen Zivilgesellschaft werden, da ihre politischen Parteien, Gewerkschaften und gewählten Institutionen das Volk repräsentieren. In Ägypten bleibt die Entscheidungsfindung jedoch in den Händen der Militär- und Sicherheitsdienste. Während politische Polarisierung die heutige Wirklichkeit Ägyptens ist, scheint relative Harmonie und Einigkeit das bevorzugte Mittel der tunesischen Elite zu sein. Zumindest hat sie es geschafft, sich auf ein Mindestmaß geeinigt, welches es ihr ermöglichte, die Verfassung und einen Premierminister anzuerkennen, und das Vertrauen in die verfassungsgebende Versammlung auf das neue Kabinett zu übertragen.

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Ich behaupte nicht, dass die tunesische Elite sich in jedem Punkt geeinigt hat. Ich sage auch nicht, dass die Differenzen zwischen den Parteien und den bürgerlichen Institutionen verschwunden sind. Noch würde ich behaupten, dass die Zukunft für Tunesien rosig aussieht, denn das Gegenteil ist trotz der oben genannten Punkte ist der Fall. Dennoch erwies sich Tunesiens Genialität erstmals, als die Elite zeigte, dass sie fähig war, ihre Differenzen durch Dialog bei kontroversen Themen beizulegen. Zweitens hat das tunesische Volk zugestimmt, dass es für Tunesien am wichtigsten ist, den demokratischen Prozess voranzutreiben, und dass es hierbei egal ist, welche politischen Kräfte dabei Macht verlieren oder gewinnen.

Dieser letzte Satz ist ein Zitat aus einer Erklärung von Rachid Ghannouchi, dem Führer der Ennahda-Partei, welche die parlamentarische Mehrheit hat. In dieser Erklärung sagte er, dass die Zugeständnisse, welche seine Partei gemacht hat, nicht als Niederlage betrachtet werden sollte. Solange Tunesien der Gewinner bleibt, geht die Bewegung in die richtige Richtung. Wenn die Partei ihre Mehrheit verlieren sollte (nachdem die Regierung zurücktritt), so wird sie doch immer in der Lage sein, zu einem späteren Zeitpunkt wieder an die Macht zu kommen; wenn jedoch Tunesiens Sicherheit und Stabilität gefährdet sind, könnte dies nie wieder bereinigt werden.

Die bisherigen Erfolge sind nicht leicht erreicht worden, denn ihnen gingen Beschuldigungen und Denunzierungen der verfassungsgebenden Versammlung und Straßendemonstrationen voraus. Jeder Versuch, etwas Neues hervorzubringen, ist schwierig und schmerzhaft. Das wichtigste ist, dass der Arbeitsprozess vorüber ist und dass die Versuche, die Revolution abzubrechen, gescheitert sind. Der Hauptgrund dafür war, dass die Bürger Tunesiens miteinander gesprochen haben und am Verhandlungstisch saßen, um in den letzten fünf Monaten einen Vertrag zu gestalten. Die Diskussionen, welche zwischen den verschiedenen tunesischen Parteien herrschten, begannen mit der Anschuldigung an die Mehrheit, repräsentiert durch Ennahda, eine islamische Verfassung einführen zu wollen. Das ermutigte viele modernistische Denker und linksorientierte Führer Tunesiens, die Partei anzugreifen, doch Ennahdas Zugeständnisse, verbunden mit Gesprächen, ermöglichte es den Tunesiern, die Schwierigkeiten zu überwinden und der arabischen Welt die erste fortschrittliche Verfassung der modernen Zeit zu verschaffen. Diese Einschätzung stammt von Führern der säkularen Fraktion, den Kommunisten und den nicht-kommunistischen Linken.

Um es deutlich zu machen: Die Errungenschaft führte zur Entwicklung anderer Faktoren wie der Reife und der Weisheit der tunesischen Politik. So ist es beispielsweise kein Geheimnis mehr, dass europäischer Druck und algerische Vermittlung eine große Rolle dabei gespielt haben, die tunesischen Parteien von der Wichtigkeit, Zugeständnisse zu machen, zu überzeugen. In dieser Hinsicht kann man nicht leugnen, dass die Ereignisse in Ägypten ein Versuch beider Seiten waren, die Revolution und ihre Prinzipien abzubrechen, wobei jede Partei beschlossen hatte, ihren eigenen Weg zu gehen.

Viele in Ägypten waren von der Idee einer „Heilfront“ inspiriert, was der Tamarod-Bewegung Gestalt verlieh. Es gab Gerüchte, wonach Ägypter und Tunesier, die bei Tamarod verwickelt waren, politische Erfahrungen ausgetauscht hatten und dass der ägyptische Zweig der Bewegung seine tunesischen Kollegen eine Woche lang in einem ägyptischen Strandhotel untergebracht hatte.

Seitdem haben sich die Räder der Geschichte rückwärts gedreht, und das hat politischen Druck auf Tunesien erhöht, da das Volk glaubte, wenn es keinen Konsens erreiche, würden all seine Bemühungen im Sand verlaufen. Man könnte argumentieren, dass all das Elend und der Schmerz, die in Ägypten durchlitten wurden, zur Lösung in Tunesien beigetragen haben, und dass der Schaden des ägyptischen Volkes anderswo Nutzen brachte.

Dem tunesischen Volk ist zu gratulieren. Und – das muss ich zugeben – es ist zu beneiden. Die Menschen haben eine großartige Leistung vollbracht.

* übersetzt von Nadia Khabou.