Historiker: Religiöse Situation ändert sich dramatisch

(KNA). Für den Münsteraner Historiker Thomas Großbölting ändert sich die religiöse Situation in Deutschland dramatisch. Das religiöse Feld sei «von Erosion geprägt», und es wachse der Anteil der «Religionsmüden», sagte Großbölting am Freitag. Er sprach beim «Karlsruher Verfassungsdialog» über «Religion in der säkularen Gesellschaft zwischen Konsens und Kulturkampf». Veranstalter der Reihe ist die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung.

Das Staat-Kirche-Verhältnis habe sich von einer Win-Win-Situation zur Zeit der Gründung der Bundesrepublik zu einem heute für beide Seiten problematischen Verhältnis entwickelt, so Großbölting weiter. Der Staat ist nach seiner Ansicht zu verhaftet in den rechtlichen Strukturen und reagiert nicht angemessen auf den zunehmenden religiösen Pluralismus etwa gegenüber Muslimen. Auch die Kirchen verharrten in ihren Strukturen. So habe die Deutsche Bischofskonferenz den Entweltlichungs-Appell von Papst Benedikt XVI bei dessen Freiburger Rede «rasend schnell wegdiskutiert». Großbölting empfahl den Kirchen, über ihren Status als «starke und staatsnahe Institutionen» nachzudenken. Von dieser Rolle profitierten sie nicht.

Der Erlanger Staatskirchenrechtler Heinrich de Wall verteidigte das Kirchensteuersystem. Es sei im Kern nichts anderes als eine «besondere Form der Erhebung von Mitgliedsbeiträgen». Das System sichere mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Ertrag. Aus Sicht de Walls wäre es zugleich wünschenswert, den Ablösungsauftrag für die sogenannten Staatsleistungen an die Kirchen zu erfüllen. Im Wesentlichen als Folge der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts und der damit verbundenen Enteignung zahlen die Länder den Kirchen jährlich als Ausgleich knapp eine halbe Milliarde Euro. Für diese Regelung besteht rechtlich ein Auftrag zur Ablösung. Da diese vermutlich mit einer erheblichen Einmalzahlung verbunden wäre, scheuen die Länder eine Umsetzung. Insgesamt, so de Wall, gebe es in Deutschland allerdings «kein Trennungsdefizit» zwischen Staat und Kirche.