
„Behörden immer noch blind auf rechtem Auge“: Nach wie vor würden rassistische Tatmotive vorschnell ausgeschlossen. Aus den Fehlern der NSU-Mordermittlungen habe man kaum gelernt.
Berlin (KNA) 25 Jahre nach dem ersten Mord des rechtsextremen Terrornetzwerks Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) seien Ermittlungsbehörden noch immer „auf dem rechten Auge blind“:
Das kritisiert Lorenz Blumenthaler von der Amadeu Antonio Stiftung auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
„Man hat sich anfangs Mühe gegeben, aus den Fehlern der NSU-Mordermittlungen zu lernen. Aber ich fürchte, die Lage bei Staatsanwaltschaften und Ermittlern ist heute ähnlich prekär wie in den 2000er Jahren“.
Collage: Jan Hrdonka, IZ Medien
Am 9. September 2000 verübte der NSU sein erstes Attentat auf den Großhändler Enver Simsek
Blumenthaler verweist auf den Brandanschlag in Solingen im August 2024, bei dem eine vierköpfige, türkisch-bulgarische Familie ums Leben kam. „Obwohl es eindeutige Hinweise auf die rechtsextreme Gesinnung des Täters gab, hat die Polizei früh ein rassistisches Motiv ausgeschlossen“, sagt der Pressesprecher.
„Dabei ist genau das eine der Grundforderungen der NSU-Opfer und von zivilgesellschaftlichen Organisationen: ein rassistisches Motiv nicht vorschnell auszuschließen – erst recht nicht, wenn die Opfer einen Migrationshintergrund haben.“
Die Stiftung fordert, dass rechtsextreme Gewalt von Ermittlern und in Urteilen klar als solche benannt wird. „Behörden müssen fit genug sein, ein rechtes Tatmotiv zu erkennen“, sagt Blumenthaler. Dafür seien auch Schulungen von Polizisten nötig – etwa, was das Erkennen aktueller rechtsextremer Codes angehe.
Opfer rechtsextremer Gewalt müssten zudem als solche anerkannt werden: „Wir listen 221 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990 auf, die Bundesregierung führt lediglich 117.“
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Entschädigung gefordert
Weiterhin müssten die anerkannten Opfer entschädigt werden. „Bisher übernehmen das vor allem Organisationen wie unsere.
Wir haben uns beispielsweise mit einer Spendenkampagne dafür eingesetzt, dass die Angehörigen der Opfer von Hanau schnell und unbürokratisch psychologische Betreuung bekamen“, berichtet der Experte. Ein Attentäter hatte 2020 in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven erschossen.
Nach Einschätzung Blumenthalers hat sich aufseiten der Opfer seit den NSU-Morden allerdings einiges verändert: „Sie organisieren und vernetzen sich inzwischen und wirken viel stärker in die Öffentlichkeit hinein. Dadurch üben sie auch Druck auf die Politik aus.“
Diese Sichtbarkeit sei eine der wichtigsten Währungen: „Erst durch den Druck der Angehörigen und zivilgesellschaftlicher Initiativen ist zum Beispiel der Amoklauf 2016 im Olympia-Einkaufszentrum in München als rechtsextrem motiviert eingestuft worden.“
Die Amadeu Antonio Stiftung ist nach einem der ersten Todesopfer rechtsextremer Gewalt seit der Wiedervereinigung benannt. Sie wurde 1998 gegründet mit dem Ziel, die demokratische Zivilgesellschaft zu stärken und sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus einzusetzen.