Die richtige Taktik für eine Beilegung des Konflikts? Muslimbrüder wollen erneut am Freitag mobilisieren

Kairo (dpa). Die ägyptischen Muslimbrüder wollen ihre Proteste gegen die Absetzung von Präsident Mohammed Mursi auch nach den blutigen Unruhen vom Mittwoch fortsetzen. Das ägyptische Nachrichtenportal youm7 berichtete am Donnerstag, die Sicherheitskräfte befürchteten dann „eine neue Welle der Gewalt“, wenn die Muslimbrüder an diesem Freitag erneut demonstrieren sollten.

Nach Angaben der staatlichen Medien war nach Mitternacht in den meisten Landesteilen langsam Ruhe eingekehrt. Das Fernsehen berichtete lediglich von zwei Polizisten, die vor einer Polizeistation in Al-Arisch auf dem Sinai getötet worden seien.

Nicht überall wurde die nächtliche Ausgangssperre beachtet. In Alexandria hätten Mursi-Anhänger mehrere Straßen blockiert und Straßenbahnwaggons angezündet, hieß es. Seit Mittwoch soll die Polizei landesweit etwa 560 Menschen festgenommen haben. Das Gesundheitsministerium hatte die Zahl der Toten mit 278 angegeben. Die Ausschreitungen hatten begonnen, als die Polizei zwei Protestlager in Kairo geräumt hatten.

//1// (Foto: Mos'ab el-Shamy)

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Zahnlose Proteste, oder stillschweigende Zustimmung?
Die USA und die Europäische Union verurteilten die Gewalt aufs Schärfste. Alle Seiten müssten an der Wiederherstellung demokratischer Strukturen durch Wahlen arbeiten und die friedliche Teilnahme aller politischen Kräfte zulassen, verlangte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton. „Die heutigen Ereignisse sind beklagenswert und laufen dem ägyptischen Streben nach Frieden, Zusammenhalt und echter Demokratie zuwider“, sagte US-Außenminister John Kerry. Der Notstand müsse so schnell wie möglich aufgehoben werden. Der einzige Ausweg sei eine politische Lösung.

Außenminister Westerwelle berief wegen des Blutvergießens den Krisenstab des Auswärtigen Amts ein und forderte bei einem Besuch in Tunesien: „Das Blutvergießen muss beendet werden, und zwar durch Gespräche und Verhandlungen.“ Er appellierte erneut an alle Deutschen in dem Land, die Reisehinweise des Auswärtigen Amts im Internet zu beachten.

Scholl-Latour: auf dem Weg in die Diktatur
Der Nahost-Experte Peter Scholl-Latour fühlt sich durch die Bürgerkriegs-Bilder aus Ägypten „an die Niederschlagung der Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking“ erinnert. „Was im Moment in Kairo geschieht, ist noch sehr viel schlimmer“, sagte Scholl-Latour der „Passauer Neuen Presse“ (Donnerstag). Vom Ende des Arabischen Frühlings zu sprechen, sei für ihn ein völlig falsches Bild. „Von einem Arabischen Frühling haben nur Dummkopfe geredet. Den hat es nie gegeben“, sagte er. „Das war nur Wunschdenken.“ Jetzt sehe er Ägypten auf dem Weg zurück in die Militär-Diktatur. „Darauf läuft es hinaus.“

UNO und EU rufen Ägypten zur Mäßigung auf
Die Vereinten Nationen und die EU haben Ägypten zur Beendigung der Gewalt aufgerufen. UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilte „auf schärfte Weise“ die Ausschreitungen bei der gewaltsamen Räumung von Protest-Camps in Kairo durch Sicherheitskräfte. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton äußerte „tiefe Besorgnis“ über die Entwicklungen. Konfrontation und Gewalt seien „nicht der Weg, um politische Kernfragen zu lösen“, erklärte Ashton am Mittwoch in Brüssel. Die Organisation für Islamische Zusammenarbeit, ein Verband von 57 islamischen Staaten mit Sitz im saudischen Dschidda, mahnte alle Parteien zur Zurückhaltung und zum Dialog.

Ban äußerte Bedauern, dass die ägyptischen Behörden zur Gewalt gegriffen hätten, um auf die Demonstrationen zu antworten. „Die politischen Uhren gehen nicht rückwärts“, hieß es in einer am Mittwoch in New York veröffentlichten Erklärung Bans. Gewalt und Aufstachelung seien von keiner Seite eine Antwort auf die Herausforderungen, vor denen das Land stehe. Nach der jetzigen Eskalation müssten alle Ägypter ihre Anstrengungen auf Versöhnung richten, so der UNO-Generalsekretär.

Ashton verlangte von den ägyptischen Sicherheitskräften „größtmögliche Zurückhaltung“. An alle ägyptischen Bürger appellierte sie, Provokationen und Eskalation zu vermeiden. Der Generalsekretär der Organisation für Islamische Zusammenarbeit, Ekmeleddin Ihsanoglu, warnte vor einer weiteren Verschlechterung der Lage in Ägypten. Die Beteiligten müssten an den Gesprächstisch zurückkehren, um einen nationalen Konsens zu erreichen.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warf den ägyptischen Sicherheitskräften „exzessive Gewalt gegen Demonstranten mit katastrophalen Folgen“ vor. Amnesty untersuche an Ort und Stelle, ob dabei Menschenrechtsverletzungen begangen worden seien. Zusagen der Regierung, tödliche Waffen nur als letztes Mittel einzusetzen, seien „anscheinend gebrochen“ worden, erklärte der Nahost-Direktor von Amnesty, Philip Luther, am Mittwoch. Die Sicherheitskräfte müssten „dringend Maßnahmen“ ergreifen, um weiteres Blutvergießen zu verhindern.

Bei den jüngsten Ausschreitungen sollen nach offiziellen Angaben landesweit mindestens 149 Menschen ums Leben gekommen sein. Die Regierung verhängte für einen Monat den Notstand. Vize-Präsident Mohammed el-Baradei reichte als Reaktion auf die Eskalation der Gewalt seinen Rücktritt ein.