Hassprediger im Islam? Ein Samstag mit meiner Tochter

(iz). Am Mittwoch, den 29.05.13, habe ich wie viel andere die Sendung von Anne Will verfolgt, in der es um Hassprediger ging. Um Zwecke einer sachgerechten Diskussion über muslimische „Hassprediger“ in Deutschland ist es elementar notwendig, ein authentisches Bild vom in Deutschland zu vermitteln. Wer soll diese Aufgabe leisten? Zum einen können die Theologen an den fünf neu gegründeten Zentren für Islamische Theologie wissenschaftlich fundierte Aussage über den Islam treiben. Zum anderen können diese auch Vertreter der großen islamischen Verbände, denn sie repräsentieren eine große Zahl an Muslime.

Ich möchte hier weder die Kompetenz der Gäste in Frage stellen, noch Frau Will vorbestimmen, wenn sie einladen soll. Hier frage ich mich nur, wie Frau Will auf die Idee kommt, eine vollverschleierte Frau aus der Schweiz einzuladen, um islamisch bezogene Fragen zu beantworten. Wen soll diese Dame repräsentieren? Wie viele Bundesbürgerinnen musischer Glauben tragen eine Vollverschleierung? Es handelt sich bei dieser Dame nicht nur um einen Gast, der für den Islam in Deutschland nicht repräsentativ ist, sondern das Tragen der Vollverschleierung löst bei dem Zuschauer negative Assoziationen aus. Man verbindet Gesichtsverschleierung eher mit Bildern von Bankräubern und Terroristen, wie wir sie aus den Medien kennen.

In diesem Zusammenhang möchte auf zwei Punkte eingehen: Erstens die Sendung von Will hat nicht weder dazu beigetragen, mir verständlich zu machen, wie Radikalisierung entsteht, noch mir geholfen, zu schätzen, wie groß die Gefahr für mich und meine Gesellschaft ist. Ohne Aufklärung lässt sich islamisierter Terror nicht eindämmen.

Zweitens die Bekämpfung von Radikalisierung muss bei „Hasspredigern“ enden und nicht anfangen. Die Bekämpfung von Radikalisierung sollte ganz woanders anfangen. Um zu zeigen, wo die Auseinandersetzung von radikalen Ansichten anfangen soll, möchte ich folgende Geschichte erzählen:

Das letzte Wochenende, den 01.06., war seit Mitte April mein erstes freies Wochenende. Ich musste folglich an keinen Workshops, Symposien oder Tagungen teilnehmen. Als Wiedergutmachung plante ich diese freie Zeit in meine Familie zu investieren. Gewollt, getan. Am Samstag ließ ich meine Frau ausschlafen und machte selber ein verführerisches Frühstück für meine 2,5-jährige Tochter. Danach fragte ich die Kleine nach ihrem nächsten Wunsch. Sie antwortete unwiderstehlich: „Cartoon, Papa!“ Zeichentrickfilme, heißt das. Da das deutsche Fernsehen mir in diesem Moment nicht weiterhelfen konnte, griff ich zum Internet, „möge Allah es segnen“. Der liebe Google, der alles besser weiß als ich und mich beim Vertippen korrigierte, bot mir zahlreiche mögliche Internetlinks an, u.a. in arabischer Sprache.

Das Suchergebnis verwies auf „islamische Cartoons“. Da funkelten meine Augen. Mit großer Freude und voller Begeisterung klickte ich den Link an. Letztendlich darf man in Deutschland seine Kinder ja religiös erziehen, solange man keine unumkehrbaren Entscheidungen trifft, so das Grundgesetz. Für mich hatte das darüber hinaus eine weitere Bedeutung: Nämlich mein Kind zweisprachig zu erziehen. Denn als Nichtmuttersprachler, der erst spät angefangen hat Deutsch zu lernen, weiß ich die Sprachen zu schätzen.

Doch, „man darf den Tag vor dem Abend nicht loben“. Enttäuscht und gleichzeitig schockiert sah ich auf das, was mir Google da präsentierte. Ich hatte mir unter „islamische“ Zeichentrickfilme solche vorgestellt, die die Geschichten der Propheten Ibrahim (Abraham), Musa (Moses), Isa (Jesus) und Muhammed erzählen, oder Filme, die moralische Werte wie Gerechtigkeit, Hilfsbereitschaft, Zuverlässigkeit und Menschenliebe anpreisen. Was ich aber fand, waren mir längst bekannte normale westliche Zeichentrickfilme – nur ohne Musik. Stellen Sie sich vor: „islamisch“ soll bedeuten „keine Musik“. Filme von „Tom und Jerry“ sind „islamisch“ geworden – durch Weglassen der Hintergrundmusik – der Inhalt selbst spielt keine Rolle.

Ich spürte echtes Mitleid mit dem großen Denker Al-Ghazali, der sein ganzes Leben damit verbracht hat, den Islam zu reformieren. Die Sorge um das Jenseits nimmt bei den Muslimen einen hohen Stellenwert ein. Folgende Anekdote mag das Ausmaß dieses Verhältnisses verdeutlichen: „Als die Amerikaner vom Mond Bodenproben mitbrachten, haben sie diese zu Forschungszwecken an Japaner, Chinesen, Deutsche und Muslime verteilt. Die Japaner diskutierten darüber, ob man daraus eine Kamera machen könne; die Deutschen diskutierten, ob man daraus Bioenergie gewinnen könne, die Chinesen versuchten diese Erde zu reproduzieren. Die Muslime diskutierten darüber, ob man damit Tayyamum (eine dem Gebet vorausgehende symbolische Reinigung mit Erde, falls kein Wasser vorhanden für eine Waschung) machen dürfe. Die Meinung zu vertreten „islamisch“ würde „keine Musik“ bedeuten erscheint mir als unreif: Es ähnelt einem Kind, das aus Mutters Tasche das Geld ausräumt, um ihr das Tragen der Tasche leichter zu machen.

Islamische Zeichentrickfilme in der gemeinten Form, stellen für mich einen Verstoß gegen das Grundgesetz dar. Sie gleichen nicht nur einer unumkehrbaren Entscheidung, sondern sie können auch zur „Missbildung“ führen. Nicht weniger stellen sie auch ein Defizit im Verständnis der Religion dar, denn sie machen es für den Menschen unmöglich sich zu entfalten – lassen ihn nicht Mensch sein. Al-Ghazali selbst meint in seinem weltbekannten Werk „Ihya ͑Ulum Ad-Din“: „Derjenige, den der Frühling mit seinen Blumen nicht berührt, die (arabische) Gitarre mit ihren Tönen nicht bewegt, der hat eine verstörte Wahrnehmung und ihm kann keine Medizin helfen. […] Wer von den schönen Tönen nicht gerührt wird, der ist krank, der Unmäßigkeit zuneigend, fern ab von jeglicher Spiritualität, schroff und hat einen harten Charakter, der in seiner Härte Kamele, Vögel und alle Viehsorten übertrifft, denn alle diese werden von den ausgewogenen Tönen berührt.“

Ist der Islam wirklich gegen Musik und gegen Kunst? Er ist gewiss gegen alle schädlichen Sachen, z.B. gegen Lärm, gegen Umweltverschmutzung und gegen alles, was dazu führt. Sind also Musik und Kunst schädliche Erscheinungen? Die islamische Geschichte liefert zahlreiche Beispiele, bei denen der Prophet und seine Gefährten Gesang, Malerei und kunstbildendes Gestalten nicht verworfen haben. Aus Platzgründen, kann ich auf eine vertiefte Diskussion an dieser Stelle nicht eingehen.

Zusammenfassend aber gilt, dass Verbote der Kunst wie Bildhauerei z.B. sich auf eine Zeit beziehen, zu der die Gefahr der Anbetung von Götzenbildern bestand. Diese Zeit ist vorbei und Verdächtigungen in diese Richtung sind unberechtigt. Fromm zu sein, hat mit einem Musikverbot wenig gemein. Der Islam preist die Schönheit und ruft zur Verfeinerung der Sinne. Musik ist ein wichtiges Instrument dafür. Menschen mit feinen Sinnen und sensiblem Charakter haben eher mehr Gefühl für ihre Mitmenschen in Not. Menschen mit feinen Sinnen besitzen eher ein Gefühl für den Koran und für alles, was Moral anpreist.

Fromm zu sein, heißt nicht, dem Genuss des Lebens zu entsagen. Ganz im Gegenteil, die Einrichtung des Jenseits geht nur über die Einrichtung des Diesseits. Wir können nicht ins Jenseits investieren, indem wir uns vom Diesseits abwenden. Ich habe den gemeinsamen Samstag mit meiner Tochter vielleicht verdorben, weil ich ihr keine Zeichentrickfilme gezeigt habe. Aber einen Samstag zu verderben ist besser als das ganze Leben. Mir blieb jedoch die Frage offen: Was soll ich meiner Tochter erzählen, die offensichtlich einen besonderen Sinn für Musik und Kunst hat? Mit welchem Recht untergrabe ich ihre Sinne anstatt sie zu fördern? Wie soll überhaupt ein frommer Muslim reagieren, wenn sich irgendein Anrufbeantworter mit Musik einschaltet? Etwa den Hörer auflegen?

Diese Summe von Fragen, auf die ich keine einfache Antwort finden konnte, belastete mich den ganzen Samstag lang. Als ich meine Erfahrung mit der gemeinten Sendung von Will verglichen habe, war mir eines ganz deutlich klar: Meine Unzufriedenheit sowohl über eine unzulängliche Grundlage, Filme unter islamischem Label laufen zu lassen, als auch über „Hassperdiger“, nicht zu verschweigen – und folgende drei Botschaften in die Welt zu schicken:

• An die Muslime: Der Islam ist schöner, feiner und milder, als das, was viele von ihm denken.

• An die Gesellschaft: Internet ist wie öffentlicher Park. Wir besitzen ihn nicht, aber er gehört uns allen. Wir sind dementsprechend verpflichtet ihn zu schützen und jedes Unkraut anzumelden.

• An meine Kollegen an den Zentren für Islamische Theologie bundesweit: Wir haben sowohl große Aufgabe vor uns – aber wir tragen auch große Verantwortung.