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Libanon – Am Jahrestag der Katastrophe

Libanon
Foto: Freepik.com

BEIRUT/BERLIN/PARIS (GFP.com). Zum Jahrestag der Explosionskatastrophe im Hafen von Beirut droht Außenminister Heiko Maas dem Libanon mit Sanktionen. Es gelte „den Druck auf die politischen Entscheidungsträger aufrechtzuerhalten“, erklärt Maas mit Blick auf von der EU geplante Maßnahmen, die unter anderem Strafen für Politiker vorsehen, die sich „der Durchführung ausschlaggebender Wirtschaftsreformen“ verweigern.

Berlin und Paris hatten unmittelbar nach der Explosion am 4. August 2020 in Beirut einen „Systemwandel“ verlangt bzw. im Kommandoton erklärt, es müssten „Worten jetzt auch Taten folgen“. Erreicht haben sie seither nichts. Die Lage im Libanon ist desaströs; die Wirtschaftskrise eskaliert, mittlerweile leben mehr als 60 Prozent der Bevölkerung in Armut.

Die Regierung – nur noch geschäftsführend im Amt – ist handlungsunfähig; zugleich rivalisieren äußere Mächte, darunter Deutschland, Frankreich und die Türkei, um Einfluss. Um den Wiederaufbau des Hafens in Beirut bewerben sich auch deutsche Unternehmen – dies mit einem Projekt, das schon jetzt scharfer Kritik ausgesetzt ist.

Innere Krise

Ein Jahr nach der Explosionskatastrophe im Hafen von Beirut befindet sich der Libanon in einer desaströsen Lage. Die Zerstörungen im Hafen haben die bereits zuvor ernste Wirtschaftskrise noch weiter verschärft. Die libanesische Lira hat inzwischen mehr als 90 Prozent ihres früheren Werts verloren; die Inflation wird auf 100 Prozent, bei Lebensmitteln gar auf 200 Prozent beziffert. Es herrscht Mangel an Medikamenten und an Treibstoff; wegen des Treibstoffmangels können – inmitten der Covid-19-Pandemie – manche Krankenhäuser keine Patienten mehr aufnehmen.

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Viele verlassen das Land; unter anderem sind bisher 1.200 Ärzte ausgewandert. UNICEF warnt, der Treibstoffmangel könne – in Verbindung mit zunehmenden Stromausfällen – nun auch noch die Wasserversorgung unterbrechen. Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsschwelle. Gleichzeitig ist die Regierung, die kurz nach der Explosion zurückgetreten ist, immer noch geschäftsführend im Amt – und mehr oder weniger handlungsunfähig. Mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt worden ist kürzlich der Multimilliardär Najib Mikati. Er hat in vielen Ländern umfangreiche Geschäftsinteressen, nicht zuletzt in den Staaten Europas.

Äußere Rivalitäten

Zur eskalierenden Wirtschaftskrise und zur politischen Lähmung kommen wachsende äußere Rivalitäten um den Libanon hinzu. So ist nicht nur die ehemalige Kolonialmacht Frankreich stark bemüht, ihren Einfluss in dem Land auszudehnen. Auch die Türkei strebt in Beirut nach einer stärkeren Stellung – im Rahmen ihrer Versuche, sich in der arabisch-islamischen Welt, von Syrien über den Irak bis Libyen, tiefer zu verankern. Für Ankara sei der Libanon „ein bedeutendes Schlachtfeld“ in seinem Machtkampf nicht zuletzt gegen Frankreich, stellte kürzlich Mohamed Noureddine, Professor für türkische Geschichte an der Lebanese University in Beirut, fest.

Die Machtkämpfe äußern sich nicht zuletzt in interessierten Angeboten zum Wiederaufbau des bedeutenden Hafens von Beirut. So hat etwa der französische Schifffahrtskonzern CMA CGM erklärt, den Hafen binnen drei Jahren komplett instandsetzen zu können, für maximal 400 bis 600 Millionen US-Dollar. Auch die türkische Regierung hat Interesse bekundet und verweist auf umfangreiche Erfahrungen der türkischen Bauindustrie. Laut Berichten ist auch China als Auftragnehmer beim Wiederaufbau des Hafens im Gespräch.

Mit Unterstützung der Bundesregierung

Auch Deutschland beteiligt sich an der Konkurrenz um den lukrativen Wiederaufbau des Hafens von Beirut. Pläne für ein entsprechendes Projekt haben im April die Hamburg Port Consulting, die deutsche Zweigstelle des Immobilienberaters Colliers und das Beratungsunternehmen Roland Berger vorgelegt. Demnach soll der Wiederaufbau des Hafens unmittelbar mit dem Wiederaufbau der angrenzenden, bei der Explosion ebenfalls heftig beschädigten Straßenzüge verknüpft werden; von einer Fläche von mehr als 100 Hektar ist die Rede.

Die Kosten werden auf bis zu 15 Milliarden US-Dollar beziffert; mit bis zu drei Milliarden Euro will sich Berichten zufolge die Europäische Investitionsbank (EIB) beteiligen. Berlin unterstützt das Projekt politisch und schließt einen Finanzierungsbeitrag nicht aus. Der deutsche Botschafter im Libanon, Andreas Kindl, wurde gestern mit der Äußerung zitiert, die Bundesregierung habe das Vorhaben „begrüßt“; sie prüfe auf eine Forderung aus dem Bundestag „die Finanzierung der zweiten Phase“ der Pläne.

Freilich wurden bereits im April strikte politische Bedingungen für eine Realisierung des Projekts genannt, darunter die Schaffung einer „soliden Basis“ für die Staatsfinanzen. Was das präzise sein soll, unterliegt der Interpretation der potentiellen Auftragnehmer und ihrer Regierung.

„Eine Insel der Kaufkräftigen“

Dabei wird in Beirut schon längst scharfe Kritik an dem deutschen Milliardenprojekt laut. Bereits im April hieß es beispielsweise in einer Stellungnahme der Beiruter Initiative „Public Works“, in den Projektdarstellungen werde „die lokale Bevölkerung“, obwohl das Vorhaben „erhebliche Auswirkungen auf die betroffenen Stadtteile und die Stadt insgesamt“ habe, nicht einmal erwähnt.

Die Pläne zielten darauf ab, „einen modernen und extravaganten Hafen zu entwerfen“, und umfassten nicht zuletzt „den Bau von Hochhäusern für touristische Zwecke sowie eine Reihe von Hochhäusern mit Meerblick“. Dabei würden die Fehler „erneut begangen“, die bereits beim Wiederaufbau nach dem libanesischen Bürgerkrieg gemacht worden seien. Über die damaligen Bauprojekte heißt es, man habe „eine Insel der Kaufkräftigen“ geschaffen, die schon lange „kaum mehr Menschen“ anziehe, aber gewachsene soziale Strukturen zerstört habe.

Ähnliches sagt „Public Works“ für den Fall einer Realisierung des deutschen Vorhabens voraus. So würden beispielsweise in den Planungen „die Merkmale der umliegenden Gebiete“ oder „die bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen … nicht berücksichtigt“. Man wisse nicht einmal, welche Bevölkerungsgruppen „in der Wohnanlage wohnen“ und „die vorgesehenen Schulen besuchen“ sollten.

EU-Sanktionen

Berlin und Paris erhöhen nun mit Sanktionsdrohungen den Druck. Unmittelbar nach der Explosion im vergangenen August hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei einem Besuch in Beirut einen „Systemwechsel“ verlangt: Er sei gekommen, um einen „neuen Pakt“ mit dem Libanon zu schließen, erklärte Macron.

Wenige Tage später befand Außenminister Heiko Maas – ebenfalls in der libanesischen Hauptstadt eingetroffen -, jetzt müssten „Worten auch Taten folgen“: Es gebe „nicht viel in diesem Land, was bleiben kann, wie es ist“.

Ein Jahr später haben Frankreich und Deutschland trotz der großspurigen Kommandos vom August 2020 faktisch nichts erreicht. Dafür hat die EU am 30. Juli einen „Rahmen für gezielte Sanktionen“ verabschiedet, der im Grundsatz jederzeit in Kraft gesetzt werden kann. Betroffen sind nicht nur Personen, denen die EU vorwirft, „die Bildung einer Regierung“ sowie „die Abhaltung von Wahlen ernstlich“ zu behindern, sich der Korruption schuldig gemacht zu haben oder „unerlaubte Kapitalausfuhr“ zu betreiben. Mit EU-Sanktionen belegt werden soll nicht zuletzt, wer sich „der Durchführung ausschlaggebender Wirtschaftsreformen, einschließlich im Banken- und Finanzsektor“, widersetzt.

Auf Linie zwingen

Die Sanktionen, die Außenminister Maas ausdrücklich unterstützt, bestehen in einem Einreiseverbot, zudem im Einfrieren etwaigen Vermögens in der EU sowie im Verbot, finanzielle Mittel von Personen oder Unternehmen aus der EU zu erhalten. Faktisch geben sie Berlin und Paris ein Instrument an die Hand, all denjenigen ernste wirtschaftliche Schäden zuzufügen, die sich ihren Forderungen für „ausschlaggebende Wirtschaftsreformen“ verweigern: eine Methode, sie auf die politische Linie Deutschlands und Frankreichs zu zwingen.