Die IZ-Blogger: Der Druck der Anpassung

(iz). Minderheiten leben stets mit der Frage, wie weit und in welchem Ausmaße sie sich in ihrem Verhalten und ihrer Sprache der jeweiligen Mehrheit anpassen sollen oder müssen, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Gleichzeitig schaut die Mehrheit neugierig auf das Fremde der Wenigen, um das zu übernehmen, was interessant erscheint. Bei den Nahrungsmitteln oder Speisen lässt sich die wechselseitige Anpassung am ehesten zeigen. So gilt Kebab heute fast als deutsches Standard-Essen, und das Fladenbrot mit dunklem Mehl ist längst zur Normalität geworden.

Bei der sprachlichen Verständigung ist es schwieriger. Dies gilt nicht nur für den Sprachkurs, an den die meisten bei Schwierigkeiten der Verständigung denken, sondern vor allem für das Gespräch der Gläubigen, wofür es mehrere Gründe gibt. Da ist zum einen das im 19. Jahrhundert entstehende Bemühen europäischer Wissenschaftler, andere Kulturen zu verstehen und ihrem eigen Denken zu zuordnen. Dazu musste man zum Beispiel vom Arabischen ins Französische beziehungsweise ins Deutsche übersetzen. Angelika Neuwirth machte in ihrem Buch „Der Koran als Text der Spätantike – ein europäischer Zugang“ darauf aufmerksam, dass der den Muslime heilige Text im Horizont der mediterranen Geistesgeschichte zu sehen ist. Schließlich wurden die Offenbarungen nicht nur von den Menschen der arabischen Halbinsel verstanden, sondern, wie die spontanen Konversionen des ersten Jahrhunderts nach der Hidschra zeigen, von Menschen in unterschiedlichen Kulturen.

Der Münsteraner Thomas Bauer demonstrierte dann eindringlich in seinem Buch „Die Kultur der Ambiguität“, dass die arabische Sprache eine Dimension besitzt, die die Intellektuellen mit der weiblichen Emanzipation weitgehend verdrängt haben: das Dual. Die Frauengruppe um Fatima Grimm konnte daher eine Vielzahl von Ayat anders übersetzen als es die Orientalisten aber auch Muslime taten. Und das Kölner „Zentrum für Islamische Frauenförderung“ stellte die unterschiedlichen Übersetzungen von 4: 43 zusammen. Ihre Übersetzung der Aya selber stieß auf massiven Protest. Das gleiche trifft auch für Omid Safis Sammelband zu, in dem vierzehn Minderheitenmeinungen zu Worte kommen.

Wie schwierig die sprachliche Annäherung ist, machte die Arbeit der von der Eugen-Bieser-Stiftung zusammen gerufene Arbeitsgruppe deutlich. Sie bestand aus türkischen Wissenschaftlern um die Ankaraner Professorin Mualla Selcuk und dem Hannoverschen Religionswissenschaftler Peter Antes. Nach jahrelanger Arbeit und vielen gemeinsamen Sitzungen konnte das zweibändige „Lexikon des Dialoges“ erscheinen, das um einen Gestus Oliver Leamans aufgreift, bei Wörtern und Begriffen, für es keine Übersetzung gibt, dies auch deutlich zu machen. So gibt es Begriffe wie „Erbsünde“, die von einem christlichen Gelehrten erläutert werden, denen jedoch keine islamische Erläuterung folgt und umgekehrt. Während beim Wort „Gottesbeweise“ Martin Turner die christliche Position vertritt und Engin Erdem die islamische.

Erst der Vergleich mit anderen Lexika und dem Wortgebrauch beispielsweise in dieser Zeitung lässt bewusst werden, dass ein für die Muslime wichtiger Begriff nicht diskutiert wird: die Nyya/Nijje/Niiye. Zumeist übersetzt man das Wort mit „Absicht“, was eine Annäherung an die islamische Bedeutung ist, aber den entscheidenden Aspekt der endzeitlichen Verantwortung verdeckt beziehungsweise nicht sichtbar werden lässt.

Das „Lexikon des Dialoges“ steht in der theologischen Dialogtradition, die ihre Prägung durch die Begegnungen zwischen Rabbinern und christlichen Theologen in Deutschland erfuhr. In diesem Zusammenhang näherte man sich über die beiden Religionen gemeinsame Begriffe an – und dies waren theologische. Die jüdische Orthopraxie geriet daher gar nicht in den Blick. Dies gilt auch für das religiöse wie politische Gespräch mit den Muslimen. Wer die Niyya thematisiert betritt daher nicht unbedingt ein theologisches Feld, vielmehr die Alltagspraxis des Gläubigen Muslims, der der Hadith Bukharis gilt: „Wahrlich, die Taten werden nach ihren Absichten (Niyya) bewertet und jeder wird gemäß seiner Absicht belohnt.“

Im Gespräch mit protestantischen Theologen taucht rasch die Frage des „Werkes“ auf, die Martin Luther in der Auseinandersetzung mit der Katholizismus seiner Zeit, diskreditierte. Orthopraxie erschien und erscheint daher vielen Protestanten als Gesetzesreligion. Die Einstellung übersieht das lebendige Glaubens leben des Muslims.

Wer sich an dieser Stelle aus dem Gespräch zurückzieht und darüber nachdenkt, was mit ihm hier geschieht, der wird zu dem Entschluss kommen, dem hiesigen Gewohnheiten nur soweit zu folgen, wie sein Glaube als islamischer Glaube identifizierbar bleibt. Im deutschen Zusammenhang stellt sich daher die Frage, ab wann die Muslime in ihrem notwendigen Bemühen sich anzupassen das Eigene deutlich machen müssen.

Dazu gehört die Frage von „halal“ und „haram“, die von Außenstehenden allzu leicht für Folklore gehalten und behandelt wird. Die Reinigung vor dem Gebet ist jedoch nur ein Waschen, wenn der Muslim nicht die Niyya hat, und ein Zakat ist nur eine Spende, wenn der Gläubige nicht sich die Niyya bewußt macht.

Der religiöse Diskurs der christlich säkularen Zivilgesellschaft klammert diesen Aspekt gläubigen Verhaltens aus, wodurch sich ein Gespräch über „die“ Religion entwickelte, das den Kern der Religion den Glauben ausschloss. Er ist keine Aufgabe welcher „Zentrale für Politische Bildung“ auch immer. Diese zwangsläufige Enthaltung hinterlässt im Bildungskanon der Zivilgesellschaft ein Loch, das von Muslimen mit dem Begriff der „Rechtleitung“ bequem gefüllt werden kann und wird.

Es ist ein dem Christentum und der europäischen Geistesgeschichte fremdes Wort, das man am ehesten mit dem von Ernst Bloch benutzten Wort Sittlichkeit übersetzen könnte. Nur sie ist aus den Diskursen der Zivilgesellschaften längst verschwunden. Die Orthopraxie islamischer Alltagsfrömmigkeit meint genau sie, wenn Muslime wieder einmal darüber diskutieren oder gar streiten, ob etwas „halal“ oder „haram“ sei.

Nun gibt es Gelehrte, die die Rechtleitung fast nur unter der Perspektive des „haram“ erläutern, während andere Ulema offen über „halal“ diskutieren und dabei erwähnen, dass die Dimension von „halal“ und „haram“ nicht auf alles und jedes in der Schöpfung anzuwenden sei.

Jugendliche, die in der liberaler Gegenwart der Beliebigkeiten nach fester Orientierung suchen, wenden sich der Rechtleitung zu, die in der Offenbarung zugesagt wird: „ (…) wird dennoch ganz gewiss Rechtleitung von Mir zu euch kommen: und jene, die Meiner Rechtleitung folgen, brauchen keine Furcht zu haben, noch sollen sie bekümmert sein (…)“ (Al-Baqara, 38)

Der hiesige Extremismusdiskurs geht an dieser Dimension der praktischen Auseinandersetzung mit den historischen Gewinnen der europäischen Zivilgesellschaft schlicht vorbei. Sie ist auch keine Aufgabe welcher politischen Bildung auch immer, sondern jener Glaubensgemeinschaften, aus denen diese Zivilgesellschaft hervorging. Worauf Habermas aufmerksam machte, dass nicht alle Ansprüche durch die Aufklärung abgelöst worden seien, sondern die Aufgabe bleibe die legitimierten Ansprüche in die öffentliche politische Diskussion zu übersetzen. Könnte es sein, dass dies die Ulema von ihren theologischen Gesprächspartner lernen könnten?