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Prof. Dr. Bülent Ucar über Imamausbildung am Islamkolleg Deutschland

Ausgabe 313

Foto: Islamkolleg Deutschland, Facebook

(iz). Die Ausbildung von Imamen zählt zu den derzeit offenen Baustellen der muslimischen Institutionalisierung aber auch der bundesdeutschen Islam- und Religionspolitik. Bisher haben sich hierzu mindestens zwei Modelle entwickelt. Einerseits bilden mindestens drei der größten muslimischen Dachverbände Imame und Seelsorger*innen aus oder fort. Einen anderen Weg beschreitet das Osnabrücker Islamkolleg. Es feierte am 15. seine Eröffnung und beginnt mit seiner Arbeit. Hierzu sprachen wir mit dem IKD-Leiter, Prof. Dr. Bülent Uçar.

Islamische Zeitung: Lieber Herr Prof. Dr. Bülent Uçar, das Osnabrücker Islamkolleg hat gerade seine Eröffnung gefeiert und nimmt jetzt seine Arbeit auf. Können Sie uns kurz beschreiben, wie der Weg dahin aussah?

Prof. Dr. Bülent Uçar: Es gab unterschiedliche Schwierigkeiten bei der Vorbereitung. Wir arbeiten jetzt schon seit fast 15 Jahren an diesem Projekt. Zum einen war es schwierig, muslimische Verbände und Institutionen gemeinsam an einen Tisch zu bringen, da sie entweder aus politischen beziehungsweise aus grundsätzlichen Gründen oder zum Teil auch machtpolitischen Erwägungen Bedenken geäußert haben.

In den Gesprächen mit den Ministerien, Verwaltungsbeamten und Politikern war es schwierig, eine Sensibilität für dieses Thema zu schaffen. Da hatte man anfänglich wenig bis kaum Interesse. In den ganzen Debatten fehlte bis vor Kurzem das Interesse in irgendeiner Form, muslimische Institutionen denen katholischer, evangelischer oder jüdischer Gemeinden gleichzustellen. Gerne wurde von Integration in Sonntagsreden gesprochen. Aber wenn es um das Eingemachte ging oder um die Bereitstellung von Ressourcen, war man sehr zurückhaltend.

Diese beiden unterschiedlichen Akteure zusammenzubringen, ihre divergierenden Interessen in irgendeiner Form auf eine Ebene zu führen, war besonders schwierig. Aber letztlich ist uns das zumindest partiell gelungen, sodass wir mit diesem Projekt starten.

Islamische Zeitung: Mussten Sie in der Entwicklung das Rad neu erfinden oder gab es Modelle in verschiedenen Teilen der Welt, an denen man sich orientieren konnte? 

Prof. Dr. Bülent Uçar: In muslimisch geprägten Ländern gibt es tatsächlich solche Ausbildungsinstitutionen, wo religiöses Betreuungspersonal oder konkreter Imame praktisch ausgebildet werden. Aber im Westen ist das eben rar. Es gibt einige Institutionen, die da bemüht sind, aber in diesem Kontext ist das sehr überschaubar. Partiell sind die Initiativen schlicht semiprofessionell. Teilweise existieren Engführungen bei den Trägern und Adressaten, da immer nur eine bestimmte kleine Gruppe – entweder hinsichtlich der ethnischen Zusammensetzung oder der konfessionellen Grundausrichtung – angesprochen wird. Es gibt also auch in Europa unterschiedliche Einrichtungen dieser Art, aber es fehlte an übergreifendem Charakter, an professionellen Strukturen, an entsprechenden Ressourcen und natürlich auch an sowohl staatlicher Anerkennung wie auch muslimischer Unterstützung. Und deshalb ist das, was wir hier machen, schon ein Novum für Deutschland.

Islamische Zeitung: Sie hatten eine ethnische Differenzierung sowie eine „konfessionelle“ erwähnt. Unterschiedliche Gemeinden haben unterschiedliche Anforderungen wie die Organisation der Gebete entlang der Rechtsschulen. Und es gibt natürlich auch kulturell bedingte Gewohnheiten, die vielleicht eine türkisch geprägte Moschee von einer marokkanisch geprägten unterscheiden. Wird in der Ausbildung auch darauf eingegangen, sodass die Männer und Frauen, die bei Ihnen lernen, auch damit umgehen können?

Prof. Dr. Bülent Uçar: Hier muss man den Blickwinkel nochmal schärfen – nämlich in kultureller Hinsicht und der theologischen Perspektive, die die Rechtsschulen betreffen.

Zum ersten Punkt: Wir haben nicht den Wunsch, die herkunftsspezifischen kulturellen Prägungen der Moscheen in Deutschland zu nivellieren zugunsten eines anderen, übergeordneten Identitätsmarkers. Aber wir sind der festen Überzeugung, dass mit zunehmendem Verbleib der Muslime in diesem Land auch die deutsche Sprache und mit ihr auch die deutsche Kultur sich immer mehr bemerkbar macht in den muslimischen Milieus. Das hat nichts mit einer „Germanisierung“ der Muslime in Deutschland zu tun, wie sie hier und da von der Politik eingefordert wird, vielmehr sind das natürliche Prozesse. Umso länger man in diesem Land lebt, desto mehr integrieren sich die Menschen in vielerlei Hinsicht. Und deshalb ist heute beispielsweise der Einfluss der deutschen Kultur auf die Muslime deutlich stärker zu beobachten als noch vor 20, 30 oder 40 Jahren. In meiner Kindheit oder Jugendzeit war diese Prägung in den Moscheen noch eine ganz andere. Und aus dieser Zeit stammt ja auch die landsmannschaftliche Organisation von Moscheegemeinden in Deutschland, deren Räumlichkeiten häufig durch Flaggen aus den Herkunftsländern symbolisch geprägt sind, und nicht ohne Grund heißen diese Moscheen bis heute teilweise Türkischer, Arabischer, Marokkanischer oder Bosnischer Kulturverein. Moscheen waren historisch bedingt eher Rückzugsorte für das Ausleben der eigenen Kultur und Sprache in den 1970er oder 1980er Jahren.

Die Kinder und Enkel von dieser damals, die Moscheen aufbauenden Gastarbeitergeneration verstehen heute diese Herkunftssprache teilweise gar nicht mehr, teilweise nur sehr schlecht. Sie werden belächelt, wenn sie in den jeweiligen Herkunftsländern ihre Muttersprache sprechen. Letztlich sind das natürliche Prozesse, dass etwa Deutsch zur Lingua Franca wird, wie es Französisch in Frankreich oder Englisch in Amerika ist. Gerade dort ist es völlig selbstverständlich, dass sich Muslime ethnisch übergreifend in Moscheen organisieren und Englisch die gemeinsame Kommunikationssprache ist.

Aber die Politik muss sich hier zurückhalten. Außenstehende dürfen nicht von Oben herab zu weitreichende Forderungen in diesem Kontext aufstellen, weil das zu Trotzreaktionen führt. Weiterhin können wir bereits heute in den Gemeinden beobachten, dass viele dieser jungen Menschen dort, wo sich Moscheen nicht öffnen, mittlerweile diese konsequent meiden. Moscheen, die sich der deutschen Sprache und Kultur nicht öffnen, verlieren immer mehr Jugendliche. Trotzdem möchten wir als IKD nicht, dass die kulturellen Eigenarten der Muslime in irgendeiner Form nivelliert werden oder verloren gehen. Wir respektieren und unterstützen, dass in einer mehrheitlich bosnischen, marokkanischen oder türkischen Gemeinde kulturelle Eigenarten gepflegt werden. Dies empfinden wir als eine Bereicherung der weltweiten Umma.

Was die Unterschiede im Bereich der Rechtsschulen (arab. madhdhahib) anbelangt, bin ich der Auffassung, dass das massiv überbewertet wird. Auch hier sind die Gemeinsamkeiten zwischen den Malikiten, Hanafiten, Schafi’iten und den Hanbaliten in der Ahl as-Sunna viel größer als die Differenzen. Hier nun gibt es verschiedene Zugänge: Zum einen wäre das der modernistisch-salafistische Diskurs, wonach man die Unterschiede zugunsten eines „quellenorientierten“ Islam mit einem unmittelbaren Zugriff auf die Primärquellen wegdiskutiert. Diesen Ansatz halte ich für problematisch. Die zweite Haltung wäre diese Unterschiede durch Ausklammerung  zu nivellieren. Auch das machen wir nicht. Und der dritte Weg ist, dass die Differenzen beachtet und respektiert werden, aber zugleich auch der Konsens zwischen den Muslimen die erforderliche Hervorhebung erfährt und alles Weitere hierauf aufgebaut wird.

Wir haben bereits im Vorfeld diese Diskurse intern geführt und zu Gunsten des letzteren Ansatzes entschieden und orientieren uns an dieser Stelle in der Tat an dem, was gelebte Realität ist. Seit mehr als tausend Jahren sind die muslimischen Gemeinden von Marokko bis nach Indonesien, von Sansibar bis nach Kasan durch die Rechtsschulen geprägt. Und das respektieren wir. Daher haben wir in den Bereichen, wo es in der Tat etwa liturgische Unterschiede gibt, auch mindestens zwei Referentinnen und Referenten eingestellt, die unterschiedlichen Rechtsschulen angehören und daher auch die Positionen der verschiedenen Rechtsschulen jeweils authentisch aus der Binnenperspektive darlegen können. Das heißt für uns Muslime in Deutschland konkret: Die meisten Muslime sind entweder Hanafiten oder Malikiten. Und deshalb haben wir zum Beispiel im Bereich des Fiqh Referenten eingestellt, die diese unterschiedlichen Standpunkte jeweils aus der Perspektive der Rechtsschulen vertreten können.

Islamische Zeitung: In der Berichterstattung zum Kolleg wurde dokumentiert, welche Dachverbände von Moscheen mitmachen. Jetzt handelt es sich dabei von Ausnahmen abgesehen um relativ kleine Gemeinden, die oft nicht sehr gut mit Ressourcen ausgestattet sind. Gibt es da eine realistische Hoffnung, dass die AbsolventInnen in diesen Gemeinden später eine Anstellung finden werden?

Prof. Dr. Bülent Uçar: Ja, die Verbandslandschaft ist in Deutschland momentan sehr stark türkisch geprägt. Das hängt mit ihrer Historie und Genese zusammen. Bis vor zehn Jahren waren ungefähr 63 Prozent aller Muslime türkischstämmig und jetzt sind es unter 50 Prozent. Zum ersten Mal haben die Türkischstämmigen in Deutschland keine Mehrheit mehr. Nach der aktuellen Statistik der DIK, die repräsentativ ist, liegt der Anteil bei rund 50 Prozent. Das heißt, der Anteil der Moscheen, der momentan sehr stark türkisch geprägt ist, wird langfristig auch abnehmen, denn die syrisch-, irakisch- und afghanischstämmigen Muslime sind angewachsen. In den letzten fünf bis sechs Jahren kamen rund eine Million Muslime aus den genannten Ländern. Das wird mittel- und langfristig die deutschen Moscheegemeinden wesentlich beeinflussen.

Zum zweiten Punkt: Die Verbände, mit denen wir momentan zusammenarbeiten, sind eher Gemeinden, die finanziell nicht so potent sind wie die großen türkischsprachigen Moscheen. Das hängt wiederum damit zusammen, dass sie neben der Tatsache eine längere Zeit für den Aufbau einer Infrastruktur hatten auch über ein Klientel verfügten, die in der Regel in Arbeit und Brot stand. Sie konnten daher die Moscheen finanziell mit Spenden und Mitgliedsbeiträgen besser fördern als die heutigen Flüchtlinge, die noch relativ neu in Deutschland sind. Das ist auch ein Grund dafür, warum die türkischen Moscheen finanziell deutlich besser ausgestattet sind. Kurz: Erstens hatten sie viel mehr Vorlaufzeit. Zweitens ist ihre Klientel wirtschaftlich deutlich besser gestellt. Drittens werden sie auch staatlich gefördert. Und damit meine ich nicht nur DİTİB. Die türkische Religionsbehörde Diyanet hat bereits auch anderen türkisch geprägten Verbänden Imame zur Verfügung gestellt – in den letzten Jahren zumindest.

All das sind Kriterien, die man in dem Kontext beachten muss. Gerade deshalb müssen wir hier finanzielle Alternativen schaffen und Strukturen aufbauen, damit alle Moscheen in Deutschland auf Augenhöhe stehen. In meiner Einführungsrede bei der feierlichen Eröffnung des Islamkolleg Deutschland bin ich ausführlich auf dieses Thema eingegangen und habe Modelle entworfen und vorgelegt, wie man die Finanzierung in den nächsten Jahren realisieren könnte. Hier besteht dringender Handlungsbedarf! Alleine auf das Ausland zu schimpfen ohne Gegenmodelle anzubieten, ist schlicht populistisch. Die Wirtschaftskraft Deutschlands ist um ein Vielfaches höher als jener der kritisierten Länder, daher müssen deutsche Moscheen staatlicherseits finanziell gefördert werden, so wie auch christliche und jüdische Einrichtungen unterstützt werden. Die abwehrende und stiefmütterliche Behandlung muslimischer Gemeinden ist nicht integrationsfördernd, stärkt nicht die Identifizierung mit diesem Land und treibt die deutschen Muslime in vielerlei Hinsicht ins Ausland.

Islamische Zeitung: Es steht eine Frage im Raum, die sich nicht ignorieren lässt. Seit Jahren wird einigen muslimischen Strukturen vorgeworfen, dass sie eine illegitime Nähe zu ausländischen Staaten unterhalten würden. Jetzt wird gegen Ihr Projekt der Gegenvorwurf erhoben, man habe es hier mit einem „Deutschen Staatsislam“ zu tun. Ist die Befürchtung vor solchen Entwicklungen komplett irrational?

Prof. Dr. Bülent Uçar: Da gibt es wieder unterschiedliche Ebenen zu beachten. Unser Religionsverfassungsrecht sieht prinzipiell eine Trennung beider Sphären vor. Wir haben kein laizistisches Modell und keine Staatsreligion. Das sind die beiden Extreme. Das deutsche Religionsverfassungsrecht sieht die respektvolle, positive Trennung der Bereiche von Staat und Religion vor. Religionsgemeinschaften, die die freiheitlich demokratische Grundordnung befürworten, sich damit identifizieren und unterstützen, werden nicht als eine potenzielle Gefahr für die öffentliche Ordnung gesehen, werden vielmehr als zivilgesellschaftliche Akteure begriffen und deshalb auch auf allen Ebenen gemäß dem Subsidiaritätsprinzip unterstützt. Und genau aus diesem Grund werden Kirchen und jüdische Gemeinden mit Milliardensummen quersubventioniert. Ich habe mich immer für dieses Modell stark gemacht, weil hier keine Bevormundung von Religionsgemeinschaften existiert, sondern lediglich eine Unterstützung unter Wahrung der Autarkie. 

Und was jetzt die Kritik von Einrichtungen anbelangt, die faktisch selbst unmittelbar unter staatlicher Aufsicht stehen, würde ich zur Vorsicht aufrufen. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. In unserem Falle ist es so, dass wir lediglich staatlich gefördert werden, aber es keinerlei inhaltliche, personelle oder strukturelle Eingriffe in unsere Arbeit gibt. Alle Seiten wissen, dass wir in einem solchen Moment für dieses Modell nicht mehr zur Verfügung stehen würden. Ich habe mich immer in unzähligen öffentlichen Vorträgen und Mediengesprächen – und rufe da gerne mein Interview in der „Islamischen Zeitung“ aus dem Jahr 2008 in Erinnerung – für diese Position stark gemacht. Hier ist eine klare und gerade Linie in meiner Biografie zu beobachten und deshalb mache ich mir auch diese Vorwürfe nicht zu eigen. 

Prinzipiell ist diese Kritik jedoch ernstzunehmen, weil wir hier in Deutschland in einer Gesellschaft leben, die mehrheitlich säkular und christlich geprägt ist. In der Tat gibt es durchaus Personenkreise, die schon eine eigene theologische Agenda verfolgen wollen würden. Und hier und da existieren auch gewisse unzulässige Übergriffe. Ich kann für unsere Arbeit in Osnabrück in jeglicher Hinsicht – sowohl auf universitärer Ebene, als auch beim Avicenna-Studienwerk und jetzt am IKD – eindeutig und ganz klar sagen, dass es solche Bemühungen in unserem Bereich in dieser Hinsicht nie gegeben hat.

Islamische Zeitung: Kann es sein, dass in der öffentlichen Debatte, in Medien sowie Fachdiskussion die Rolle des Imams oder einer Moschee missverstanden und auch überfrachtet wird mit Erwartungen, was diese alles leisten sollen – von der Integration bis zur Gewaltprävention?

Prof. Dr. Bülent Uçar: Ja. Auch hier muss man natürlich immer ein realistisches Bild zeichnen. Die Rolle des Imams ist sehr stark davon abhängig, welche Rolle er selbst einnimmt. Vorbedingung ist, dass ein Imam in der Regel nur jene ansprechen kann, die auch zu seiner Gemeinde angehören.

Es wird im öffentlichen Diskurs teilweise so getan, als ob alle Muslime irgendwie unter seinem Einfluss stehen würden. Dabei existieren mit zunehmender Säkularisierung und Pluralisierung auch immer mehr sogenannte Kulturmuslime in den muslimischen Milieus. Diese sogenannten „Feiertagsgläubigen“ sind eine religionssoziologisch erfasste Kategorie. Auf solche Personenkreise wird ein Imam natürlich nur beschränkten Einfluss haben.

Aber selbst in den Gemeinden wirken sehr unterschiedliche Imame. Einige, die eher Dienst nach Vorschrift machen und glücklich sind, wenn sie einfach nur die Gebete verrichten und das minimale Erfordernis erbringen. Aber es gibt auch jene Imame, die wirklich sehr engagiert und bemüht sind. Sie sind sich bewusst, dass sie in der Nachfolge des Propheten ein Amt oder eine Funktion ausüben, in der sie nicht nur einen Beruf, sondern eine Berufung sehen. Und wenn wir mehr von diesen couragierten und engagierten Imamen hätten, dann würde ich sagen, wird die Rolle des Imams im öffentlichen Diskurs nicht überbewertet. Aber Sie haben Recht. Faktisch verwaltet die überwältigende Mehrheit leider eher statt kreativ zu gestalten.

Und deshalb haben wir es auch mit einer Überbewertung der tatsächlichen Funktion von Imamen zu tun und müssen ein wenig differenzieren. Also es wird das Bild eines Imams als Superman gezeichnet, der Sozialarbeiter, Seelsorger, Gemeindepädagoge, Therapeut und Familienberater und Lehrer ist. Er soll ein Mensch sein, der im Dialog tätig ist und als Brückenbauer fungiert. Der Imam soll Kulturvermittler sein, Muttersprache unterrichten und vieles mehr. Es ist in dieser Form kaum realisierbar. Da müssen wir auch ein wenig die Imame aus der Verantwortung entlassen und die Vorstände der Gemeinden, auch wenn es noch Ehrenamtliche sind, stärker einbeziehen.

Islamische Zeitung: Das deckt nur einen Teil meiner Frage ab. In der öffentlichen Debatte dominieren erhebliche ideologische und sicherheitspolitische Momente. Hier entsteht eine Erwartungshaltung, die in Imamen gleichermaßen Integrationshelfer wie Radikalismus-Verhinderer sieht? Kann es sein, dass hier bei Öffentlichkeit, Medien und Politik Missverständnisse bestehen?

Prof. Dr. Bülent Uçar: Die erste Aufgabe eines Religionslehrers – dasselbe kann man auch über die Imame sagen – ist nicht, dass er ein Integrationsdienstleister ist oder Deradikalisierung betreibt. Das ist nicht sein vorrangiger Job. Die erste Aufgabe ist es, für eine reflektierte religiöse Bildung und Erziehung zu sorgen. Und hier muss man ansetzen. Aber ich meine, dass jemand, der seinen Job in diesem Kontext ordentlich verrichtet, also die religiöse Bildung und Erziehung gut praktiziert und umsetzt und eine gute Vorbildrolle einnimmt, mittelbar und automatisch, bereits als ein Integrationsvermittler, Deradikalisierer et cetera arbeitet. Ein guter Imam leistet durch die ausgewogene religiöse theologische Positionierung einen natürlichen Beitrag zu diesen Themenfeldern. Ich würde diese Bereiche nicht so klar voneinander unterscheiden wollen, weil ich zwischen ihnen schon Überschneidungen sehe. Aber die Fokussierung auf den Themenbereich der Integration oder Prävention halte ich für problematisch.

Islamische Zeitung: Lieber Herr Prof. Dr. Uçar, wir bedanken uns für das Gespräch.