Erfahrungen aus deutschen online-Redaktionen: Der Ton von Debatten im Internet wird rauer

Bonn (KNA). Mehr als irgendein geografischer Ort galt das Internet lange als Raum der unbegrenzten Möglichkeiten: Jeder kann sich äußern, jederzeit, von so vielen Orten der Welt und mit so wenig technischem Aufwand wie nie zuvor. Blogs informieren in kaum überschaubarer Bandbreite über Fach- und Freizeitthemen, Diskussionen und politischen Bewegungen entfalten sich online manchmal stärker als offline.

Momentan scheint diese verheißungsvolle Vorstellung jedoch an einigen Stellen zu kippen. Götterdämmerung 2.0: Häme und Hass haben derart zugenommen, dass mehrere Online-Portale ihre Kommentarfunktionen einstellten – die „Bunte“ im Juli vergangenen Jahres, die „Süddeutsche“ im September. Felix Neumann findet diese Veränderungen nachvollziehbar. Der Social-Media-Redakteur bei dem Internetportal katholisch.de fügt hinzu: „Das Internet ist heute ein Spiegel der Gesellschaft – anders als vor fünf oder zehn Jahren, als noch viel weniger Menschen das Internet genutzt haben.“

Für „katholisch.de“ sei es weiterhin interessant, die Stimmung unter den Nutzern über Facebook zu verfolgen. Andererseits sieht Neumann darin auch eine Gefahr: „Das Bild, das wir uns von der öffentlichen Meinung machen, kann verzerrt sein.“ Die Kommentare kämen schließlich vor allem von denen, die Zeit und Lust zum Kommentieren haben.

Die Adressaten brauchen da mitunter ein dickes Fell. Immer mehr Redaktionen gehen neben dem Löschen und Moderieren von Kommentaren kreative Wege. Manche kontern launig, etwa die ARD-Tagesschau bei Twitter: Ein User fragte, wie es denn sein könne, dass „Spiegel Online, Stern und nun ihr ein und dasselbe schreibt“. Darauf die Redaktion: „Systempresse. Wissen Sie doch.“ Die sarkastische Anspielung auf die „Lügenpresse“-Vorwürfe der anti-islamischen Pegida-Bewegung fand Anklang in den Sozialen Medien.

Auch „Hate Poetry Slams“ sind ein Versuch, dem Unflat humoristisch zu begegnen. Auf diesen Veranstaltungen zitieren Journalisten die schlimmsten Drohmails und Schimpfbriefe, die sie im Laufe ihrer Arbeit erhalten haben; das Publikum wählt via Applaus einen Sieger. Bei der Initiative der „taz“-Redakteurin Ebru Tasdemir, die im Januar 2012 entstand, geht es hauptsächlich um Beschimpfungen mit rassistischem Hintergrund.

Andere Redaktionen dokumentieren schlicht und einfach, womit sie konfrontiert werden. Die „Zeit“-Beilage „Christ & Welt“ etwa veröffentlichte jüngst eine Sammlung von Anfeindungen gegen Redaktionsleiterin Christiane Florin. Oftmals unter Klarnamen beschimpften Leserbriefschreiber sie. Auslöser war ein Editorial, in dem Florin die Ablehnung einer Anzeige erläuterte – also ein Akt der von der Internetgemeinde oft eingeforderten Transparenz.

Andere Redaktionen löschen konsequent, manche mit, manche ohne Vorwarnung und Erklärung. Darauf reagieren Nutzer ihrerseits mit dem Vorwurf der Zensur: „Mein Post wird ja sowieso von euch gelöscht“, ist eine häufige Unterstellung in Online-Kommentarspalten. Offenbar unterliegen manche dem Missverständnis, freie Meinungsäußerung bedeute das Recht, unbegrenzt austeilen zu dürfen, ohne Konsequenzen dafür tragen zu müssen.

Bei „katholisch.de“ gibt es damit kaum Probleme, sagt Social-Media-Redakteur Neumann. Er löscht nur Beleidigungen oder justiziable Äußerungen. In einer „schlimmen Woche“ sperrt er bis zu fünf Nutzer. „Wir setzen darauf, dass die Community sich selbst trägt“, erklärt er und räumt ein: „Der Nachteil ist, dass sich immer die Lautstarken und Vielschreiber durchsetzen.“