Hamburg schließt Staatsvertrag mit islamischen Religionsgemeinschaften. Ein Überblick von Norbert Müller, Hamburg

Hamburg (iz). Nun ist es offiziell: Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) verkündete auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Daniel Abdin (SCHURA), Zekeriya Altug (DITIB) und Murat Pirildar (VIKZ) das Ergebnis fünfjähriger Verhandlungen. Als erstes Bundesland wird die Hansestadt mit den drei islamischen Religionsgemeinschaften einen Vertrag schließen, welcher gegenseitige Rechte und Pflichten begründet und erstmals islamischen Verbänden den Status einer Religionsgemeinschaft verleiht. Der Vertrag muss nur noch von der Bürgerschaft beschlossen werden. Da die SPD hier über eine absolute Mehrheit verfügt und auch GRÜNE und LINKE ihre Zustimmung signalisiert haben, dürfte dem Inkrafttreten nichts mehr im Wege stehen. Was der Bürgermeister als „Selbstverständlichkeit“ sah, bewertete Daniel Abdin von SCHURA als Riesenschritt zur institutionellen Anerkennung des Islam.

Feiertage und Religionsunterricht
Tatsächlich ist vieles, was anderswo noch Aufmerksamkeit erregen würde, in Hamburg schon seit vielen Jahren selbstverständlich im Umgang mit dem Islam: Etwa die Möglichkeit zur sarglosen Bestattung von Muslimen auf islamischen Gräberfeldern mehrerer städtischer Friedhöfe und muslimische Seelsorge in Gefängnissen. Selbstverständlich ist auch das im Vertrag erklärte Bekenntnis der Muslime zur Werteordnung des Grundgesetzes, welches sich etwa schon im SCHURA-Grundsatzpapier aus 2004 findet. Hier wurde nur noch einmal in eine rechtliche Form gegossen, was real schon praktiziert wird.

Neu ist die Anerkennung des Ramadanfestes, des Opferfestes und des schiitischen Aschura als islamische Feiertage nach dem Hamburger Feiertagsgesetz und damit deren Gleichstellung mit kirchlichen Feiertagen wie Fronleichnam oder dem Buß- und Bettag. Vor allem ist neu die Erteilung des Religionsunterrichts in Hamburg auch durch die islamischen Religionsgemeinschaften auf Augenhöhe mit der evangelischen Kirche auch durch muslimische Religionslehrer.

In der Hansestadt gibt es die Besonderheit des „Hamburger Modell“: Der Unterricht ist ein bekenntnisorientierter nach Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz, wird aber als „Religionsunterricht für alle“ in einer multireligiösen Form erteilt. Jedoch erfolgt dies bislang allein in „evangelischer Verantwortung“ mit evangelischen Lehrern. Muslime waren wie Juden oder Buddhisten nur informell beteiligt. In den Verhandlungen wurde deutlich, dass SCHURA, DITIB und VIKZ am „Hamburger Modell“ festhalten wollten, weil dies der religiös pluralen Schulrealität am besten gerecht wird, aber die gleichberechtigte Verantwortung forderten und muslimische Religionslehrer. Eben dies wurde, auch gegen Widerstände von Teilen der Kirche, vollumfänglich durchgesetzt. In einer fünfjährigen Phase sollen nun Schulpraxis, Rahmenpläne sowie Lehrerbildung und -zulassung für den neuen Unterricht von einer gemischten Kommission erarbeitet werden, an der neben der Stadt und den islamischen Religionsgemeinschaften die Evangelisch-Lutherische Kirche und die Alevitische Gemeinde (mit den Aleviten wird Hamburg einen ähnlich gestalteten Vertrag abschließen) beteiligt sind.

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Institutionelle Anerkennung
Das wichtigste Ergebnis aus islamischer Sicht ist jedoch, dass erstmals in einem Bundesland die Anerkennung muslimischer Religionsgemeinschaften erfolgte. Immer wieder wird den Muslimen vorgehalten, es gebe nur „Verbände“, deren Vertretungsberechtigung zweifelhaft sei und die rechtlich kein „Ansprechpartner“ für den Staat etwa bezüglich des Religionsunterrichtes sein könnten. Hier haben SCHURA, DITIB und VIKZ bewiesen, dass sie die rechtlichen Voraussetzungen einer Religionsgemeinschaft erfüllen und damit auf dieser Ebene eine institutionelle Gleichstellung des Islam erreichen können. Tatsächlich sind auch 90 % aller in Hamburg existierenden Moscheen Mitglied in einer der drei Religionsgemeinschaften.

Mit Religionsgemeinschaften als Vertragspartnern qualifiziert sich die zu schließende Vereinbarung rechtlich auch als „Staatsvertrag“, da er alle zentralen Angelegenheiten zwischen Staat und Religionsgemeinschaften regelt. Einer Körperschaft des öffentlichen Rechts bedarf es hierzu nicht, die aber im Vertrag als Option zu einem späteren Zeitpunkt ausdrücklich genannt ist.

Die Anerkennung als Religionsgemeinschaft war mit die kontroverseste im gesamten Verhandlungsprozess und es bedurfte hierzu eines rechtswissenschaftlichen Gutachtens des Erlanger Kirchenrechtlers Prof. Heinrich de Wall und eines religionswissenschaftlichen durch Prof. Gritt Klinkhammer (Uni Bremen). Gerade das Gutachten von Prof. Klinkhammer untersuchte dabei sehr genau durch Besuche und Interviews mit Gemeindevertretern, inwieweit in den Moscheegemeinden eine umfassende Religionspflege stattfindet und inwieweit der jeweilige Verband einen identitätsbildenden Charakter für die einzelnen Gemeinden besitzt.

Dabei erwiesen sich auch Unterschied zwischen den Verbänden: DITIB und VIKZ besitzen eine durch die Bundesverbände vorgegebene Struktur, bilden aber nur einen Teil des türkischen Islam ab und stellen in Hamburg mit acht (DITIB) und sechs (VIKZ) nur eine Minderheit der Moscheen. 30 Moscheen sind dagegen bei SCHURA und hier finden sich sowohl solche, die wie IGMG-Gemeinden und anderen auch Bundesverbänden angehören, als auch viele „freie“ Gemeinden. Es ist gesamte Spektrum des Islam unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Rechtsschulen einschließlich Sunniten wie Schiiten, sodass hier SCHURA durchaus entscheidend dafür war, dass der Senat überzeugt war, es tatsächlich mit einer Repräsentation des Islam in Hamburg zu tun zu haben.

SCHURA wurde 1999 als islamischer Landesverband gegründet – nach der IRH in Hessen der erste dieser Art – und hat schon frühzeitig und zielorientiert daraufhin gearbeitet, die Strukturen einer Religionsgemeinschaft aufzubauen. Dazu gehört es nicht nur, möglichst alle Moscheen vor Ort auch einzubinden und die kleinen und schwachen organisatorisch zu stärken, sondern eine identitätsbildende Gemeinschaft auch zu leben. Hierfür wird vieles getan von einem regelmäßigen Treffen der Imame über einen gemeinsamen Ramadankalender bis zu gemeinsamen zu Hidschra oder Prophetengeburtstag. Dazu gehört aber auch die Bereitschaft von Verbänden wie der IGMG, die eigenen Gemeinden in SCHURA organisatorisch einzubringen, SCHURA als die Repräsentation der Gemeinden in Hamburg zu sehen und folglich auf eigenprofilierendes Auftreten weitgehend zu verzichten.

Signalwirkung auch für andere Bundesländer?
Insgesamt hat das Hamburger Vertragswerk eine Verhandlungszeit von über fünf Jahren benötigt. Die Initialzündung war 2006 auf dem Iftar in der Centrum-Moschee erfolgt, als der damalige Bürgermeister Ole von Beust (CDU) dort zu Gast war und auf die dort angesichts der von Hamburg gerade geschlossenen Kirchenstaatsverträge erhobenen Forderung nach einem Staatsvertrag für die Muslime spontan erklärte, sich solches vorstellen zu können. Ab 2007 wurde verhandelt – zuerst mit einer CDU-Alleinregierung, dann mit einem schwarz-grünen Senat (wobei nach dem Rücktritt von Beust auch noch der Bürgermeister wechselte), um schließlich unter einem SPD-Senat den Abschluss zu finden. Wie Zekeriya Altug von der DITIB es bemerkte, hätten die islamischen Verhandlungskommissionen während dieser Zeit mehr personelle Kontinuität besessen als die Senate.

Letztlich haben sich Geduld und Verhandlungsgeschick ausgezahlt, weil mit dem Staatsvertrag etwas vorliegt, was vor allem eine hohe Symbolkraft ausstrahlt in der mit Erbitterung geführten Debatte, ob und inwieweit der Islam zu Deutschland gehört und was ihm dann an Gleichstellung zuzubilligen ist. Nicht zuletzt deshalb wird es davon abhängen, dass dieser Staatsvertrag nicht als Hamburger Unikum endet, sondern Nachahmer in anderen Bundesländern findet. Am besten sieht es hierfür in Bremen aus: Auch hier verhandelt der Senat mit SCHURA Bremen, DITIB und VIKZ in einem ähnlichen Rahmen und mit ähnlichen Inhalten wie in Hamburg. Es ist zu hoffen, dass auch hier jetzt der Mut zum Abschluss gefunden wird.

Weitere Verhandlungsansätze gibt es bisher nicht. In Niedersachsen hat die Landesregierung mit SCHURA und DITIB die Einrichtung eines Religionsunterrichtes beschlossen, ist darüber hinaus aber nicht zu einer umfassenden Vereinbarung gekommen. Prinzipielle Möglichkeiten bestehen auch in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg, da den dortigen rot-grünen Landesregierungen die entsprechenden islamischen Religionsgemeinschaften gegenüber stehen (DITIB und VIKZ sowie SCHURA Schleswig-Holstein bzw. Islamische Glaubensgemeinschaft Baden-Württemberg). In den Schwerpunkten islamischen Lebens in Deutschland – Nordrhein-Westfalen und Berlin – haben es die Muslime dagegen bis heute versäumt, die notwendigen Strukturen aufzubauen, um den Ball jetzt aufnehmen zu können.