Die Unzufriedenen: Lange war der soziale Frieden in Deutschland von einem breiten Wohlstand abhängig.
(iz). Glaubt man den Umfragen, sind viele Deutsche besorgt über die ökonomische und politische Zukunft des Landes und schauen pessimistisch in das neue Jahr. Lange waren revolutionäre Unruhen und Bürger, die sich gelbe Westen anziehen, eher in Frankreich als bei uns zu sehen.
Am heutigen Montag erinnern tausende Traktoren und wütende Bauern an die hier herrschende Unzufriedenheit. Sie bemängeln grundlegende Fehler der Agrarpolitik, fordern nachhaltige Subventionen und machen nebenbei deutlich, dass gesundes Essen nicht automatisch auf den Tisch kommt.
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Die Unzufriedenen: Unmut als Motivation
Mit den Demonstrationen kündigen sich neue Protestparteien an, die den Unmut in Teilen der Bevölkerung zum Programm machen: Neben dem Thema der spürbaren Inflation und der sozialen Ungerechtigkeit werden leider auch Flüchtlinge und Immigranten als Sündenböcke instrumentalisiert. Die im spöttischen Ton attackierten „Altparteien“ scheitern zunehmend daran, unpopuläre Maßnahmen zu erklären und zu rechtfertigen.
Der Kern des Problems ist schnell ausgemacht. Die alte Magie des Fortschrittes führt schon länger nicht mehr zu wachsendem Wohlstand in den Händen der Mehrheit des Landes. Wenn man Maßnahmen gegen die Klimaerwärmung und den Übergang zu alternativen Energien als wahren Fortschritt feiert, folgt die Ernüchterung in der Erkenntnis, dass diese Zukunftsprojekte bezahlt werden müssen.
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Reflexionen der globalen Stimmung
Der Übergang zur multipolaren Ordnung in der Welt, schafft neue Empörung. Nicht nur die Kosten des Ukrainekrieges wachsen in den Himmel, der menschliche Blutzoll und Gefechtssituationen, die an den 1. Weltkrieg erinnern, lassen kaum günstige Prognosen zu und tragen zu einer pessimistischen Stimmung in Europa bei.
Der ewige Krieg im Nahen Osten und die als unverhältnismäßig eingestufte Reaktion der israelischen Regierung auf den Terror im Oktober empören nicht nur Muslime. Die internationale Politik ist in beiden Fällen nicht in der Lage eine Friedensvision zu formulieren.
Wohin führt diese Stimmung? Die Bauernproteste geben hierzu Hinweise. Es ist ein denkwürdiges Signal, wenn die Unzufriedenen im Lande realisieren, dass man nur auf der Straße seine Ansprüche erfolgreich einfordern kann.
Hinzu kommen die Versuche der Rechten, alle negativen Stimmungen zu verstärken und mindestens als aktive Trittbrettfahrer am Geschehen teilzunehmen. Am Horizont taucht damit das alte Problem der Demokratie auf: die Übernahme der Institutionen durch demokratiefeindliche Kräfte auf demokratischem Wege.
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Gelten die alten Techniken noch?
Anhand dieser Entwicklungen wird man daran erinnert, dass die alte Technik der Politik, die Bevölkerung mit Mehrausgaben bei Laune zu halten, nur funktionieren kann, wenn die Bundesrepublik ökonomisch erfolgreich bleibt. Unser Wirtschaftssystem beruht auf der Idee des Wachstums und sieht nicht vor, mit dem Gewonnenen befriedigt zu sein.
Zufriedenheit, als existentieller Zustand, lässt sich in dieser Dynamik nur schwer halten. Dennoch gilt für uns ein Ausspruch des Propheten, überliefert von Abu Hurayra: „Reichtum bedeutet nicht, viel Besitz zu haben, sondern Reichtum ist ein Nafs, die zufrieden ist und kein Bedürfnis spürt.“
Spirituelle Weisheit und Dankbarkeit sind wichtig für soziale Gleichgewicht. Diese Eigenschaft der Gläubigen ist nicht mit Fatalismus zu verwechseln. Zumindest dann, wenn man die sozialen Medien als Temperaturmesser ernst nimmt, wächst auch bei Muslimen die Unzufriedenheit – sei es über geopolitische Themen oder die mangelnde Anerkennung im Staat.
Es ist geboten, sich gesellschaftlich zu engagieren, positive Vorschläge zu formulieren, aber eben auch sich über die Wahl der Mittel und den eigenen Zustand Gedanken zu machen. Wer hier Maß hält, und sich vor den Extremen und einer rein negativen Haltung schützt, wird auf Dauer als Stütze der Gesellschaft Zustimmung finden.