(iz). Viele türkischstämmige Muslime mit „Migrationshintergrund“ reagierten konsterniert. Der Deutsche Bundestag hatte die Massaker gegen die Armenier (zu Beginn des 20. Jahrhunderts) mehr oder weniger einstimmig als „Völkermord“ eingestuft.
Die Muslime sind nicht nur nicht repräsentiert. Sie stellen auch fest, dass es für viele ihrer Überzeugungen eigentlich keine Lobby im politischen Deutschland gibt. Murat Kayman von der mitgliederstarken DITIB warf den türkischstämmigen Abgeordneten in der konkreten Armenienfrage nicht nur Versagen vor, sondern stellte weiter allgemein fest, dass „die Zeit ethnisch-kultureller Identitätspolitik unwiderruflich vorbei sei“.
Lange Zeit waren viele Muslime beeindruckt, wenn einer der ihren irgendein politisches Amt errang. Nüchtern gesehen droht nun eine gesteigerte Politikverdrossenheit innerhalb einer der wichtigsten Bevölkerungsgruppen der Republik. Dieser Frust könnte auf lange Sicht durchaus für die ganze Gesellschaft problematisch werden.
Prof. Michael Wolffsohn stellt in seinem jüngsten Buch „Zum Weltfrieden“ eine interessante These auf: Nach seiner Ansicht sei die Gründung einer muslimischen Partei durchaus sinnvoll für den inneren Frieden unseres Landes. „Sie werden ihren politischen Druck im und fürs eigene Interesse erhöhen und deshalb über kurz oder lang (mindestens und vernünftigerweise) eine Partei gründen.” Und tatsächlich fragen sich viele Muslime heute: Warum eigentlich nicht?
De facto sollten die Chancen für eine muslimische Partei – zumindest auf kommunaler und europäischer Ebene – auf Dauer gar nicht schlecht sein. Und wäre ein solches Engagement der Basis nicht besser als allgemeine Politikverdrossenheit? Junge Leute, die sich hier politisch engagieren wollen, hätten immerhin eine Aufgabe, ein konkretes Ziel.
Die Probleme sind klar: Die muslimische Gemeinde in Deutschland ist nicht wirklich ein homogener Körper. Zu zahlreich sind bisher die Trennlinien und Mentalitätsunterschiede. Verfolgt man zudem den Aggregatzustand vieler Muslime ahnt man, dass eine muslimische Partei wohl eher keine Spaßpartei wäre. Hier bräuchte es eine gelassene, offene, eher fröhliche Haltung. Nur, fragen sich viele muslimische Diskutanten: Haben wir bereits eine konstruktive Streitkultur?
Nicht alle Vorschläge wirken durchdacht. Eher öde wirkt zum Beispiel im 21. Jahrhundert, wenn das Bindeglied einer Partei mehr oder weniger auf einer ethnischen Zugehörigkeit basieren soll.
Der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrates der Muslime, Mehmet Alparslan Çelebi, rechnet in einem Beispiel auf Facebook zudem die profane Mathematik solcher Ansätze vor: „Es gibt 64,4 Millionen Wahlberechtigte in Deutschland. Davon sind 650.000 türkischer Herkunft. Das sind 1 Prozent, wenn alle zur Wahl gehen würden. Die Wahlbeteiligung in Deutschland lag bei der letzten Bundestagswahl bei 71 Prozent. Die Wahlbeteiligung bei den türkisch-stämmigen bei ca. 45 Prozent. Also im Ergebnis insgesamt 0,7 Prozent der Gesamtstimmen.”
Eine Partei, die sich nur um Immigrationsprobleme dreht, wird jedenfalls kaum den Geist entfalten, viele deutsche WählerInnen zu begeistern.
So wäre es tatsächlich eine intellektuelle Herausforderung, ein Programm auszudenken, überzeugende Inhalte zu formulieren, die auch tatsächlich aus dem Islam heraus inspiriert sind. Erfolg hätte aber eine solche Partei wohl nur, wenn ihre Argumente auch über eine bestimmte Ethnie oder Konfession hinaus AnhängerInnen finden würden.
Eine eigene Partei?
Ausgabe 253