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Südafrika: Die muslimische Minderheit und die schwarze Mehrheit sind sich einig: Tel Aviv muss im Nahostkrieg Einhalt geboten werden.
Kapstadt (KNA). Israelische Flaggen vor Tafelberg-Kulisse: An der Uferpromenade des jüdisch geprägten Kapstädter Bezirks Sea Point haben sich vor einigen Wochen Demonstranten gesammelt, um sich mit Israel solidarisch zu zeigen.
Ihnen gegenüber stehen Gegendemonstranten mit Palästina-Flaggen. „Babymörder!“, schallt es aus der Menge. Auf die Frage einer Reporterin, ob man nicht mehr Toleranz üben sollte, kennt einer der Versammelten schnell die Antwort: „Sorry, aber doch nicht gegenüber den Zionisten.“ Seine Töne sind am Kap nicht neu: Schon vor Jahren hat der Nahostkonflikt den Südzipfel Afrikas erreicht.
Südafrika: Beziehungen aus der Apartheidzeit
Mit seiner Klage vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) gegen Israel geriet Südafrika nun in die Schlagzeilen. Pretoria wirft Israels Armee vor, beim Vordringen in den Gazastreifen gegen das Übereinkommen zur Verhütung und Bestrafung eines Völkermordes verstoßen zu haben.
Jeder hundertste Bewohner des Gebiets sei bereits getötet worden. „Und mit jedem weiteren Tag, an dem Israel die militärischen Angriffe fortsetzt, wird es weitere erhebliche Verluste von Leben und Eigentum geben“, argumentieren Südafrikas Anwälte in ihrem Plädoyer. Die Anhörungen vor dem Gericht in Den Haag sind für Donnerstag und Freitag geplant.
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Streit um Verhältnis zum Nahostkonflikt
Am Kap hat die Klage gegen Israel den Keil noch tiefer zwischen die verschiedenen Religionen und Volksgruppen getrieben. Überrascht reagierte aber kaum jemand. Seit vielen Jahren solidarisieren sich vor allem Vertreter der muslimischen Minderheit sowie der schwarzen Mehrheit mit den Palästinensern.
Diese würden vom „Apartheidstaat“ Israel ebenso unterjocht wie einst die Südafrikaner vom weißen Regime, meinen sie. Vor Supermärkten protestieren die Palästina-Unterstützer regelmäßig für einen Boykott israelischer Produkte.
Rückendeckung vom ANC
Rückendeckung bekommt die Anti-Israel-Lobby vom regierenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC). Legendär sind inzwischen die Zeitdokumente der historischen Freundschaft, die Zeitungen auch heute noch drucken: Fotos, auf denen Nelson Mandela den damaligen Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), Jassir Arafat, umarmt und auf die Wange küsst.
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Bisher schaffte die ANC-Regierung einen komplizierten Spagat zwischen Palästina-Solidarität und den eher pragmatischen Handels- und konsularischen Beziehungen zu Israel. Etliche jüdische, fast ausschließlich weiße Südafrikaner sind Doppelstaatsbürger.
Der Israel-Hamas-Konflikt brachte eine Wende. Im November zog Präsident Cyril Ramaphosa Südafrikas Diplomaten aus Tel Aviv ab. Kurz danach stimmte das Parlament sogar dafür, die israelische Botschaft in Pretoria zu schließen. Mit der Klage vor dem IGH will der ANC einmal mehr seine „Entschlossenheit“ unter Beweis stellen, „die Werte von Frieden, Gerechtigkeit und Menschenwürde hochzuhalten“.
Juden berichten von wachsendem Antisemitismus
Die Zeichen stehen also auf Konfrontation. Einige der 50.000 Juden am Kap klagen über wachsenden Antisemitismus. „Außerstande, das Geschehen vor Ort zu beeinflussen, greift die Anti-Israel-Lobby darauf zurück, heimische Juden einzuschüchtern und zu bedrohen – und mit ihnen jeden, der es wagt, Israel auf irgendeine Weise zu unterstützen“, kritisiert die Direktorin der Dachorganisation Jewish Board of Deputies, Wendy Kahn
Sie verurteilt jüngste Übergriffe auf proisraelische Demonstranten vor dem Kapstädter Parlament. Auch bei den Protesten in Sea Point musste die Polizei mit Blendgranaten und Wasserwerfern eingreifen.
„Es ist schwer zu sagen, ob der Antisemitismus seit dem 7. Oktober wirklich zugenommen hat. Wenn man Antizionismus als Deckmantel für Antisemitismus sieht, ist das sicher der Fall“, sagt der Religionshistoriker der Uni Kapstadt, Milton Shain. Nicht zuletzt unter Südafrikas Akademikern habe die Palästina-Lobby zuletzt vermehrt Unterstützer gefunden, so der Experte.
Auch in Pretorias Amtsstuben spielt politisch aufgeladene Religion eine Rolle. Am Wochenende warf Zane Dangor, ein hoher Beamter des südafrikanischen Außenministeriums, Israel vor, „den Schmerz der jüdischen Unterdrückung über die Jahrhunderte“ auszunutzen.
Dadurch werde im Nahostkonflikt vom eigentlichen Problem abgelenkt. Dangor rechnet damit, dass sich die Beziehung zum Westen, allem voran zu den USA, wegen der IGH-Klage verschlechtert.
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Internationale Definitionen von Völkermord
Völkermorde, also die bewusste Tötung einer ganzen Bevölkerungsgruppe, sind bereits in der Antike bekannt. Historiker bewerten das 20. Jahrhundert jedoch als das Zeitalter der Völkermorde. Am 9. Dezember 1948 verabschiedeten die Vereinten Nationen eine „Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“ als Reaktion auf den Holocaust und die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes im Zweiten Weltkrieg.
Als Völkermord oder Genozid definieren sie in dem vor 75 Jahren formulierten Dokument Handlungen, die in der Absicht begangen werden, eine „nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“.
Dazu zählt die gezielte „Tötung von Mitgliedern der Gruppe“, aber auch Handlungen, die auf schwere körperliche oder seelische Schäden zielen, unzumutbare Lebensbedingungen, Maßnahmen zur Geburtenverhinderung oder die „gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe“. Strafbar im Sinne des Völkerrechts ist bereits die Absicht, eine andere Gruppe auszulöschen.
Den Begriff prägte der polnisch-jüdische Jurist Raphael Lemkin 1944. Das Wort setzt sich zusammen aus „genos“ (Griechisch für Herkunft, Abstammung) und „caedere“ (Lateinisch für morden, metzeln). Völkermord gilt als das Verbrechen der Verbrechen und ist laut Juristen wegen des besonderen Vorsatzes zur Vernichtung einer Gruppe schwer nachzuweisen.
Das Delikt fällt unter das Völkerstrafrecht, ebenso wie Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das Verbrechen der Aggression. Es wurde zum ersten Mal bei den Kriegsverbrechertribunalen von Nürnberg und Tokio 1945 angewendet. Seitdem gab es nur zwei Urteile wegen Völkermord, das betraf einmal das Massaker in Srebrenica (ehemaliges Jugoslawien) im Juli 1995 und in Ruanda (April bis Juli 1994). Zuständig für die Verfolgung auf UN-Ebene ist der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag.