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Vereint im identitären Missverständnis

Ausgabe 363

identitären
Eine Frau (links) im spanischen Sevilla nimmt vor Zeugen den Islam an. (Foto: Fundación Mezquita de Sevilla)

Kommentar: Auch Muslime können in die Falle von identitären Vorstellungen und Missverständnisse treten. 

(iz). 2017 veröffentlichte Pankaj Mishra sein durchschlagendes „Das Zeitalter des Zorns“. Darin analysiert er die weltweite Zunahme von Reaktionärismus und rechter Bewegungen als Antwort auf Globalisierungsfolgen.

Der streitbare Inder betont, dass diese politischen Ressentiments als Reaktion auf den gebrochenen Anspruch von Gleichheit und Demokratie in der modernen Gesellschaft zu verstehen sind.

Extremismus bzw. der Hang zu autoritären Lösungen inmitten von krisengezeichneten Ländern ist weder Alleinstellungsmerkmal des Westens noch dieser Zeit. Wie er zeigt, gibt es auf allen Kontinenten. Und wie die Geschichte lehrt, seit Beginn des letzten Jahrhunderts.

Eines dieser Affekt-Phänomene ist das Verlangen nach Identität – einem „mit-sich-selbst-eins-sein“. Ohne jede Differenz, Ambiguität oder störende Aspekte, die das Bild der eigenen In-Group trüben könnten.

Foto: IZ Medien

Betroffen sind davon mitnichten nur dominante Elemente einer Gesellschaft bzw. Kultur. Marginalisierte Gruppen und Minderheiten können solche Mechanismen verinnerlichen und diesen ihre jeweilige Form verleihen.

Bei MuslimenInnen in hiesigen Breiten findet das u.a. Ausdruck in der Übernahme identitärer Vorstellungen, die man sonst eher von Rändern des politischen Spektrums kennt. Sie sind gleichzeitig Spiegelungen der Dominanzgesellschaft. Ein Beispiel sind Statements wie „die Deutschen“ seien „den Muslimen“ gegenüber feindlich eingestellt.

Es gibt keinen Grund, einem solchen, dumpfen Ressentiment nicht zu widersprechen. Nicht nur ist es eine Reflexion der – ebenso muffigen – rechtsidentitären Vorstellung, Muslime könnten nie Teil Europas/Deutschlands sein.

Es widersprecht bis in den Kern hinein jeder fundamentalen Nobilität, die der Prophet Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, uns vorlebte und hinterlassen hat.

Alleine schon sachlich sind solche – oder verwandte Ansichten – falsch. Genauso wie bei den stumpfen Rechten werden hier Kategorien von Staatsbürgerschaft/Ethnizität mit Din vermischt. Nach welcher islamischen Lehre gäbe es denn einen Gegensatz von „deutsch“ und „muslimisch“?

Das ist eine gute Gelegenheit, darauf zu verweisen, dass die Ethnisierung der Zugehörigkeit zu Allahs Din krasser Modernismus ist. Und in sich die Mutation eines traditionellen Islamverständnisses unter MuslimInnen repräsentiert.

interkulturell

Foto: Ahmed Eckhard Krausen

Wenn als Antwort auf real existierende Diskriminierung der innermuslimische „Stammtisch“ derart spricht, verallgemeinert er. Er ignoriert die wachsende Anzahl von Muslimen, die Deutsche sind, die Nachkommen aus interkulturellen Familien sowie die vielen Glaubensgeschwister mit hiesiger Staatsbürgerschaft. 

Und nein, das sind keine „Exoten“ mehr. In der Klasse einer meiner Töchter haben drei muslimische Kinder mindestens einen deutschen Großelternteil. Erweitern wir den Kreis der „Deutschen“ auf angeheiratete Verwandte, Nachbarn, Mitstreiter in Vereinen und solidarische Kollegen, kommen Millionen hinzu, den man keine Muslimfeindlichkeit unterstellen kann.

Das wir uns nicht missverstehen: Es geht hier nicht um Schuldzuweisung, sondern um das Verstehen eines Krisenphänomens. Wie könnte die islamische Antwort aussehen? Zum einen gemeinschaftlich Muslimfeindlichkeit aktiv entgegentreten – auch als Entlastung einzelner. Zum anderen die Einladung der Umwelt zum Islam als Fard Kifaya begreifen, wie Schaikh Abdul Hakim Murad (siehe S. 11) schreibt.

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