Eine neue Gewaltwelle hält Nigeria in Atem. Die Ursachen sind vielfältig: Konflikte zwischen Bevölkerungsgruppen, Streit um Land und Ressourcen
Abuja (KNA). Mittlerweile ist die Gewalt selbst in Nigerias Hauptstadt Abuja angekommen. Ignatius Kaigama, Erzbischof von Abuja, findet deutliche Worte.
Ende Januar kritisierte er in einer Predigt, dass selbst die Straßen der Hauptstadt unsicher werden, von anderen Regionen ganz zu schweigen. Täglich würden Dörfer angegriffen, Eigentum zerstört sowie Menschen entführt und ermordet.
Foto: AK Rockefeller, via flickr | Lizenz: CC BY-SA 2.0
Nigeria erlebt seit Wochen eine neue Welle der Gewalt
An Weihnachten wurden im Bundesstaat Plateau im Zentrum des Landes mehr als 150 Menschen getötet, Dutzende Häuser zerstört. Seitdem kommt die Region nicht zur Ruhe: Vier Wochen später ermordeten Bewaffnete erneut 30 Personen, dieses Mal im Landkreis Mangu.
Seit Jahrzehnten kommt es in dem Bundesstaat mit fruchtbaren Böden und einem angenehmen Klima zu Gewaltausbrüchen. Die Interpretationen sind unterschiedlich.
Nach Einschätzung von Timothy Daluk, lokaler Vorsitzender der Christlichen Vereinigung Nigerias, handelt es sich um einen Angriff auf Christen. Muslime würde gezielt versuchen, Christen, die stets in der Region gelebt hätten, zu vertreiben, sagte er lokalen Medien.
Foto: Sani Ahmad Usman, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 4.0
Konflikte um fruchtbares Land
Es geht allerdings auch um den Zugang zu wertvollem Land. Vor allem durch den Middle Belt, das Zentrum des Landes, ziehen bis heute Hirten mit ihrem Vieh. Sie gehören der Ethnie der Fulani an und sind fast ausschließlich Muslime. Häufig werden sie für Überfälle verantwortlich gemacht und als Terroristen bezeichnet. Zu einer Untersuchung von Überfällen bis hin zu Gerichtsprozessen kommt es allerdings so gut wie nie.
Auch verstärkt der Klimawandel die Spannungen. Da der Staat oft abwesend ist und weder ausreichend in Infrastruktur investiert, noch für Sicherheit sorgt, identifizieren sich Menschen weitaus mehr über ihre ethnische Zugehörigkeit und Religion und grenzen sich bewusst von anderen ab.
Foto: EC/ECHO/Wim Fransen
Nicht auf eine Region beschränkt
Die Entwicklung in Plateau ist extrem. Gewalt ist aber längst nicht mehr nur auf eine Region beschränkt, betont die nigerianische Denkfabrik, Centre for Democracy and Development, in einer Ende Januar veröffentlichten Untersuchung.
Konflikte haben sich mittlerweile in den bisher als einigermaßen friedlich geltenden Südwesten ausgebreitet. Vor allem ein Risiko gibt es überall: Entführungen. Verschiedene nichtstaatliche Organisationen wie die Sicherheitsfirma SBM Intelligence zählen jährlich mehr als 4.000. Da viele nicht angezeigt werden, wird die Dunkelziffer deutlich höher geschätzt.
Foto: Staff Sgt. Edward Braly, USAF, via Wikimedia Commons | Lizenz: Public Domain
Banden gefährlich wie Terroristen – Wirtschaft schwächet
Damit, so die Lesart verschiedener Beobachter, überschattet die Gewalt durch bewaffnete Banden mittlerweile auch die von terroristischen Gruppierungen wie Boko Haram und vor allem dem „Islamischen Staat in der Westafrikanischen Provinz“. Beide sind weiterhin vor allem im Nordosten aktiv.
Mit der anhaltenden Gewalt geht die desolate wirtschaftliche Entwicklung einher. Die Inflationsrate steigt seit Jahren und liegt mittlerweile bei fast 30 Prozent, während es vor einem Jahr noch knapp 22 Prozent waren.
Nach Informationen der Zentralbank ist auch der Naira schwach wie nie zuvor. Der Wechselkurs lag Ende Januar bei 1 Euro zu 1.475 Naira. Dabei ist das Land stark von Wareneinfuhren abhängig. Neben Autos und Baumaterialien gehören auch Nahrungsmittel dazu.
Als besonderer Einschnitt galt vergangenes Jahr die Abschaffung der Treibstoffsubventionen. Vor der seit Jahren diskutierten Umsetzung Mitte 2023 kostete der Liter offiziell 370 Naira. Nach Angaben des Welternährungsprogramms lag er in den Bundesstaaten Borno und Yobe im Nordosten im Dezember bei 1.300 bis 1.700 Naira, wodurch sich auch Lebensmittelpreise verteuern.
Anfang der Woche warnte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International im Kurznachrichtendienst X: “Millionen Menschen in Nigeria sind immer weniger in der Lage, die Kosten für Bildung, Ernährung und Gesundheitsversorgung zu decken.”
Fast zeitgleich gab der Internationale Währungsfonds bekannt, die Wachstumsprognosen für Nigeria für dieses Jahr von 3,1 auf 3 Prozent nach unten zu korrigieren.