Ein Fünftel der US-Muslime sieht sich als „weiß“

Ausgabe 314

Screenshot: Ta’leef Collective

Mit all der Ausgrenzung und Diskriminierung, die amerikanische Muslime in den letzten beiden Jahrzehnten – und insbesondere den vergangenen vier Jahren – erlebt haben, könnte man meinen, dass beinahe alle Muslime in die Kategorie „nicht-weiß“ fallen würden. Von Youssef Chouhoud

Diese instinktive Ethnisierung ist der natürliche Auswuchs von medialen Beschreibungen und politischen Narrativen, welche die Besonderheit von Muslimen hervorhebt. In einer solchen Umwelt ist es sicherlicher verzeihlich, wenn man eine dominante ethnische Gruppe und eine marginalisierte religiöse Gemeinschaft als sich wechselseitig ausschließend sieht.

Tatsächlich ist der Anteil amerikanischer Muslime, die sich als „weiß“ identifizieren, alles andere als zu vernachlässigen, während die Proportion, die nach den Kriterien der staatlichen Volkszählung als solches gilt, erheblich größer ist. In der Erhebung von Pew Research aus dem Jahre 2017 über die amerikanischen Muslime wurden 40 Prozent der Befragten als „weiß“ eingestuft, obwohl die Hälfte jener Personen in dieser Gruppe aus dem Nahen Osten oder Nordafrika stammen. In den Zensus-Parametern wird diese Herkunftsregion gegenwärtig als ethnisch „weiß“ definiert.

Im Gegensatz dazu bot eine aktuelle Befragung amerikanischer Muslime durch das ISPU den Teilnehmern „arabisch“ als eigenständige Kategorie. Der Prozentsatz der Personen, die aus dieser erweiterten Liste „weiß“ wählten, lag in allen Erhebungen von 2016-2020 bei 22 Prozent. Ungeachtet, auf welche Befragung zurückgegriffen wird, stellen weiße Muslime ein erhebliches Segment der muslimischen Community dar.

Gibt es jenseits der eigenen Einschätzung Faktoren, durch welche sich dieser Personenkreis unterscheidet? Sowohl bei Zustimmungswerten als auch bei Wahlpräferenzen war hier die Zustimmung zum ehemaligen Präsidenten Trump und zu den Republikanern höher als bei anderen. Sie befürworten politische Koalitionen mit konservativen Gruppen. Und sie berichten regelmäßig von religiöser Diskriminierung.

Muslime aus dieser Gruppe sind nicht so „neu“ in der islamischen Gemeinschaft, wie viele glauben mögen. Natürlich wurden einige der bekanntesten Muslime in den USA (wie Suhaib Webb, Hamza Yusuf und Willow Wilson) nicht in einer muslimischen Familie geboren. Obschon ein erheblicher Teil dieser Gruppe aus Konvertiten besteht, kam die Mehrheit als Muslime zur Welt. Rund zwei Drittel der Menschen, um die es hier geht, waren „immer schon Muslime“.

Ein damit verwandtes Ergebnis, das vielen vielleicht als widersprüchlich erscheinen mag, besagt, dass 64 Prozent der weißen Muslime in die Vereinigten Staaten eingewandert sind. Diese Daten sind allerdings überraschend. Denn die vorliegende Kategorie ist weit umfangreicher, als wir vielleicht annehmen würden. Unter den Konvertiten sind es immerhin ein Fünftel, die in einem Land geboren wurden. Auch die Geschlechteranteile  sind im Vergleich zum Rest leicht verschoben. Laut ISPU-Angaben sind 57 Prozent der weißen Muslime Frauen.

Es lohnt sich, einen Moment innezuhalten (und nicht einfach als gegeben hinzunehmen), was wir mit „Weißsein“ meinen. Obwohl Identität vielschichtiger ist als das Kästchen, das man auf offiziellen Formularen ankreuzen muss, können diese formalen Klassifizierungen dennoch einen erheblichen Einfluss darauf haben, wie jemand seinen Platz in der Gesellschaft sieht. In diesem Sinne werden sich Muslime europäischer Abstammung im amerikanischen Kontext höchstwahrscheinlich als weiß betrachten.

Dies gilt nicht nur für Personen aus Nord- und Westeuropa, sondern auch für die Gebiete Osteuropas, die früher unter osmanischer Herrschaft standen (wie Bosnien, Kosovo und Albanien). Darüber hinaus identifizieren sich Personen aus dem Kaukasus, Russland und dem ehemaligen Ostblock (die zusammengenommen eine beträchtliche muslimische Bevölkerung beherbergen) in der Regel als weiß. Ethnische Türken und Perser werden nach den Regeln der Volkszählung ebenfalls zu den Weißen gezählt, obwohl diese Assoziationen eine eher schwierige Geschichte haben.