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Familie ist auch eine Zone im Widerstand gegen Tyrannei von außen

Ausgabe 313

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(iz). Der große marokkanische Sufi-Schaikh Muhammad ibn Al-Habib schrieb in einem seiner Lehrgedichte: „Ich bitte Allah um Vergebung für jede Bosheit und Gehässigkeit.“ Diese beiden tadelnswerten Eigenschaften – Bosheit und Gehässigkeit – waren der Treibstoff, der die Engländer und Buren (oder Afrikaaner, die holländischsprachigen Bauern-Siedler, welche Teile des späteren Südafrikas besiedelten und eigene Staaten bildeten) in einen der blutigsten und teuersten Krieg der Weltgeschichte stürzte.

Die Opferzahlen sind erschütternd – 20.000 tote britische Soldaten, 7.000 Angehörige der Buren-Kommandos (autonome Kampfeinheiten) sowie über 28.000 tote Frauen und Kinder der Afrikaaner, die in den frühen Konzentrationslagern der Briten ums Leben kamen. Obwohl der Burenkrieg 1902 durch den Vertrag von Vereeniging beendet wurde, sollten Bosheit und Gehässigkeit die Hauptkraft hinter der Fassade aus Frieden und gutem Willen werden.

Über den Verlauf der Friedensverhandlungen merkte der britische Historiker Pakenham an: „Milner (Alfred, Vizekönig von Südafrika, britischer Imperialist), der Mann, der von sich behauptete, den Krieg ausgelöst zu haben, fühlte sich um seinen Sieg betrogen. In seinem Herzen hatte er sich den Friedensgesprächen widersetzt. Sein Plan war es, die bisherige Form der südafrikanischen Gebiete zu zerschlagen und das Land zu anglisieren. Es sei besser, die politischen Führer der Buren in der Steppe verkümmern zu lassen, als sie mit dem Versprechen der Selbstverwaltung ‘so bald wie möglich’ wieder in der Gesellschaft willkommen zu heißen. Wann würde das sein? Milner zuckte mit den Schultern. Die Arithmetik der Demokratie – bedeutete eine Katastrophe für seinen großen Plan.“

„Unter den Bedingungen des Vertrags von Vereeniging im Jahre 1902“, merkt der südafrikanische Historiker Paul Maylam an, „wurde die Frage der Ausweitung der politischen Rechte auf Schwarze aufgeschoben, bis die Selbstverwaltung in Transvaal und der Oranje-Kolonie wiederhergestellt war. Aber als die Selbstverwaltung in diesen Kolonien 1906 und 1907 wiederhergestellt war, waren die Schwarzen immer noch vom Wahlrecht ausgeschlossen“.

Dieses obige Vorgehen wurde von zwei Gruppen mitgetragen, die durch südafrikanischen Nationalstaat ruhiggestellt werden sollten: die Afrikaaner-Bauern sowie die britischen Bergarbeiter. Damit das möglich werden konnte, brauchte es billige Arbeitskraft. Da Sklaverei jedoch ein Jahrhundert zuvor durch die Briten untersagt wurde, musste General Botha, der erste südafrikanische Präsident, alternative Wege dafür finden.

Sol Plaatje war Gründungsmitglied des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC). Eine Partei, der sich später Nelson Mandela anschließen sollte. Plaatje schrieb: „Am Morgen des Freitags, den 20. Juni 1913, aufwachend fand sich der südafrikanische Eingeborene nicht unbedingt als Sklave wieder, aber als Ausgestoßener im Land seiner Geburt.“ An diesem Datum erließ das südafrikanische Parlament das Landgesetz. Es sah vor, dass 10 Prozent der Fläche des Landes für die eingeborene Bevölkerung in Gebieten vorbehalten waren, die Reservate genannt wurden.

Der Historiker Colin Buny schrieb in „Peasentry“, einem Werk über Aufstieg und Fall der Bauern in seinem Land: „Es gibt umfangreiches und deprimierendes Beweismaterial über das Landgesetz sowie das Ausmaß der Unterentwicklung in den Reservaten in den vierzig Jahren nach seiner Erlassung von 1913. Es gibt viele Details über Kindersterblichkeit, Unterernährung, Krankheiten und Schwäche; über soziale Verwerfungen, die sich in Scheidungen, Unehelichkeit, Prostitution und Kriminalität ausdrücken.“

Zeitgleich wurde die indigene Bevölkerung des Landes mit einer Steuer auf ihre Hütten belegt. Sie zwang die Männer aus den Reservaten auszuwandern, um Arbeit auf weißen Farmen und in den Minen von Johannesburg zu finden.

Buny berichtete von den Folgen dieses Handelns, als er schrieb: „In allen Reservegebieten trugen diejenigen, die zu Hause blieben und fit waren, eine zusätzliche Last jener Abhängigkeit. Diejenigen, die nicht voll leistungsfähig waren, aber in die landwirtschaftliche Arbeit gedrängt wurden, arbeiteten unzureichend und schwach. Das Pflügen (der Felder) mit Vieh wurde in Gegenden, in denen der Männeranteil ungewöhnlich niedrig war, vernachlässigt…“

Um es zusammenzufassen: Die indigenen Völker Südafrikas wurden in winzige Reservate gedrängt, die nicht ausreichten, um ihren Lebensunterhalt zu gewährleisten. Die Steuern wurden mit der Androhung von staatlicher Gewalt durchgesetzt. Das zwang die Männer, weit weg von den zugewiesenen Wohnorten ihrer Familien zu ziehen, damit sie Teil der Arbeitskräfte werden konnten. Das war von Vorteil für die Buren-Bauern und -Landbesitzer. Das lag, in den Worten von Paul Maylam, „an ihren geringen Kosten“.

Familien wurden immer als eine Zone von Widerstand gesehen. Um die Familie zu zerstören, versuchte der südafrikanische Staat, all jene Zonen zu vernichten, die menschliche Wesen miteinander verbinden, sodass er der vollständige Leviathan werden konnte. Allerdings ist das kein Phänomen, dass nur auf Südafrika beschränkt ist. Wie die südafrikanische Union ist jeder Nationalstaat dem französischen Vorbild nachempfunden. Es ist also ein Problem in allen Teil der Welt.

Auch Großbritannien verfolgte diese Entwicklungsrichtung. 1926 in England merkte Wyndham Lewis (britischer Schriftsteller und Maler) an: „Um die Frage der Familie kreisen alle anderen Fragen der Politik und des sozialen Lebens. Ihre Auflösung ist heute die zentrale Tatsache unseres Lebens – von ihrer zentralen Auflösung – sowohl im Handeln als auch in unseren Köpfen sowie den daraus folgenden Neuanpassungen unserer Psychologie – strahlen alle anderen revolutionären Phasen unserer Gesellschaft aus. Die Beziehungen der Männer zu Frauen, des Kindes zu den Eltern, der Freundschaft und der Staatsbürgerschaft zu den neuen Idealen des Staates, werden alle durch sie gesteuert.“

Der zeitgenössische Gelehrte Schaikh Dr. Abdalqadir As-Sufi merkte hierzu an: „Die natürliche Ordnung zersplittert hinter einer Reihe modernistischer soziologischer Begriffe. ‘Die alleinerziehende Familie’, ‘gleichgeschlechtliche Eltern’ oder ‘in staatliche Obhut genommen’ – all diese Begriffe kündigen zusammengenommen das Ende eines Zeitalters an. Immer wieder muss betont werden, dass der kategorische Imperativ der neuen Gesellschaft trotz der massiven Beteuerungen von Medien und der akademischen Dialektik nicht Teil eines evolutionären Vorwärtsmarsches der Menschheit auf die weiten, sonnenbeschienenen Hochebenen der demokratischen Rhetorik ist, sondern Zerrüttung, Trennung und Ende.“

Nach Erkenntnissen einer Studie, die 2019 durch Katherine Hall von der Universität Kapstadt durchgeführt wurde, „leben viele Kinder in Südafrika nicht durchgehend im gleichen Haushalt ihrer biologischen Eltern. Dies ist ein altbekanntes Merkmal der Kindheit in Südafrika. Internationale Studien haben gezeigt, dass das Land in dem Maße einzigartig ist, in dem die Eltern aus dem täglichen Leben der Kinder abwesend sind.“

Diese bemerkenswerte Studie hält auch fest, dass „elterliche Abwesenheit von vielen Faktoren abhängt“. Dazu gehören: „Historische Bevölkerungskontrolle, Arbeitsmigration, Armut, fehlende Chancen bei Wohnraum und Bildung, geringe Raten von Heirat und Paarbildung sowie Regelungen zur Kinderbetreuung.“

In seiner Einführung zu „König Ödipus“ schreibt der US-Philologe Moses Hades: „Wäre Ödipus nicht sowohl wohlmeinend als auch von seiner eigenen Rechtschaffenheit überzeugt, wie zu Beginn des Stücks festgestellt wird, wäre die Geschichte mit der Enthüllung von Teiresias zusammen gebrochen… Die Entdeckung wird stufenweise aufgebaut. Erst nachdem Ödipus befürchtet, dass er Laius getötet habe, kommt er zu der Befürchtung, dass er seinen Vater Laius getötet hat… Nach menschlichem Ermessen hat er (Ödipus) sich gut als Mann verhalten. Wenn ein Mann, der sich bewundernswert als Mann verhält, dennoch von Kräften, die außerhalb seiner Kontrolle und seines Verständnisses liegen, zu Fall gebracht wird, haben wir eine Tragödie. Ödipus ist ein perfektes Beispiel für den tragischen Helden.“

1992 schrieb Ian Dallas seine eigene Wiedergabe von Sophokles’ Tragödie namens „Ödipus und Dionysos“. In dem Stück hat Ödipus gerade herausgefunden, dass das Orakel ihn als Opfer erwählte, damit der Staat überleben kann.

Ödipus antwortet darauf:

„Die Falle ist zugesprungen. Ödipus wurde ausgewählt, um es auf sich selbst zu nehmen – Katastrophe!
Ich werde nicht traumwandeln. Ich will es wissen. Ich werde diesen Schrecken ans Tageslicht zerren.
Bis alle sehen können – und verstehen.“

Voller Selbstvertrauen sagt ihm seine Ehefrau:

„Wende Dich nicht ab. Du kannst Dich nicht vor mir verstecken, Ehemann.
Wie kannst du es Dir selbst sagen und mir nicht?…
Wir werden die Knoten lösen.

Sie einen nach dem anderen zählen, um das Muster dieses Teppichs zu lesen.“

Mit dieser Zusammenarbeit gelingt es Ödipus, die Knoten zu lösen und der Falle zu entkommen. Am Ende „streckt Ödipus seine Hand nach Astymedusa aus. Zusammen gehen sie zurück in den Palast, sich einander lächelnd anblickend“.

In Karthago verkündeten die Priester, dass der Staatsgott Baal die Opferung von Säuglingen verlange, damit der Staat fortbestehen könne. In ähnlicher Weise verlangte der Nationalstaat Südafrika von den Afrikanern Arbeit in den Goldminen unter entsetzlichen Bedingungen, an denen im Jahr 1903 5 Tausend Männer aufgrund von Lungenentzündungen starben. Millionen der Bergleute, die überlebten, kehrten in die Reservate zurück. Sie wurden dort zurückgelassen, um an den Lungenkrankheiten zu sterben, die sie durch ihre Arbeit bekamen.

Jedoch sagte (der schwarze US-Schriftsteller) James Baldwin: „Seine Vergangenheit – seine Geschichte – zu akzeptieren, ist nicht dasselbe, wie in ihr zu ertrinken. Es ist das Lernen, wie man mit ihr umgeht.“ Ich bin vor kurzem in die Hochzeitsriten mit der Absicht eingetreten, mit einer Gefährtin zusammen zu sein, die mit mir zusammenarbeitet, um diesen Kräften zu begegnen. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass es ein revolutionärer Akt ist, seine Hochzeit zu vollziehen.