Die SPD hat alle Möglichkeiten zu regieren. Yasin Bas zu den Ergebnisse der Stimmabgabe

(iz). Eine langweilige, distanzierte, ermüdende und am Ende doch noch überraschende Bundestagswahl liegt hinter uns. Distanziert und ermüdend deshalb, weil wir einen Wahlkampf erlebten, der wenig mit „Kampf“ zu tun hatte und dann auch noch in die Sommerferien fiel. Langweilig, weil die erkennbaren Unterschiede zwischen den Parteien immer weniger auffallen. Detailliert durchgelesen werden die Parteiprogramme nur von wenigen. Vergleicht man zudem die Wahlen in Deutschland mit denen in der Türkei, können diese kaum unterschiedlicher nicht sein.

In Deutschland gibt es keine Autos, die den ganzen Tag mit Lautsprechern und ohrenbetäubender Musik durch die Gegend fahren, um Wahlpropaganda zu machen. Hier gibt es keine Autokorsos, kaum begeisterte Menschenmengen, die am Wegrand den Politikern zujubeln und Kinder die hinter den Autokonvois herlaufen, wenn diese triumphierend in eine Stadt einfahren. Hier kann man auch nicht nach Belieben Wahlplakate und Parteienwimpel aus Plastik überall hinhängen. Alles hat einen festen Platz. Gerade bei den Wahlen sieht man einmal mehr die deutsche Gründlichkeit und Ordnung.

Allein die Piratenpartei hat mit einigen unkonventionellen Wahlkampfstrategien beziehungsweise durch „Guerillamarketing“ auf sich aufmerksam gemacht. Mit 2,2 Prozent lag die Partei aber weit abgeschlagen unter der Fünf-Prozent-Hürde.

Die Euroskeptiker der „Alternative für Deutschland“ (AfD) kamen dagegen schon auf knapp 4,8 Prozent und waren beinahe daran, in den Bundestag einzuziehen.

Besonders schlimm erwischte es die Freien Demokraten (FDP): Mit dem schlechtesten Ergebnis in ihrer 65-jährigen Geschichte (4,8 Prozent) hat es die 1948 gegründete FDP unter Philipp Rösler zum ersten Mal nicht geschafft, in das Bundesparlament einzuziehen. Die Konsequenz: Rösler ist zurückgetreten. Eine personelle und thematische Neuausrichtung hat die Partei bitter nötig. Die FDP wurde seit dem Verlassen der sozialliberalen Koalition Anfang der 80er nicht mehr immer weiter zu einer Klientel- und Lobbyistenpartei, sondern auch zum alleinigen „Juniorpartner“ und Wahlhelfer der Christdemokraten (CDU). Ärzte und Anwälte, Versicherungs- und Immobilienmakler, Banker, Selbständige und Millionäre fühlten sich von der FDP vertreten. Das Bild als Partei ohne soziales Gewissen gab der FDP den letzten Stoß. Nun haben Leute mit ein wenig mehr Solidaritätsgefühl wie Kubicki oder Leutheusser-Schnarrenberger Zeit genug, die Partei auf die Erfolgsspur zu lotsen. Die Liberalen können sich noch einmal Gedanken machen, ob sie sich weiterhin den Luxus leisten wollen, von vornherein Koalitionen mit dem linken Lager auszuschließen. Auch darüber haben sie jetzt lange Zeit nachzudenken.

Eine herbe Enttäuschung mussten auch die Grünen (8,4 Prozent) einstecken. Die Partei, die in Baden-Württemberg die grün-rote Koalition anführt und noch vor einem Jahr bei über 20 Prozent lag, ist nun wieder dort, wo sie schon mal war. Auch hier wird es personelle Konsequenzen geben müssen.

Die Linkspartei dagegen hat, obwohl sie leicht Stimmen verlor, ein beachtliches Ergebnis (8,6 Prozent) erzielt und ist, wie Gregor Gysi es schon am Wahlabend euphorisch mitgeteilt hat, drittstärkste Kraft in Deutschland.

Die Sozialdemokraten (SPD) haben leicht hinzugewonnen (25,7 Prozent). Dennoch ist dieses Ergebnis eines der schlechtesten in ihrer Parteiengeschichte. Eine Volkspartei ist die SPD seit langem, spätestens aber seit der Agenda 2010 und den so genannten Hartz-Reformen nicht mehr. Auch die Einwanderer, besonders die Türkischstämmigen, vertrauen der SPD nicht mehr, weil sie sich von dieser Partei hintergangen fühlen. Die versprochene und nicht eingehaltene Doppelte Staatsbürgerschaft sowie Sarrazin lassen grüßen. Die SPD disqualifiziert sich daneben, wenn sie ideologisch und stur darauf besteht, unter gar keinen Umständen mit der Linkspartei zu kooperieren. Stattdessen biedert sich die Partei als CDU-Juniorpartner an und verliert seit der Großen Koalition 2009 immer mehr Stimmen.

Einzig und allein die Christdemokraten (CDU) und Christsozialen (CSU) haben bewiesen, dass sie mit 41,5 Prozent der Stimmen eine Volksparteien in Deutschland sind. Chapeau (Hut ab) vor dieser Leistung. Angela Merkel, nach Margaret Thatcher die neue Eiserne Lady, führt nicht nur Deutschland, sondern auch Europa mit strengem Regiment.

Es liegt an der SPD, die Herrschaft von Merkel zu beenden. Würden die Sozialdemokraten über ihren Schatten springen und die ausgestreckte Hand der Linkspartei annehmen, könnten sie sogar den Kanzler stellen. Aber auf dieses Experiment wird sich kein Sozialdemokrat einlassen. Auch wenn die Basis kein Problem damit hätte. Die Mehrheit der Deutschen sprechen sich für eine Große Koalition aus.