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Neue Muslime und ihre Erwartungen an die Praxis:
Anders glauben! Anders leben?

Schahada Bezeugung Einheit

(iz). Jedes Jahr akzeptieren tausende EuropäerInnen den Islam und leiten mit diesem Ereignis in ihrem Leben so etwas wie einen Neuanfang ein. Nicht wenige ändern sogar ihren Namen, um dem Phänomen des anderen Anfangs Ausdruck zu verleihen. Sie lernen die Grundbegriffe der islamischen Lehre, die Grundzüge der arabischen Sprache und versuchen, mit den bestehenden Gemeinschaften Kontakt aufzunehmen; auch wenn sich diese Verbindungen oft auf den Besuch des Freitagsgebetes beschränken. So wie die Gründe für diesen Übertritt verschieden sind, so sind es ebenso die Erwartungen an das neue Leben.

Die Unterschiede zu den Glaubensinhalten anderer Religionen lassen sich schnell begreifen. Wie steht es aber mit der kulturellen Zugehörigkeit? Inzwischen hat sich in den muslimischen Gemeinschaften der Trend durchgesetzt, ihre Praxis als Filter für die bestehende Kultur zu definieren. Muslime trinken weder Alkohol, noch essen sie Schweinefleisch, aber viele Aspekte der europäischen Zivilisation – seien es die Literatur, die Philosophie oder nur die Loyalität zum eigenen Heimatland – gehören zu ihrem neuen Leben dazu. Die äußerlich erkennbaren Unterschiede zur kulturellen Mehrheitsgesellschaft sind bei Konvertiten eher gering.

Aber: Wer den Islam annimmt, hat die Erwartung, sein Leben anders zu führen als bisher. Viele neue Muslime suchen in der Offenbarung und der Überlieferung nach Praktiken, die Antworten auf unsere Zeit geben. Wer in den europäischen Konsumgesellschaften aufgewachsen ist, wird sich für die Spiritualität des Islam interessieren, oder aber den Qur’an aufschlagen und nach Aussagen zur Ökonomie suchen. In Zeiten der ökonomischen Krise beschäftigen sich viele wieder mit den Grundlagen einer gerechten Gesellschaft aus islamischer Sicht. Wer sein Leben effektiv ändern will, muss heute die wirtschaftlichen Perspektiven des Daseins mit berücksichtigen.

Sicher gehört zu den Kernerwartungen von Menschen, die die neue Religion annehmen, dass die soziale Dimension der islamischen Lebensführung die weit verbreitete Einsamkeit lindert. Das Freitagsgebet ist ein erster Schritt dazu. Hier lernt man andere kennen, obwohl neue Muslime beklagen, dass die ethnischen Trennlinien nach wie vor das Gemeinschaftsleben prägen. Nicht wenige erwarten mehr: Sie bilden eigene kleine Gemeinschaften, um ihr soziales Leben zu intensivieren und gemeinsam eine andere Art Infrastruktur aufzubauen.

Sie diskutieren darüber, wie eine ideale Erziehung für ihre Kinder aussieht, oder planen Orte der Begegnung, an denen man den Nachbarn den Islam erklärt und vorlebt. Der Gedanke, dass man gemeinsam leichter bestehende Verhältnisse ändert, ist die verbindende Leitidee. Warum nicht kollektiv einkaufen mit einer Genossenschaft, ein Begegnungscafé eröffnen oder über ein Start-up nachdenken? Die Möglichkeiten der sozialen und ökonomischen Entfaltung steigern sich mit jedem Mitglied, die diese neuen, virtuell oder real organisierten „Communities“ gewinnen.

In diesen Monaten wird vielen Menschen, unabhängig von ihrer Konfession bewusst, wie stark das moderne Leben von der Stabilität der wirtschaftlichen Verhältnisse abhängt. Die Inflation bedroht den sozialen Standard, Mobilität und die gewohnte Versorgung; Themen, die die muslimischen Gemeinschaften von jeher beschäftigen. Der Prophet hat nicht nur eine Moschee, sondern auch einen Marktplatz eingerichtet. Nicht zuletzt die im Islam mögliche Beantwortung der spirituellen und materiellen Fragen ist es, die das Interesse viele Europäer an der Lebensgestalt der Muslime erklärt. Wer künftig eine soziale Absicherung, Solidarität und ökonomische Alternativen anbietet, liegt nicht nur im Trend, sondern schafft die Bedingen für echte Spiritualität.

Die Akzeptanz des Islam durch Europäer ist für die bestehenden Strukturen ein wichtiges Zeichen, dass ihre Praxis anziehend wirkt. Die Energie der neuen Muslime, ihr ungebrochener Veränderungswille, ihre Erwartungen an die Alltäglichkeit, sind es, die alle daran erinnert, dass die Aussicht auf ein anderes Leben möglich ist. Neben den Glaubensinhalten zeigt sich hier die Notwendigkeit für eine Infrastruktur unter gewandelten Vorzeichen. In vergangenen Jahrhunderten war es sicher leichter, ein Gemeinwesen zu stiften, einen Marktplatz zu etablieren oder eine islamische Architektur zu prägen. Eine erneuerte Kreativität, bis hin zu der Nutzung aller virtuellen Möglichkeiten sozialer Technologien, bieten hier Auswege. Die neuen Muslime werden dazu einen Beitrag leisten.

Der IZ-Verlag versucht, mit den beiden neuen Projekten muzlim.Social und muzlim.Market aktiv an dieser Suche beizutragen.