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Netzwerk gegen Diskriminierung: Antimuslimischer Rassismus in Berlin weiter hoch

Foto: CLAIM Allianz

Das Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit von Inssan e.V dokumentiert mit 206 Vorfällen für das Jahr 2021 weiterhin eine gefährliche Entwicklung in Berlin. Zusätzlich kommen weitere 174 Meldungen von den berlinweiten Registerstellen. Zusammen sind es 380 erfasste Fälle im Bereich des Antimuslimischen Rassismus. 

Berlin (Inssan). Die Anlaufstelle erfasst seit 2016 systematisch Beleidigungen, Anfeindungen, Benachteiligungen und tätliche Angriffe auf Muslim*innen und Menschen, die als solche markiert werden. Es handelt sich um eine standardisierte Datenerfassung. Bei den Fallzahlen handelt es sich um Meldungen betroffener Menschen. Die Dokumentationsstelle arbeitet nicht als Recherche- und Monitoring-Stelle. Meldungen werden überwiegend schriftlich über den Meldebogen oder über den Meldelink www.inssan.de/meldung an die Anlaufstelle herangetragen. 

Dem Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit wurden im Jahr 2021 insgesamt 206 Vorfälle gemeldet. Das ist ein Abfall von 9,65 Prozent zum Vorjahr (2020: 228). Die Gesamtzahlen der Meldungen von 2016 bis 2021 zeigt dennoch eine Steigerung von über 80 Prozent. Ein Grund für den leichten Einbruch ist, dass die Arbeit der Anlauf- und Beratungsstelle während der Corona-Pandemie nur eingeschränkt weitergehen konnte. Digitale Formate nicht niedrigschwellig und für jede*n zugänglich waren. Die eingeschränkte Durchführung von Empowerment Angeboten wirkt sich auf das Meldeverhalten der Betroffenen aus.

Die Dokumentationsstelle zählt im Bereich sozialer Nahraum kontinuierlich die meisten Vorfälle. Seit 2 Jahren registriert sie einen Anstieg der Meldungen im Bereich Güter- und Dienstleistungen.

Für das Jahr 2021 wurden 45,6 Prozent der Fälle im Sozialen Nahraum erfasst. Hierzu zählt der öffentliche Raum, in denen Menschen mehr oder weniger zufällig aneinander begegnen. Auf der Straße, auf Parkplätzen, an Bushaltestellen, im Supermarkt oder in der Nachbarschaft. 

21 Prozent der Meldungen sind aus dem Bereich Güter- und Dienstleistungen. Die Meldestelle verzeichnet in diesem Bereich seit 2 Jahren einen Anstieg der Meldungen (2020:38); (2021:44). Hier wurden die meisten Vorfälle in Geschäften des täglichen Lebens oder auch bei Ärzten/Krankenhäusern, somit im Gesundheitswesen gemeldet. 

16,0 Prozent der Meldungen betreffen den Bereich Arbeit. Hierzu zählen die Arbeitssuche, Bewerbung sowie bestehende Arbeitsverhältnisse. Oft werden Benachteiligungen bei der Arbeitssuche aufgrund des Kopftuches auf dem privaten Arbeitsmarkt oder im öffentlichen Dienst gemeldet. 

10,7 Prozent der Fälle stammen aus dem Bereich Bildung. Hierzu zählen Kita, Hort, Schule, Universität, und berufliche und nichtberufliche Weiterbildungen und Praktika. 

Wie aus der Dokumentation hervorgeht, wurden 180 der meldenden Personen vordergründig aufgrund ihrer tatsächlichen oder zugeschriebenen islamischen Religionszugehörigkeit diskriminiert. 144 Muslim*innen erfuhren zudem auch aufgrund ihrer (zugeschriebenen) ethnischen Herkunft Anfeindungen und 73 Personen auch aufgrund ihres Geschlechtes. Somit überschneiden sich bei einer Vielzahl von Meldungen verschiedene Diskriminierungsgründe. Diese Diskriminierungsgründe oder Zuschreibungen sind fest miteinander verflochten und erzeugen spezifische Diskriminierungs-erfahrungen (intersektionale Diskriminierung). Muslimische Frauen mit Kopftuch werden beispielsweise benachteiligt aufgrund der Religion, des Geschlechts und ihrer ethnischen Zugehörigkeit, da das Tragen des Kopftuches einerseits ein religiöses Symbol darstellt, gleichzeitig aber auch ein äußeres Merkmal ist, aufgrund dessen häufig die automatische Zuschreibung zu einer bestimmten ethnischen Gruppe erfolgt- unabhängig davon, ob diese zutreffend ist oder nicht. 

Insgesamt sind Frauen häufiger von Antimuslimischen Rassismus betroffen als Männer. Im Jahr 2021 waren 65,0 Prozent der Meldenden weiblich. Nur 19,9 Prozent der Meldungen kamen von Männern, der Rest von geschlechtsgemischten Gruppen oder ohne Angabe des Geschlechts. 

Bei den äußerlichen Merkmalen mit Relevanz für den Vorfall werden „Nichtdeutscher“ Name, dunkle Hautfarbe/Haare/Augen, Bart und das Kopftuch am häufigsten genannt. 

Die Hälfte der Diskriminierungserfahrungen (49,5 Prozent) sind von Menschen zwischen 27 und 50 Jahren gemacht, 30,6 Prozent der Meldungen von Menschen unter 27 Jahren. 

Zu den dem Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit gemeldeten Vorfällen (2021:206) kommen zusätzlich weitere 174 Meldungen im Bereich des Antimuslimischen Rassismus von den berlinweiten Registerstellen. Inssan e.V. ist offizielle Anlaufstelle der Berliner Registerstellen. Auch andere Berliner Antidiskriminierungsberatungsstellen erfassen Daten, wie die Berliner Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt (Fair Mieten- Fair Wohnen), das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg (ADNB) oder die Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen (ADAS). 

Diese haben auf der Pressekonferenz von Inssan e.V. aus ihren spezifischen Arbeitsbereichen informiert. 

„Jeder antimuslimische Vorfall ist einer zu viel, der immer noch kontinuierlicher Anstieg der bei uns gemeldeten Diskriminierungserfahrungen ist besorgniserregend. Wir wissen aus der Arbeit, dass das Dunkelfeld viel größer ist. Wir wissen auch, dass eine statistische Erfassung und Sichtbarmachung von Antimuslimischen Rassismus nicht ohne wirksame Empowerment Angebote für die muslimischen Communities möglich ist. Das leisten wir bei Inssan eV,“ so Zeynep Çetin, Projektleiterin des Netzwerks gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit.

Weiter gibt zu bedenken: „In (halb-) öffentlichen Diskursen, auch auf politischer Ebene, verfolgen wir seit Jahren eine stereotype Stigmatisierung des Kopftuches. Viele muslimische Frauen erfahren Ablehnung bei der Arbeitssuche aufgrund ihres Kopftuches. Hier fordern wir ein Ende der staatlichen Diskriminierung durch das sog. Berliner Neutralitätsgesetz, die viele muslimische Frauen um ihre beruflichen Chancen bringt.“ 

Die Leiterin von ADAS, Aliyeh Yegane stellt fest: „Wir haben durch unsere Studie einen sehr hohen Handlungsbedarf für Berliner Schulen festgestellt, da es zu viele Schulen sind, von denen muslimische Schüler*innen berichten, dass sie ein ausgrenzendes Schulklima und direkte wie indirekte Diskriminierungen in Bezug auf ihre islamische Identität erleben.“ 

Die Berliner Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt erklärt: „Die zunächst recht freundliche und vielversprechende Kommunikation der Wohnungsbewerbung wendet sich in dem Moment, in dem die Zugehörigkeit der Bewerberin zu der islamischen Religion sichtbar wird, abrupt zu einer Ablehnung. Viele Wohnungssuchende melden sich mit genau dieser Erfahrung bei der Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt. Sie erleben eine Diskriminierung aufgrund ihrer Religion und das ist nach dem AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) nicht zulässig. In solchen Fällen unterstützt die Fachstelle die Betroffenen u.a. mit Beschwerdebriefen bis hin zu einer möglichen Klageerhebung.“

Von der Berliner Politik fordert Inssan e.V. die Implementierung von Präventions- und Empowerment-Strategien gegen Antimuslimischen Rassismus. Der Ausbau der spezifischen Beratungsstelle von Inssan e.V. ist evident, um Betroffene besser begleiten, beraten und unterstützen zu können. Auch fordern wir die Institutionalisierung der Expert*innenkommission und die unverzügliche Umsetzung der seit letztem Jahr erarbeiteten Handlungsempfehlungen der Kommission.