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Globale Muslime und das Klima

Ausgabe 294

Seit Jahren schon machen sich Muslime – in der sogenannten Dritten Welt aber auch in Ländern des „Westens“ – Gedanken um einen nachhaltigen Umgang mit den begrenzten Ressourcen der Schöpfung sowie den Schäden, die unsere Lebensweise bei ihr anrichtet. Längst hat sich eine Bewegung herausgebildet, in der Wissen um die Ökologie eine Einheit mit entsprechenden Aspekten der islamischen Lehre zusammenkommen. Im Folgenden dokumentieren wir ein Grundlagendokument des Fiqh-Rates für Nordamerika (FCNA)* über den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen.

(iz). Wir akzeptieren und bestätigen die fachkundigen Arbeiten zu Fragen von Islam und Umwelt, die sich in bisherigen ­Aussagen, Erklärungen und religiösen Urtei­len zu solchen Themen finden. Die „Isla­mische Erklärung zum globalen ­Kli­mawandel 2015“ wurde von einer Gruppe muslimischer Gelehrter, Räten und Organisationen aus aller Welt vorangetrieben. Wir erkennen die Entscheidung und öffentliche Erklärung der Islamic Society of North America (ISNA) an, ihr Kapital aus der konventionellen Energieindustrie abzuziehen. Wir erkennen an, dass es eine drängende existenzielle Gefahr für die Gesundheit, das Wohlergehen und den Fortbestand des Lebens auf der Welt gibt.

Nach dem Qur’an, der höchsten Quelle der islamischen Lehre, ernannte Allah den Menschen als Seinen Sachwalter auf der Erde. Als solcher hat er eine persönliche und eine gemeinschaftliche Pflicht, Allahs Geschenk der natür­lichen Ressourcen zum eigenen Nutzen zu kultivieren. Das benötigt die Aufrechterhaltung des verletzlichen ökologischen Gleichgewichts, der biologischen Vielfalt und Nachhaltigkeit für alle ­Lebensformen der Welt. Im Qur’an wird dieses Gleichgewicht als Al-Mizan ­bezeichnet. Es gilt nicht nur für die Erde, sondern für die kosmische Ordnung. Ebenso wird gewarnt vor einer Störung dieses Gleichgewichts sowie vor verdorbenem Handeln auf Erden, zu Land und Wissen, da es alle Menschen betrifft. Als Menschheit sollten wir Sorge für die Erde tragen, da Allah sie geschaffen hat, damit wir uns um sie kümmern.

Die Zeit für effektive Maßnahmen auf persönlicher und sozialer Ebene in ­Sachen Umweltprobleme ist äußerst begrenzt. Deshalb rufen wir alle Menschen auf: Einzelpersonen, Familien, Gemeinschaften, Gelehrte, religiöse und andere Institutionen und Regierungen müssen dringend in weiser, einheitlicher und ­koordinierter Weise auf die Herausforde­rung reagieren, unser individuelles Verhalten und unsere Lebensgewohnheiten dahingehend  zu ändern, die göttlichen Gaben zu bewahren und nicht zu verschwenden. Viele muslimische Gemeinschaften können sich von ihrem ­religiösen oder sonstigen Erbe inspirieren lassen, das sich auf Erhaltung und Nachhaltigkeit bezieht.

Muslime beispielsweise können Bezug nehmen auf zwei grundlegende Quellen: den Qur’an und die Sunna des Propheten Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben. Seine Lebensweise und sein Vorbild manifestieren, dass Allah ihn als Barmherzigkeit für die Welten bezeichnet hat. Bemerkenswert ist, dass im Qur’an die Mehrzahl von „Welt“ benutzt wird. Das impliziert, dass Barmherzigkeit Menschen, Tiere, Pflanzen und Ressourcen betrifft.

Auf grundlegender Ebene bedeutet es, dass wir unseren Energieverbrauch auf drei Hauptgebieten verringern müssen, wenn es große Wirkungen haben soll: 1.) drastische Reduzierung von Emis­sionen durch unsere Wohnungen und Häuser, 2.) Annahme einer, mehr auf Pflanzen basierenden Ernährung sowie Vermeidung von Lebensmittelverschwendung, sowie 3.) die Minimierung von Auto- und Flugverkehr. Während diese Änderungen nötig sind, dürften sie nicht ausreichen, um die Effekte von globaler Erwärmung und Klimawandel aufzuhalten beziehungsweise umzukehren.

Wir bekräftigen, dass es der überwältigende Konsens der Klimaforscher ist, dass diese klare und gegenwärtige Gefahr durch die weitere Verbrennung fossiler Brennstoffe verursacht wird. Ein Überschreiten der 1,5-Grad-Grenze gefährdet die gesamte menschliche Zivilisation und das planetare Leben. Wissenschaftler prognostizieren bereits, dass eine von vier Arten, 1.000.000 Arten, Ende dieses Jahrhunderts vom Aussterben bedroht sein werden. Nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen werden durch die Verbrennung der nachgewiesenen Reserven, die derzeit von der fossilen Brennstoffindustrie identifiziert werden, mindestens 3.000 Gigatonnen Treibhaus­gasemissionen freigesetzt, was dem Sechsfachen dieses Schwellenwerts entspricht. Klares, konsequentes, koordiniertes und effektives Handeln ist unerlässlich. Wir fordern daher alle ­Mitmenschen auf, dringend so viel wie möglich in erneuerbare und saubere Energiequellen und -lösungen (die grüne Wirtschaft) zu investieren.

Von einer islamischen Perspektive ­betrachtet sind die Ziele (arab. maqasid) der Schari’a: Schutz des Glaubens, der Religionsfreiheit und Anbetung für alle, der Unversehrtheit des Lebens, Vernunft, Nachkommen und Privatbesitz. Ein Scheitern im Umgang mit ökologischen Gefahren untergräbt diese Schlüsselziele – darunter das Leben selbst. Der Prophet Muhammad, Allahs Frieden und Segen auf ihm, lehrte uns: „Es darf weder ­Schaden noch die Erwiderung von Schaden geben – uns und andere betreffend.“ Das gilt für Menschen und Nicht-Menschen, für Gegenwart und Zukunft. Jene prophetische Aussage ist die Grundlage eines der vielen allgemeinen Prinzipien wie „Schaden muss entfernt werden“. Diese Prinzipien und Weisheiten leiten die Menschheit als Ganze recht.

Wir bekräftigen, dass Mittel vorhanden sind, um die gesamten Energiesysteme in den USA und in Kanada zu vollständig erneuerbaren Energiesystemen umzuwandeln. Funktionierende Modelle existieren bereits. Wir fordern alle auf, einen wirksamen Beitrag zur Entwicklung, Einrichtung und Unterstützung dieser Systeme zu leisten. Wir erkennen die Notwendigkeit an, durch die dringende Entwicklung von Baumpflanzungsprojekten seitens Bürgerinitiativen in den USA, Kanada und darüber hinaus einen Beitrag zur Wiedereinlagerung von Kohlenstoff zu leisten. Wir ermutigen Muslime, sich daran so viel wie möglich mit anderen Personen des Glaubens und Bürgerorganisationen zu beteiligen.

Wir fordern in Kanada, den USA und anderswo die Umstellung auf elektrische Verkehrssysteme, die auf sauberen und erneuerbaren Energien beruhen. Wir fordern muslimische und andere Investoren auf, unverzüglich entsprechende Investitionsmechanismen und Portfolios zu entwickeln, die Investitionen in ­Unternehmen für erneuerbare und ­saubere Energien beinhalten. Wir stehen bereit, um bei diesem Prozess zu unterstützen und zu beraten. Am Ende weiß Allah es am besten.

Das Papier wurde am 30. September 2019 während der diesjährigenJahreskonferenz der Islamic Society of North America in Texas beschlossen.

Der FCNA ist ein Gremium anerkannter und qualifizierter islamischer Gelehrter aus den USA und Kanada, „die den Qur’an und die authentische Sunna als die Hauptquelle des Islam betrachten“. Darüber hinaus sieht er sich dem juristischen Erbe der Prophetengefährten und den Rechtsurteilen und -methodologien des anerkannten klassischen und normativen Wissens geleitet. Seine Aufgabe ist die Bereitstellung von notwendigem Wissen für Muslime in Nordamerika für alle Fragen bezüglich der Schari’a.