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Ende der US-Dominanz am Persischen Golf

Ausgabe 318

Siedlergewalt Nahost
Foto: GRAPHIC DESIGN BLOG

Think-Tank fordert stärkere Einflussarbeit Berlins und der EU am Persischen Golf. Bislang nutzt der partielle Rückzug der USA vor allem China, das in Mittelost Ordnungsmacht werden könnte.

BERLIN/TEHERAN/ABU DHABI (GFP.com). Die nächste Bundesregierung soll ihre Einflussarbeit am Persischen Golf intensivieren und damit der EU „eine aktive Rolle“ im „globalen Wettstreit“ um die Macht in der Region sichern. Dies fordert die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in einem aktuellen Positionspapier. Hintergrund ist, dass sich die USA, immer stärker auf den Machtkampf gegen China fokussiert, aus dem Mittleren Osten zurückziehen. 

Die Volksrepublik wiederum stärkt ihre Stellung nicht nur in Iran, mit dem sie im März eine „strategische Partnerschaft“ auf 25 Jahre geschlossen hat sowie neue Wege zur Umgehung von US-Sanktionen sucht, sondern auch in den arabischen Golfstaaten. So weitet Beijing seine Aktivitäten auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Saudi-Arabien aus – und liefert dort unter anderem 5G-Technologie des Huawei-Konzerns, den Washington erbittert bekämpft. Appelle an Berlin und Brüssel, die Stellung der EU in der Region zu stärken, führen bisher noch zu nichts. Die DGAP warnt, mit Blick auf die „Neuordnung“ der Welt stelle sich die Frage, „wessen Ordnung überdauern wird“.

„Das Vakuum füllen“

Die nächste Bundesregierung soll ihre Einflussarbeit am Persischen Golf intensivieren und eine Gesamtstrategie für die Region entwickeln. Dies fordert die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in einem aktuellen Positionspapier. Wie die DGAP festhält, haben die Vereinigten Staaten ihre Fokussierung auf den Machtkampf gegen China verstärkt und im Kontext damit den „schrittweisen … Rückzug“ aus dem Mittleren Osten längst eingeleitet – zunächst mit Barack Obamas „Pivot to Asia“ („Schwenk nach Asien“), anschließend mit den Bemühungen von Donald Trump um einen Abzug der US-Truppen aus Afghanistan und aus dem Irak, den Joe Biden nun abschlossen hat (Afghanistan) bzw. bis zum Jahresende weitgehend realisieren will (Irak).

„Nach dem Ende der Ära amerikanischer Dominanz am Persischen Golf“, heißt es bei der DGAP, „wird die neue Ordnung sowohl von Anrainerstaaten als auch von externen Mächten bestimmt, die ihren Einfluss in der Region geltend machen wollen“. Zu den äußeren Mächten zählt der Think-Tank neben Russland und China auch die Türkei; alle drei wollten „das von den USA hinterlassene Vakuum füllen“, urteilt die DGAP. Berlin und die EU müssten sich der Region, wollten sie nicht weiter an Einfluss verlieren, auf breiterer Ebene nähern.

Auf dem Weg zur Regionalmacht

Wie es in dem DGAP-Positionspapier heißt, hat in den vergangenen Jahren besonders Iran im Bestreben, sich „zur stärksten Macht am Persischen Golf auf[zu]schwingen“, Erfolge erzielt. So sei es Teheran gelungen, „mit seiner Zermürbungstaktik im Jemen und regelmäßigen Angriffen auf arabische Einrichtungen – seien es Ölanlagen an Land oder Schiffe in internationalen Gewässern – nicht nur Saudi-Arabien in Schach“ zu halten, sondern „durch seine enge Zusammenarbeit mit Kuwait, Oman und Katar auch eine umfassende Annäherung zwischen den Golfstaaten“ zu verhindern.

Mehrere arabische Golfstaaten, etwa die Vereinigten Arabischen Emirate, hätten zwar den „merklichen Einflussverlust der Schutzmacht USA“ durch eine gewisse Kooperation mit Israel („Abraham-Abkommen“) auszugleichen versucht, hätten sich aber dennoch veranlasst gesehen, „klare Signale an Teheran“ zu übermitteln, „dass sie eine Einigung mit ihrem Nachbarn einer Konfrontation auf allen Ebenen vorziehen würden“. Iran wiederum habe seine Bündnisse mit den schiitischen Milizen im Irak, mit der libanesischen Hisbollah, den jemenitischen Huthi und Syriens Präsident Bashar al Assad konsolidieren können und gehe auch deshalb gestärkt aus den harten Machtkämpfen der vergangenen Jahre hervor.

„Schulterschluss mit nichtwestlichen Kräften“

Mit Blick auf externe Mächte sucht Iran, schreibt die DGAP, „nach einer Befreiung von der regionalen Hegemonie der USA … einen Schulterschluss mit nichtwestlichen Kräften“. Dazu zähle zum einen „die Wahl Russlands zum wichtigsten Militärpartner im syrischen Einsatzgebiet“, zum anderen die Wahl „Chinas zum wichtigsten Wirtschaftspartner“. Letzteres sei mehr oder weniger erzwungen, weil die Sanktionen der USA „europäischen Unternehmen Geschäftskontakte mit dem Iran untersagen“.

Allerdings biete zugleich „lediglich Chinas geopolitisches Projekt der ‘Neuen Seidenstraße’, die sich auf dem Land- und dem Seeweg durch die Region zieht, eine kohärente Zukunftsvision“. Tatsächlich baut Teheran seine Kooperation mit Beijing systematisch aus. Dazu haben beide Seiten im März eine „strategische Partnerschaft“ geschlossen, die Berichten zufolge unter anderem gemeinsame Aktivitäten beim Bau von Häfen, Bahnstrecken und weiterer Infrastruktur, bei Investitionen in die Erdöl- und Erdgasbranche sowie einen Transfer militärischer Technologien umfasst.

Nicht zuletzt war von Plänen die Rede, eine Iranisch-Chinesische Bank zu gründen, um mit ihrer Hilfe die US-Sanktionen gegen Iran aushebeln zu können.

„Mehr China, weniger Amerika“

China beginnt dabei dem Westen nicht nur in Iran den Rang abzulaufen, sondern auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten und punktuell in Saudi-Arabien. Seit die Vereinigten Staaten ihr Erdöl und ihr Erdgas per Fracking in wachsendem Maß selbst fördern, ist die Volksrepublik zum größten Rohstoffkunden auf der Arabischen Halbinsel aufgestiegen.

Zugleich wächst das Misstrauen gegenüber Washington, das sich aus der Region zurückzieht; der unabgestimmte US-Abzug aus Afghanistan hat dies verstärkt. „Es gibt ein Vertrauensdefizit gegenüber Amerika, das Tag für Tag wächst“, wurde unlängst der emiratische Politikwissenschaftler Abdulkhaleq Abdulla zitiert: „Der Trend der kommenden Jahre lautet ‘mehr China, weniger Amerika’ an allen Fronten, nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch, militärisch und strategisch. Amerika kann nichts daran ändern.“

Die Emirate wurden in die Produktion und in den Weiterverkauf des Covid-19-Impfstoffs von Sinopharm eingebunden; sie setzen trotz allen Drucks aus den USA bis heute auf 5G-Technologie von Huawei. Auch Saudi-Arabien nutzt für sein Vorzeigemegaprojekt Neom 5G-Technologie des chinesischen Konzerns. Zwar plant keiner der arabischen Golfstaaten, seine Kooperation mit Washington ernsthaft zurückzufahren, doch setzen Abu Dhabi und Riad parallel auf eine intensive Zusammenarbeit mit Beijing.

Die Frage der Ordnung

Think-Tanks fordern seit geraumer Zeit, Berlin und die EU müssten im Mittleren Osten energisch aktiv werden, um dort nicht noch mehr an Einfluss zu verlieren. „Die Europäer“ sollten ihre außen- und militärpolitischen Aktivitäten dort intensivieren und etwa „bei der Vermittlung eines neuen Sicherheitsdialogs am Golf“ eine führende Rolle einnehmen, schrieb etwa im Dezember 2020 der European Council on Foreign Relations (ECFR).

Im Juni 2021 erklärte die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), der EU eröffne sich „eine historische Chance“, „mit politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen und Angeboten Unterstützung“ in den Konflikten am Persischen Golf zu leisten; nehme sie diese „Chance“ wahr, dann werde sie gleichzeitig „ein Gegengewicht zum chinesischen Einfluss in der Region“.

Nennenswerte Aktivitäten Deutschlands oder der EU sind seitdem freilich ausgeblieben. Nun legt die DGAP nach und dringt darauf, die nächste Bundesregierung müsse „eine Strategie für die gesamte Region rund um den Golf entwickeln“; das sei nötig, um der EU „eine aktive Rolle“ im „globalen Wettstreit“ um Einfluss im Mittleren Osten zu sichern.

Die DGAP warnt, „angesichts einer Neuordnung regionaler Bündnisse innerhalb des internationalen Machtgefüges“ stelle sich „die Frage, wessen Ordnung überdauern wird“. Dass es die des Westens sein wird, verliert an Wahrscheinlichkeit.