120 Liter Wasser verbraucht jeder Deutsche pro Tag. Duschen, Kochen oder Waschen: Der Hahn wird ohne großes Nachdenken aufgedreht. Durch weltweiten Wassermangel könnte sich die Lage dramatisch verändern.
Bonn (KNA). 2.000 Liter Wasser sind nötig, bevor ein Rindersteak auf dem Teller landet, 20 Liter für 100 Gramm Gemüse. Die Landwirtschaft verbraucht 70 Prozent des weltweit genutzten Wassers; in den am wenigsten entwickelten Ländern liegt die Quote sogar bei 90 Prozent. Im Kontrast dazu stehen die 750 Millionen Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Ende des Jahrhunderts könnten es nach aktuellen Prognosen zwei Milliarden sein.
Besonders stark betroffen sind Länder in Afrika, Asien oder Lateinamerika. Sie kämpfen schon lange mit Dürren oder Überschwemmungen. Derzeit trifft es Äthiopien besonders hart; das Land am Horn von Afrika durchlebt wegen des Wetterphänomens El Nino schon das zweite Dürrejahr in Folge. Laut einem Bericht des Magazins „Science Advances“ leiden weltweit vier Milliarden Menschen mindestens in einem Monat des Jahres unter Wasserknappheit, fast die Hälfte von ihnen in China und Indien.
Der diesjährige Weltrisikobericht des Weltwirtschaftsforums nennt die Wasserkrise als eine der größten Gefahren des kommenden Jahrzehnts. Auf die Zusammenhänge zwischen Wasserknappheit und Fluchtbewegungen haben Wissenschaftler wiederholt hingewiesen. Und auch auf wirtschaftlicher Ebene ist Wassermangel eine Bedrohung, warnt jetzt die Unesco: Er könnte in den kommenden Jahren zur Stagnation des Wachstums und zum Verlust von Arbeitsplätzen führen.
Über zwei Drittel der weltweiten Arbeitsplätze hängen von der Ressource Wasser ab. Das geht aus dem aktuellen Weltwasserbericht hervor, den die Unesco am morgigen Dienstag in Genf vorstellt. Und der Wassersektor soll weiter anwachsen – zum Beispiel, um Menschen in Bangladesch, Benin oder Kambodscha den Zugang zu sauberem Wasser zu ermöglichen.
Durch Bevölkerungswachstum, Klimawandel und steigende Lebensstandards wächst zugleich jedoch der Druck auf die Süßwasservorräte, so die Unesco. 2050 werden laut Schätzungen rund neun Milliarden Menschen auf der Erde leben. Der Bedarf an Nahrungsmitteln soll im selben Zeitraum sogar um 70 Prozent steigen. „Wassermangel ist aufgrund dieser Entwicklungen eine akute Bedrohung. Eine neue Ressourcennutzung ist erforderlich, beispielsweise durch das Recyclen von Abwässern oder eine bessere Regenwassernutzung“, mahnt die Unesco.
Doch teils wird der Kampf ums Wasser mit voller Absicht verschärft. In Syrien und im Irak hat die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) strategisch bedeutsame Wasserressourcen und weite Teile der Wasser-Infrastruktur unter ihre Kontrolle gebracht. Zeitweise haben die Terroristen bereits einzelne Städte von der Strom- und Wasserversorgung abgeschnitten oder aber mit gezielten Überflutungen ganze Ernte- und Nutztierbestände vernichtet.
Der schwedische Nahost-Experte Anders Jägerskog erklärte unlängst im Magazin des Stockholm International Water Institute (SIWI), die Lage habe sich verschlimmert durch die Weigerung der syrischen Regierung, in Wasser-Infrastruktur zu investieren.
Greifbar wird die Bedrohung auch für Europa, wenn der Politikwissenschaftler Tobias von Lossow über eine weitere Möglichkeit spricht, Wasser als Waffe einzusetzen: durch Verunreinigung oder Vergiftung. Aus mehreren Orten in Nahost gab es bereits Berichte über vergiftetes Trinkwasser, und der IS hält seine Anhänger dazu an, dem Beispiel andernorts zu folgen. Ein Anschlag auf die Wasserversorgung der kosovarischen Hauptstadt Pristina konnte im vergangenen Sommer nur knapp verhindert werden.
Zudem haben die Industrieländer selbst im Umgang mit der Ressource einigen Nachholbedarf. 30 Prozent des Wassers, das dem weltweiten Kreislauf entnommen wird, geht durch Lecks verloren. In London liegt die Verlustquote bei 25, in Norwegen bei 32 Prozent.
In der Erneuerung solch alternder oder ineffizienter Infrastruktur sieht die Unesco unterdessen eine Chance. Die Wasser-Branche werde dadurch künftig wachsen – auch durch den steigenden Bedarf der Industrie, zum Beispiel im Bereich der erneuerbaren Energien. Hier ist Deutschland bislang ein Vorreiter: Schon 2014 war es eines der Länder mit den meisten Beschäftigten in diesem Sektor.