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„Konfrontativen Religionsausübung“: Generalverdacht im Klassenzimmer

Ausgabe 321

Foto: hydebrink, Shutterstock

(iz). Eines kann man Muslimfeinden nicht vorwerfen: fehlende Kreativität. Mit immer neuen Konzepten und Begriffsschöpfungen bemühen sie sich, den Kreis vermeintlicher „Extremisten“ oder „Islamisten“ auf immer größere Teile der muslimischen Bevölkerung auszuweiten.

Wer beispielsweise auf Muslimfeindlichkeit aufmerksam macht, kann schnell der Unterstützung eines „atmosphärischen Dschihadismus“ verdächtigt werden. Wer sich stets auf demokratischem und gesetzestreuem Weg engagiert, ist womöglich ein „legalistischer Islamist“. Und wer als Muslimin einfach nur Karriere im Öffentlichen Dienst machen will, könnte sich bald dem Vorwurf ausgesetzt sehen, die „Flagge des Politischen Islam“ auf dem Kopf zu tragen.

Vor der Kriminalisierung und Diffamierung einer Bevölkerungsgruppe schreckten Muslimfeinde allerdings bisher noch zurück: Schulkinder. Diese letzte Stigmatisierungslücke könnte nun geschlossen werden. „Konfrontative Religionsausübung“ heißt das Konzept, das den antimuslimischen Generalverdacht ins Klassenzimmer bringt. Gemeint sind damit Kinder und Jugendliche, die andere schikanieren, weil diese beispielsweise Schweinefleisch essen, zum Ramadan nicht fasten oder kein Kopftuch tragen.

Hänseln, Pöbeleien oder Mobbing nannte man ein solches Verhalten noch bis vor Kurzem und nennt vergleichbare Fälle bei nichtmuslimischen Kindern auch noch heute. Die etablierten Konsequenzen reichten vom Eintrag ins Muttiheft über den Gang zum Rektor bis zum Schulverweis.

Da sich mit gewöhnlichen verhaltensauffälligen Heranwachsenden schlecht Politik machen lässt, drängt eine Schar von Rechtsaußen-Politikern, Islamkritikern und Boulevardmedien, die halbstarken Pöbler mit dem neuen Begriff zur islamistischen Bedrohung zu erklären und sie damit für muslimfeindliche Agitatoren aller Art nutzbar zu machen.

Ausgangspunkt der muslimfeindlichen Diskurverschiebung wie so oft: Neukölln. Der Berliner Stadtteil steht spätestens seit seinem berüchtigten Ex-Bürgermeister („Multikulti ist gescheitert“) unter Kontrolle einer kleinen weißen nicht-migrantischen Parallelkultur, die nach immer neuen Wegen sucht, die multikulturelle Mehrheitsgesellschaft des Bezirks zum Problem zu erklären.

Auch der aktuelle Bezirksbürgermeisters Martin Hikel (SPD) ist da keine Ausnahme: mit rechtsstaatlich bedenklichen Schnellverfahren gegen kriminelle Jugendliche, mit völlig überzogenen Polizeirazzien gegen Shisha-Bars und „arabische Clans“ oder eben mit seiner „Anlauf- und Dokumentationsstelle gegen konfrontative Religionsbekundung“.

Seit rund einem Jahr bemüht sich Hikel um die Einrichtung der Stelle, die vermeintliche islamistische Aktivitäten im Klassenzimmer erfassen soll. Unterstützt wird er dabei von der üblichen Clique aus Islamkritikern, Boulevardmedien und Rechtsaußen-Politikern. Unter denen finden sich auffällig viele, die in der Vergangenheit eher durch muslimfeindliches als durch bildungspolitisches Engagement in Erscheinung traten –  wie zum Beispiel die Frankfurter Ethnologin und verlässliche Stichwortgeberin antimuslimischen Ausgrenzungsdebatten aller Art: Susanne Schröter. 

In einer Stellungnahme zur Dokumentationsstelle schreibt sie, das Verhalten muslimischer Schüler und Schülerinnen gehe „weit über persönliche Ambitionen der Jugendlichen hinaus“ und gehöre „zum Programm eines politischen Islam, der darauf abzielt, die Gesellschaft auch in der Diaspora so weit zu verändern, dass sie idealerweise sukzessive fundamentalistisch-islamisch wird.“ „Krude Verschwörungsideologie“ würde man dies zurecht nennen, hätte irgendein muslimischer Neuköllner Jugendlicher so etwas über seine christlichen Klassenkameraden behauptet.

Wen man im Unterstützerkreis des Konzepts „Konfrontative Religionsausübung“ hingegen kaum findet, sind jene, die es wissen müssen: Wissenschaftler, Bildungsexperten, Pädagogen, muslimische Gemeinden, Anti-Extremismusinitiativen. Die haben sich stattdessen anderswo zusammengefunden.

Rund 120 solcher Akteure wanden sich Anfang des Jahres gegen das Konzept „konfrontative Religionsbekundung“ und der dazugehörigen Registerstelle. In einer gemeinsamen Erklärung kritisierten die Organisationen und Einzelpersonen den Begriff als unscharf und ungeeignet und warfen seinen Befürwortern vor, schulische Konflikte politisch zu instrumentalisieren. Radikalisierungsprozesse würden damit nicht identifiziert, sondern befeuert. Damit lieferten die 120 Unterzeichner nebenbei auch etwas, was es in vergleichbaren antimuslimischen Ausgrenzungsdebatten häufig nicht gab: Widerstand.

Dass es diesen braucht, lässt sich nicht zuletzt in Berliner Klassenzimmern erkennen. 324 Fälle von religiösen Konflikten dokumentierten Forscher und Forscherinnen der Uni-Leipzig zuletzt an Berliner Schulen. In 317 Fällen davon handelte es sich nicht um islamistische Äußerungen von Schülern und Schülerinnen, sondern um muslimfeindliche Äußerungen durch Lehrerinnen und Lehrer.