Paris/Berlin (dpa/iz). Zehn Monate nach „Charlie Hebdo“ ist Paris erneut Ziel einer Terrorattacke. An mehreren Orten gleichzeitig fallen Schüsse, sind Explosionen zuhören. In einem Konzertsaal richten Unbekannte ein Massaker an. Die Zahl der Toten und Verletzten ist riesig.
Keine drei Blocks von „Charlie Hebdo“ entfernt bricht sich der Terror erneut Bahn in Paris. Im Musikclub „Bataclan“ im 10. Arrondissement der französischen Hauptstadt schießen Terroristen nach Berichten von Augenzeugen wild um sich, nehmen Geiseln.
Nach Polizeiangaben gab es bei dem Angriff, der gegen 21.30 Uhr begann, etwa hundert Tote. Auch drei Täter seien getötet worden, als die Polizei die Geiselnahme beendete. Das Konzertgebäude am Boulevard Voltaire liegt nur wenige Straßenzüge von der Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ entfernt, das im Januar Ziel eines Anschlags war. Doch das ist nicht alles: An mindestens sieben Orten der Stadt griffen die Terroristen an.
In weiten Teilen der Stadt sind Straßen von der Polizei abgesperrt. Menschen müssen Regionalbahnen und Metro räumen, auch Taxis sind nicht mehr zu bekommen. Rettungswagen sind überall unterwegs, die Krankenhäuser haben einen Notplan eingesetzt. Überall sind Sirenen von Polizei-, Rettungs- und Feuerwehrwagen zu hören. Sonst herrscht teils fast schon beängstigende Stille. Über dem Gebiet des Stadion und der Stadt kreisen Hubschrauber. Fassungslos weinen Menschen.
„Was sich gestern ereignet hat, ist ein Kriegsakt, und dem gegenüber, muss das Land die angemessenen Entscheidungen treffen“, sagte Staatspräsident Hollande in Paris. Die Tat sei „von außerhalb“ geplant worden. Ermittlungen sollten nun die Beteiligung von Mittätern in Frankreich klären. „Alle Maßnahmen sind getroffen worden, um unsere Mitbürger und unser Staatsgebiet zu schützen.“ Auch viele andere Staats- und Regierungschefs in aller Welt richteten sich auf einen massiven und langwierigen Kampf gegen den Terror ein. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte dem Nachbarland „jedwede Unterstützung“ zu. Sie beriet am frühen Nachmittag bei einem Krisentreffen über Konsequenzen.
Die Anschläge stellen nach Expertenansicht eine neue Dimension des Terrorismus dar. Es handele sich um eine koordinierte Aktion und eine synchrone Anschlagsserie einer ganzen Zelle, sagte der Terrorexperte Rolf Tophoven am Samstag der Deutschen Presse-Agentur. Das operative Vorgehen der Terroristen zeige zunehmend „kriegsmäßige Planungen“, bei dem die Täter an mehreren Orten gleichzeitig zuschlagen.
Die Anschläge seien nach den ersten Erkenntnissen wohl eindeutig von der Terrormiliz IS inspiriert. „Das passt klar in das IS-Modell“, sagte Tophoven. „Frankreich ist aktiv in der Koalition gegen den Islamischen Staat.“ Es habe schon mehrere schwere Attacken auf das Land gegeben. „Frankreich ist permanent im Visier von Terroristen.“ Aber auch Deutschland stehe nach wie vor im Fadenkreuz des Terrorismus. „Das kann jederzeit auch bei uns passieren.“
IS droht mit weiteren Anschlägen
Die Terrormiliz Islamischer Staat hat Frankreich mit weiteren Anschlägen gedroht. „Dieser Überfall ist nur der erste Tropfen Regen und eine Warnung“, hieß es in einer am Samstag im Internet kursierenden Botschaft im Namen des IS.
„Frankreich und jene, die seinem Pfad folgen, wissen, dass sie ganz oben auf der Liste der Ziele des Islamischen Staates stehen und dass der Geruch des Todes ihre Nasen nicht verlassen wird, solange sie ihren Kreuzzug fortführen, es wagen, unseren Propheten zu beleidigen […], stolz darauf sind, gegen den Islam Krieg zu führen und die Muslime im Land des Kalifats mit ihren Flugzeugen anzugreifen“, heißt es darin.
Eine „treue Gruppe der Armee des Kalifats“ habe die „Hauptstadt der Unzucht und Laster“ angegriffen. Dabei seien Sprengstoffgürtel und Maschinenpistolen eingesetzt worden. Bei der Serie von Attentaten waren am späten Freitagabend in Paris mindestens 128 Menschen getötet und zahlreiche verletzt worden.
G20-Staaten wollen Front gegen Terror machen
Nach den blutigen Anschlägen in Paris wollen die führenden Industrie- und Schwellenländer (G20) auf ihrem Gipfel in der Türkei entschlossen auf den Terrorismus reagieren. Führer der G20-Staaten verurteilten die „barbarischen Terrorakte“. Der türkische Staatspräsident und G20-Gastgeber Recep Tayyip Erdogan forderte einen internationalen Konsens im Kampf gegen Terrorismus.
Der Gipfel der Staats- und Regierungschefs findet am Sonntag und Montag unter besonders strengen Sicherheitsvorkehrungen im Küstenort Belek nahe Antalya statt. 12 000 Sicherheitskräfte sind zum Schutz der 13 000 Teilnehmer im Einsatz. Kanzlerin Angela Merkel wird am Sonntagmittag in Belek erwartet.
Gastgeber Erdogan sagte, die Türkei kenne den Terror aus eigener leidvoller Erfahrung. Terrorismus müsse universell verurteilt werden. Die Logik „mein Terrorist ist gut, Deiner ist schlecht“ dürfe nicht mehr gelten. „Terrorismus hat keine Religion, keine Nation, keine Rasse, kein Vaterland.“ Erdogan sprach am Telefon mit Frankreichs Präsidenten François Hollande, der wegen der Anschlagsserie in Paris seine Teilnahme am Gipfel abgesagt hat.
Weltweite Reaktionen
US-Präsident Obama verurteilte die Anschläge als „abscheulichen Versuch“, die Welt zu terrorisieren. „Wir werden tun, was immer auch getan werden muss, um diese Terroristen zur Verantwortung zu ziehen.“ Er bekräftigte sein Angebot, Frankreichs Behörden behilflich zu sein. Der Iran verurteilte die Angriffe scharf und erklärte seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terror. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping sagte zu, sein Land wolle eng mit der internationalen Gemeinschaft gegen den Terror zusammenarbeiten.
Russland hat seine Forderung nach einer „Koalition der Gleichgesinnten“ gegen den internationalen Terror bekräftigt. „Politische Solidarität reicht nicht. Russland und der Westen müssen eine breite Militärkoordination bilden, um die Quellen des Extremismus zu liquidieren“, sagte der einflussreiche Außenpolitiker Alexej Puschkow am Samstag in Moskau.
Es gehe insbesondere um eine gemeinsame Strategie, den Islamischen Staat (IS) in seinem „Krieg gegen die Zivilisation“ in Syrien und im Irak zu stoppen, sagte der Abgeordnete der Agentur Interfax zufolge. Die Terrormiliz IS hat weite Teile Syriens und des Iraks erobert und dort ein Kalifat ausgerufen und versucht andere Staaten mit Anschlägen zu destabilisieren.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte am Samstagmorgen in Berlin in Richtung der Opfer und ihrer Angehörigen: „Wir, die deutschen Freunde, wir fühlen uns Ihnen so nah.“ Dieser Angriff auf die Freiheit „meint uns alle“. Daher müssten nun auch alle gemeinsam den Kampf gegen den Terror führen. „Wir wissen, dass unser freies Leben stärker ist als jeder Terror.“ Das Auswärtige Amt hatte am Vormittag noch keine Gewissheit, ob unter den Opfern der Terroranschläge auch Deutsche sind.
Bundespräsident Joachim Gauck sprach Frankreich seine Anteilnahme aus und appellierte: „Aus unserem Zorn über die Mörder müssen Entschlossenheit und Verteidigungsbereitschaft werden. Auch dabei stehen wir an der Seite der Franzosen.“ Er betonte: „Aber die Terroristen werden nicht das letzte Wort haben, diese Nacht wird nicht das letzte Wort haben.“
Die Polizei in den Ländern wurde nach Angaben des Vorsitzenden der Innenministerkonferenz, Roger Lewentz (SPD), in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Dies gelte für den Schutz französischer Behörden und die Grenze zu Frankreich. Die Bundespolizei verstärkte ihre Einsatzkräfte entlang der Grenze. „Die Beamten konzentrieren sich insbesondere auf die Überwachung der Zugverbindungen und des Flugverkehrs“, sagte ein Sprecher in Potsdam. Seit Samstagmittag gab es „selektive Kontrollen“ an den Grenzübergängen zu Frankreich.
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