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Muslime und das Klima: Zum Teil der Lösung werden

Ausgabe 318

Glaubensgemeinschaften
Foto: Mohammadridwan, Shutterstock

„Während viele von ihnen – im subsaharischen Afrika, auf dem indischen Subkontinent oder in Südostasien – längst unter extremen Wetterereignissen leiden, tragen andere – wie die erdölproduzierenden Staaten sowie die aufstrebende, konsumwillige muslimische Mittelklasse – zu ihnen bei.“

(iz). Begleitet von Protesten ging am 12. November der UN-Klimagipfel in Glasgow (COP26) zu Ende. Während der Gipfel-Präsident zum Schluss die optimistische Losung „Wir können“ ausgab, zogen Hunderte Delegierte durch das Gebäude, die für „Klimagerechtigkeit“ demonstrierten. Muslime in Großbritannien, den USA oder Indonesien beschäftigen sich seit Längerem intensiver mit dem Klimawandel und seinen Folgen. Wie enorm die Aufgabe ist, zeigte der Physiker Harald Lesch bei Markus Lanz. Laut Lesch herrsche in Sachen roher Energie, die für alle Prozesse nötig sei, eine Art „Fettleibigkeit“. Alleine mit neuen Technologien sei die Herausforderung nicht zu meistern.

Beim Ausstoß der klimaschädlichen Gase CO2 und Methan ist vom durch die Pandemie verursachten Rückgang nichts mehr zu spüren. Germanwatch geht davon aus, dass die „Werte von 2019“ in nächster Zeit wieder übertroffen werden. Insbesondere die 20 größten Industrienationen der G20 haben einen Riesenanteil an den Emissionen. Sie sind für rund 75 Prozent verantwortlich. Während klassische Industrienationen wie Italien, Frankreich, Großbritannien oder Deutschland sich ambitionierte Ziele gesetzt haben wie einen Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030, sind es Schwellenländer und klassische Kohlendioxid-Erzeuger, die gegenwärtige und zukünftige Zuwächse zu verantworten haben. Insbesondere in China und Indien ist eine für deutsche Verhältnisse unglaubliche Zahl neuer Kohlekraftwerke anvisiert.

Ungeachtet dessen, was in Glasgow beschlossen wurde und was gegen enorme Widerstände realisiert werden kann, zeigten sich Experten des Weltklimarates (IPCC) skeptisch. Nach Angaben der Fachzeitschrift „Nature“ vom August des Jahres seien rund 60 Prozent der befragten Forscher, dass sich die Erde in Relation zur vorindustriellen Periode bis Ende des Jahrhunderts um drei Grad erhöhen werde. Nur 20 Prozent waren optimistisch, dass eine Begrenzung auf zwei Grad möglich werde. Der Internationalen Energieagentur zufolge hätten die Glasgower Ankündigungen bei Einhaltung eine Erderwärmung von 1,8 Grad zur Folge. „Das ist ein großer Schritt nach vorne, aber es braucht noch viel mehr“, erklärte ihr Chef Birol.

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Zur Dramatik und tatsächlichen Ungerechtigkeit der Klimakrise zählt, dass diejenigen, die historisch und aktuell am wenigsten zu ihr beitragen, den höchsten Preis bezahlen. Namentlich betrifft das Menschen in Afrika – insbesondere südlich der Sahara. Hier kam es in den letzten Jahren zu veränderten Klima- und Wettermustern, was zu weiteren Dürren, Hitzeperioden aber auch Sturmfluten und Überschwemmungen führte.

Die volatil werdenden Wetterereignisse bewirken nicht nur eine Zunahme von „Naturkatastrophen“, sie erschweren die Lebensgrundlage vieler Menschen. Namentlich erhöhen sie politische Unsicherheiten, Fluchtbewegungen, wirtschaftliche Verluste und insbesondere eine Abnahme der Lebensmittelsicherheit. Diesen Punkt sprach kürzlich der Leiter im Berliner Büro des Welternährungsprogramms (WFP), Dr. Martin Frick, an. Er warnte „vor den katastrophalen Folgen der Klimakrise für den Welthunger“. 811 Millionen Menschen litten bereits jetzt an Hunger. Wenn sich die Erderwärmung um zwei Grad erhöhe, rechnet das Welternährungsprogramm mit weiteren 189 Millionen Hungernden.

In einem Jahr, in dem in Teilen der Welt Rekordtemperaturen herrschten, sich ungewöhnliche Kälteeinbrüche ereigneten, das Ahrtal in Deutschland hinweggespült wurde, und manche Regionen zwischen Dürren und Fluten pendelten, gibt es keine global signifikante Gruppe, die nicht zugleich Akteure und Betroffene der Klimakrise sind. Hierzu zählen zahlreiche Muslime in aller Welt. Während viele von ihnen – im subsaharischen Afrika, auf dem indischen Subkontinent oder in Südostasien – längst unter extremen Wetterereignissen leiden, tragen andere – wie die erdölproduzierenden Staaten sowie die aufstrebende, konsumwillige muslimische Mittelklasse – zu ihnen bei. Es greift zu kurz, Angehörige von Religionsgemeinschaften ausschließlich in Kategorien wie „Opfer“ und „Täter“ zu sehen.

Nach Angaben einer Studie, die von Jens Koehrsen herausgegeben wurde, der unter anderem am Zentrum für Religion, Wirtschaft und Politik der Universität Basel arbeitet, gibt es wachsende Erkenntnisse zur Rolle von Religion im Verständnis von und der Herangehensweise zur Klimakrise. Obwohl Muslime die zweitgrößte Religionsgruppe weltweit sind, sei in der Vergangenheit nur wenig über ihre Positionen zum Klimawandel bekannt gewesen. Hier stecken Potenziale. So erfreuen sich religiöse Führer und Organisationen oft einer hohen Glaubwürdigkeit. Sie haben eine wichtige Stimme in Debatten und können durch ihre Netzwerke politische Entscheidungsprozesse beeinflussen. Darüber hinaus haben Institutionen finanzielle und organisatorische Ressourcen, die sie mobilisieren können, um eine Transformation in Richtung umweltfreundlicherer, nachhaltiger Gesellschaften anzustoßen. Religionswissenschaftler deuten einen interessanten Aspekt an: Sie sprechen von einem anhaltenden „Begrünungs“-Prozess bei Religionen. Damit meinen sie, dass religiöse Traditionen über die Zeit ökologisch bewusster und aktiver werden.

Muslime haben unterschiedliche Strategien im Umgang mit dem Phänomen entwickelt hätten. Eine derzeitige Minderheit engagiere sich in öffentlichen Kampagnen zur Aufklärung, wolle CO2-Minderungen durch sozio-technologische Anstrengungen und setze sich für eine Befragung der islamischen Lehre in Hinblick auf Klimafreundlichkeit ein. Eine zahlenmäßig größere Gruppe in verschiedenen Teilen der Welt betrachte die Erderwärmung als göttliche Reaktion und Strafe auf eigenes Fehlverhalten. Und schließlich ein kleineres Segment, welches in der Diskussion des Themas beteiligt ist, vermute im Klimaaktivismus ein „Komplott des Westens“.

Umfragewerte aus dem Jahre 2018 ergeben, dass eine Mehrheit muslimischer Verantwortungsträger in aller Welt den Klimawandel als wichtige soziale Herausforderung betrachten. Die Forscher befragten 150 einflussreiche Personen aus Nordafrika, dem Nahen Osten, der EU, den USA, Asien und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Jedoch würden anhaltende ökonomische Herausforderungen in mehrheitlich muslimischen Staaten und Armut die Bevölkerungen dazu treiben, auf Wachstum und Armutsreduktion und Armutsminderung zu setzen.

Muslimische Umweltaktivisten beziehen sich auf den Qur’an und die Sunna als Hauptquellen zur Entwicklung ökologischer Prinzipien. Damit schaffen sie eine Interpretation der Lehre und formulieren eine islamische Umweltethik. Dabei sind die Kernbegriffe durchaus nicht für alle gleich. Für die meisten von ihnen sind die Begriffe Tauhid und Khalifa aber bestimmend. Hinzukommen zwei weitere Konzepte: Mizan und Maslahah. Tauhid – die Einheit des Göttlichen – wird als Einheit von Schöpfung inklusive von Mensch und Natur gedeutet. Mizan – Gleichgewicht – steht für ein balanciertes Verhältnis aller Kreaturen. Khalifa – auf den Menschen bezogen – sieht den Menschen als Sachwalter Allahs auf Erden. Und Maslahah – Gemeinwohl – verweist auf Umsicht und Sorge für zukünftige Generationen.

Vielen in Umweltschutz und Klimagerechtigkeit aktiven MuslimInnen ist es längst nicht mehr genug, alleine auf die Quellenlage und mögliche Interpretationen für mehr Umweltbewusstsein bei den Gläubigen zu setzen. Dabei setzen sie auf ihre Reichweite in den Communitys, um verstärkt nach Innen für Aufklärung und Handeln zu sorgen.

Parallel zum Beginn des Glasgower Gipfels meldeten sich die führenden muslimischen Organisationen und Gelehrten Großbritanniens mit einer eindeutigen Erklärung zu Wort. „Wir müssen jetzt handeln, wenn wir sicherstellen wollen, dass wir künftigen Generationen eine lebenswerte Erde hinterlassen, und uns vom Qur’an und der Sunna leiten lassen, die uns den Weg weisen“, hieß es in dem Text. Solle nachhaltige Entwicklung irgendeine Chance zum Funktionieren zugunsten des ärmeren Teils der Menschheit haben, müssen „die Glücklicheren unter uns unsere Wirkungen“ auf die natürlichen Systeme der Erde reduzieren. Die Autoren folgen in ihrem Aufruf der wegweisenden „Islamischen Erklärung zum globalen Klimawandel“ aus dem Jahre 2015.

Muslime wollen jetzt handeln und das praktische Verhalten in Richtung Klimafreundlichkeit verändern. Der Veteran unter den Projekten ist die britische Islamic Foundation for Ecological and Environmental Sciences (IFEES), die vom Ehepaar Fazlun und Saba Khalid ins Leben gerufen wurde. Nach umfangreichen Jahren der Forschung hat die Stiftung in aller Welt lokale ökologische und klimafreundliche Projekte in Kooperation mit der Bevölkerung und religiösen Führern verwirklicht.

Sie haben eine neue Generation klimabewusster Umweltaktivisten in aller Welt inspiriert. Diese finden sich in der „Green Deen“-Bewegung aus den USA und Großbritannien, die Moscheen zeigt, wie man klimafreundlich Iftare organisieren kann. In Deutschland gibt es das Projekt NourEnergy, das unter anderem Religionsgemeinschaften dabei hilft, seine Gebäude und seinen Betrieb nachhaltig zu gestalten.

Die Anfänge sind gemacht und das nötige Fundament für ein klimafreundlicheres Verhalten gelegt. Jetzt stehen MuslimInnen in aller Welt vor der Aufgabe, ihre Existenz in der Welt entsprechend anzupassen.