Präsidentschaftswahlen: Jede Stimme zählt

Foto: Emgage

Nach dem Amtsantritt von Präsident Donald J. Trump stiegen anti-muslimische Hassverbrechen in den Vereinigten Staaten um 19 Prozent an.

(iz). Bei jedem Präsidentschaftswahlzyklus ist es für viele US-Bürger typisch, insbesondere für politisch Aktive und Politiker, die kommende Abstimmung für die wichtigste dieser Generation zu halten. In dieser Wahl könnte diese Sprechgewohnheit sogar einigermaßen realistisch sein. Denn der amtierende Präsident, Donald J. Trump, verfehlte 2016 nicht nur die Mehrheit aller Stimmen, sondern wurde nur durch hauchdünne Vorsprünge in einer Handvoll Wahlkreise gewählt.

Obwohl muslimische US-Bürger nur 1-2 Prozent aller Wahlberechtigten ausmachen, kann ihre Konzentration in umkämpften Bundesstaaten (den „Swing States“) wie Ohio, Michigan, Georgia, Minnesota, Pennsylvania oder North Carolina dazu führen, dass ihre Stimmen an diesen mitentscheidend sind. Muslime als gesonderter Wählerblock machten erstmals bei Präsidentschaftswahlen in den 1990er Jahren von sich Reden. 1996 gilt als das Jahr, in dem sie erstmals kollektiv als solcher wahrgenommen wurden.

Allerdings ließen sich keine Verallgemeinerungen anstellen, wie Dawud Walid vom Council for American-Islamic Relations (CAIR) in einem Aufsatz schreibt. Muslime seien in den USA die ethnisch diverseste Gruppe unter den Religionsgemeinschaften. Daraus folgt, dass sich die politischen Prioritäten unterschieden. In der Vergangenheit zeigte sich das daran, dass die Republikaner früher den Großteil migrantischer Wählerstimmen bekamen.

Afroamerikanische Muslime hingegen, die zahlenmäßig größte Gruppe der Community, wählen traditionell mehrheitlich demokratisch. Das liege unter anderem daran, weil die heutigen Republikaner seit den 1960er Jahren für viele Schwarze die Partei des Rassismus und der Entrechtung darstellen. Außerdem gilt sie seit Langem als Partei der Reichen, was die deutlich ärmere schwarze, muslimische Gemeinschaft zu den Betroffenen ihrer Politik macht.

Bei den umstrittenen Wahlen im Jahre 2000 sollen mehr als 70 Prozent aller muslimischen US-Wähler für den republikanischen Kandidaten George W. Bush gestimmt haben. Alleine in Florida waren das zehntausende Stimmen. Das ist insofern von Bedeutung, als dass Bush diesen Bundesstaat nach einer erneuten Auszählung nur 537 Wahlstimmen für sich verbuchen konnte. Wegen gemeinsamer konservativer Werte galten Muslime und Republikaner damals als natürliche Verbündete.

Dieses Verhältnis besteht heute nicht mehr. Schuld daran haben nicht nur der amtierende Präsident, sein Apparat und ihre rechtsgerichtete Rhetorik. Verantwortlich waren in erheblichem Maße die Entscheidungen und das Vorgehen der Regierung Bush – wie Überwachung ohne Gerichtsbeschlüsse von Moscheen oder religiöses Profiling an Flughäfen. Diese Maßnahmen haben die Bürger- und Menschenrechte von US-Muslimen beschnitten sowie den Rechtsstaat beschädigt.

Heute geben muslimische US-Bürger am häufigsten an, religiöse Diskriminierung erfahren zu haben. Ähnlich wie bei ihren schwarzen und jüdischen Landsleuten führte die Erfahrung mit Unterdrückung zu einem erneuten Bekenntnis zu Werten der sozialen Gerechtigkeit – von der Förderung und dem Schutz der Bürgerrechte bis hin zu Forderungen nach mehr Gerechtigkeit in der Rassismusfrage.

Die Quittung für ihre Politik und ihre Sprache erhielt die Republikanische Partei bei den nächsten Wahlen von 2004. Die Unterstützung für Bush unter Muslimen sank von ca. 70 Prozent auf miserable 7 Prozent. Selbst wenn die Hälfte der Gemeinschaft 2000 für ihn gestimmt haben sollte, so war das der größte demografische Verlust der GOP zu diesem Zeitpunkt.

„Auch wenn ein großer Prozentsatz der amerikanischen Muslime Trump nicht unterstützt“, schreibt Dawud Walid, „bedeutet das nicht, dass Muslime automatisch in großer Zahl für den demokratischen Nominierten stimmen werden“. Obwohl es eine harte Wendung zum progressiven Flügel der Demokraten als Reaktion auf den Rechtsdrall der Republikaner gegeben habe, bestehen Sorgen in Teilen der muslimischen Community. Man könne dort nicht eine fortgesetzte Erosion der eigenen religiösen Werte im Namen von Identitätspolitik unterstützen. „Ein Gefühl innerhalb der Gemeinschaft ist, dass die Trump-Regierung so rassistisch und fremdenfeindlich ist, dass die höchste politische Priorität darin besteht, dass er bei den Wahlen 2020 abgesetzt wird“, meint Walid. Eine andere Wahrnehmung sei jedoch, dass die progressive Plattform der Demokraten eher eine langfristige Bedrohung für die Religionsfreiheit amerikanischer Muslime und ihrer Fähigkeit darstelle, der nächsten Generation Islam zu vermitteln. Auf lokaler Ebene sei es AktivistInnen nicht durchgehend gelungen, regelmäßige MoscheebesucherInnen davon zu überzeugen, ihre moralischen Bedenken zu überwinden. Dieses Festhalten könne, so Dawud Walid, die Chance für eine republikanische Partei nach Trump sein, sollte diese sich von dessen anti-muslimischer Rhetorik freimachen können.

Die beiden Amtszeiten von Bush sahen eine größere politische Organisierung und Teilnahme in der Community. 2007 wurden erstmals zwei Muslime als Mitglieder des Kongresses vereinigt – Keith R. Ellison und Andre Carson (beide Demokraten). Und nicht wenige Moscheen, die früher ihren Angehörigen zu politischer Abstinenz rieten, riefen nun von der Kanzel dazu auf, sich als Wähler registrieren zu lassen. Dieser Trend setzte sich während der beiden Amtszeiten von Barack Obama fort.

Die Erfahrung mit Bush und Trump sowie der potenzielle Einfluss ihrer Stimmen hat unter Teilen der muslimischen Gemeinschaft in den Vereinigten Staaten zu einer Mobilisierung von Wählerstimmen geführt. Am 26. August veröffentlichte CAIR eine Stellungnahme: Muslimische Wähler sollten sich jetzt für das anstehende Votum am 3. November in ihrem Bundesstaat registrieren lassen. Sie war Teil des Nationalen Tages zur Registrierung muslimischer Wähler (NSVDR). Mit ihm soll die Teilnahme an der Wahlurne gesteigert werden. An dem Projekt beteiligten sich mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen im gesamten Land.

Eine andere NGO, die Muslime dazu mobilisieren will, aktiv an den Wahlen und damit am politischen Schicksal ihrer Heimat teilzunehmen, ist Emgage. Sie bezeichnet sich als „landesweite, zivilgesellschaftliche Organisation“. Man habe sich dort zum Ziel gesetzt, mindestens eine Million Muslime zur Abstimmung an die Urnen zu bekommen. Dabei setze man anhand konkreter Wählerverzeichnisse darauf, um die Stimmberechtigten gezielt ansprechen zu können. „Durch die historische Kampagne von Emgage hoffen wir, dass in diesem Wahlzyklus viele muslimisch-amerikanische Gemeinschaften ihre Stimmzettel organisieren und abgeben. Ihre Bedeutung ist heute größer als je zuvor. Damit wollen wir sicherstellen, dass unsere Stimmen gehört werden. Es steht zu viel auf dem Spiel, um nicht alles zu tun, um unsere pluralistische Demokratie zu bewahren“, erklärte der leitende Direktor Wa’el Alzayat.

Für den Politologen Youssef Chouhoud befindet sich die muslimische Gemeinschaft der Vereinigten Staaten in einem Prozess der Bewusstwerdung. „Was man derzeit wirklich beobachten kann, ist, dass der Boden für etwas bereitet wird, was zukünftig ein politisches Bewusstsein der Muslime in den nächsten Jahren sein wird“. Aber noch stecke die Community in den Kinderschuhen ihrer politischen Identität. Und während man in wenigen Staaten wie Michigan seit Jahren eigene KandidatInnen an den Start schicke, stünde man insgesamt noch am Anfang.

Dawud Walid möcht seine Analyse des muslimischen Wahlverhaltens nicht auf die kommenden Präsidentschaftswahlen beschränkt sehen. Es sei wichtig, dass Muslime ihre Stimme bei relevanten Themen erheben und dass sie als aktive Teilnehmer wahrgenommen würden. Eine geringe Wahlbeteiligung bedeute für jede Gemeinschaft, dass Parteien und Kandidaten ihren Anliegen keine Priorität einräumten. Er und andere Beobachter betonen, dass es nicht nur darum gehen könne, dass Muslime zur Abwahl von Trump mobilisierten, sondern auf allen Ebenen des Landes aktiv mitarbeiteten.